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Marc Jongen, ESN Fraktion

„Islam kein Bestandteil europäischer Identität“

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Herr Mölzer, am 17. Dezember will der EU-Rat der 25 Staats- und Regierungschefs die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beschließen. Für Bundesaußenminister Joseph Fischer ist die EU-Mitgliedschaft der Türkei "fast wichtiger als ein Raketenabwehrsystem" und eine strategische Entscheidung für die Sicherheit Europas im 21. Jahrhundert. Wenn die EU der Türkei die Tür vor der Nase zuschlage, dann "werden wir dafür einen sehr hohen Preis bezahlen". Warum wollen Sie genau das tun?

Mölzer: Der EU-Beitritt der Türkei dürfte im Gegensatz zu dem, was Joschka Fischer meint, der EU einen tödlichen Stoß versetzen. Ich glaube, daß die geopolitische Überdehnung der Europäischen Union, die finanziell-ökonomische Überforderung der EU und die psychologische Drangsalierung der EU-Bürger durch eine Massenzuwanderung die Folgen eines solchen Beitritts wären und daß damit entweder ein Zerfallsprozeß der Union eingeleitet würde oder ein Europa der zwei Geschwindigkeiten erzwungen würde.

In den letzten Jahren sind in der Türkei viele EU-kompatible Reformgesetze verabschiedet worden. Ist das Land damit nicht auf einem europäischen Weg?

Mölzer: Es geht nicht darum, ob ein Land EU-kompatible Reformen durchführt, da gäbe es auch andere Beispiele in aller Welt. In bezug auf die Türkei ist schlicht und einfach zu sagen, daß sie weder geistig, kulturell, religiös noch geographisch und geopolitisch ein europäisches Land ist und deshalb niemals Vollmitglied einer Europäischen Union sein könnte. Die Türkei ist ein asiatisches und islamisches Land – was aber nicht heißt, daß die Türkei nicht ein Partner, ein Verbündeter Europas sein könnte und sein sollte und ja bereits ist. Die Türkei hat längst eine privilegierte Partnerschaft mit Europa – und diese Partnerschaft könnte man natürlich ausbauen.

Sie befürworten also das Konzept von CDU und CSU, die eine "privilegierte Partnerschaft" als Alternative zum EU-Vollbeitritt der Türkei anbieten?

Mölzer: Das wäre ein Weg – allerdings sind die Christlich-Konservativen nicht nur in Deutschland, sondern insgesamt in Europa höchst unehrlich, wenn sie das vorschlagen. Sie tun so, als wäre es möglich, EU-Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, um dann nur ein solches Abkommen mit der Türkei zu schließen. Die Türkei hat aber einen Antrag auf Vollmitgliedschaft gestellt. Dies haben die Spitzen der türkischen Regierung mehrfach klargestellt. Sie verhandeln keineswegs auf eine privilegierte Partnerschaft. CDU und CSU sowie die ÖVP von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel tun so, als wäre das möglich. Das ist aber nur eine "Beruhigungspille" für die türkeikritischen Wähler.

Für Sie gehört die Türkei auch aus religiösen Gründen nicht zu Europa. Die Mehrheit der EU-Politiker betont hingegen, daß die EU "kein christlicher Club" sei und deshalb nichts gegen den Beitritt eines islamischen Landes spräche. Auch in der alten k.u.k.-Monarchie haben ja schon "Muselmanen" (wie sie damals genannt wurde) gewohnt. In der EU leben inzwischen mindestens 15 Millionen.

Mölzer: In der Habsburger Monarchie war es eine kleine Minderheit, konzentriert in Bosnien, die stellte kein Problem dar. Spätestens angesichts der Ereignisse in Holland (JF 48/04) sollte klar sein, welch explosives Potential wir uns damit in das alte Europa geholt haben. Gewiß ist die EU kein christlicher Gottesstaat im Sinne von christlichem Fundamentalismus. Die Trennung von Staat und Kirche ist eine Errungenschaft der abendländischen Geschichte. Allerdings ist das Christentum als eine Grundlage unserer Kultur für die europäische Identität prägend. Der Islam ist kein Bestandteil der europäischen Identität – er war über Jahrhunderte der große Herausforderer Europas, des Abendlandes. Jetzt so zu tun, als wäre der Islam kein Problem für Europa, das ist ein verhängnisvoller Selbstbetrug.

In Österreich verlaufen die Fronten bezüglich des EU-Beitritts der Türkei quer durch die Parteien. SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer will Kanzler Schüssel auf ein Nein zu Beitrittsverhandlungen verpflichten, Landeshauptmann Jörg Haider hingegen befürwortet diese – im Gegensatz zur FPÖ-Linie. Woher kommt diese für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Konstellation?

Mölzer: Die Sozialdemokratie in Österreich ist ebenso unehrlich wie die deutsche CDU. Weil es beim Wähler gut ankommt, erfordert die SPÖ-Spitze ein Nein zur Aufnahme von Verhandlungen. Sie sagt aber, die Türkei sei noch nicht bereit für die EU. Dies bedeutet aber, daß vielleicht in ein paar Jahren die Türkei sehr wohl dazu in der Lage wäre. Das ist genau jene Lüge, die man über Jahrzehnte verbreitet hat: Nach der Einführung gewisser Reformen und einer Verbesserung der Menschenrechtssituation wäre es möglich, daß die Türkei in die EU kommt. Das ist eine Lüge gegenüber den Türken – und auch gegenüber den europäischen Völkern, weil man offen sagen muß, daß die Türkei niemals wirklich in der Lage sein wird, ein europäischer Staat zu werden.

Warum plädiert der nicht nur in Brüssel als "Ausländerfeind" verunglimpfte Ex-FPÖ-Chef Haider dennoch für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei?

Mölzer: Haider vertritt hier eine Einzelmeinung – gegen die Parteilinie der FPÖ. Haider meint, daß man die Türkei nicht den Amerikanern überlasse dürfe. Ein anderes Argument von ihm ist, daß die meisten der nach Europa zugewanderten Türken "Rechte" seien, während die Kurden "Linke" seien, und sich daraus ein "rechtes Wählerpotential" ergebe. Haider vermutet auch, daß im Falle eines EU-Beitritts der Türkei die Zuwanderung geringer würde, weil die Türkei sich dann auf ein europäisches Niveau entwickeln würde. Ich glaube aber, daß die Zuwanderung aus der Türkei hingegen auf Jahrzehnte explosiv zunehmen würde.

Die dramatischen Ereignisse in Kiew (JF 51/04) und eine künftig nach Europa orientierte Ukraine haben die Frage nach den Grenzen der EU erneut auf die Tagesordnung gebracht.

Mölzer: Ein historisch christlich geprägter Staat wie die Ukraine, der auch geographisch auf dem europäischen Kontinent liegt, würde zwar weit eher in die EU passen als die Türkei. Aber sowohl die türkische wie auch die ukrainische Frage sollten uns endlich dazu ermutigen, die Grenzen der EU zu definieren. Ich glaube, daß Europa im Prinzip so weit reicht, wie einst die Strahlkraft des alten heiligen römischen Reiches reichte. Das heißt, im Osten bis ins Baltikum, bis an den Bug, bis zum Balkan. Die slawisch-orthodoxe Welt – Weißrußland, die Ukraine und Rußland – ist natürlich geistig, kulturell und zum Teil auch geographisch (weil sie teilweise bis nach Asien hineinreicht) ein anderer Faktor. Ich halte sehr viel von einem Bündnis zwischen Europa und einem wieder erstarkten Rußland, von einer Art "Achse Paris-Berlin-Moskau". Allerdings halte ich es für eine Illusion zu glauben, man könne diese slawisch-orthodoxe Welt in Europa integrieren. Rußland ist ein Partner für Europa, möglicherweise auch ein starker Verbündeter im geopolitischen Ringen der Zukunft – allerdings ein Partner, der eigenständig sein muß. Ich halte es daher für eine legitime Forderung der russischen Politik, daß die Ukraine – bei aller leidvollen Geschichte innerhalb des zaristischen Rußlands wie auch innerhalb der stalinistisch-kommunistischen Sowjetunion – natürlicherweise ein Näheverhältnis zu Moskau hat. Daher kann ich verstehen, daß Präsident Wladimir Putin sagt: In diesem, unserem Vorfeld wollen wir weder die Nato noch die Amerikaner – aber auch nicht Brüssel.

Sie plädieren damit für eine Art "privilegierte Partnerschaft" auch mit der Ukraine. Aber die Westukraine, Lemberg, Tschernowitz oder Ungvár gehörten doch einst ebenso zum Habsburger Reich wie Budapest und Zagreb/Agram. Nach Ihrer Definition müßte man dann die EU-Außengrenze quer durch den Balkan ziehen: Kroatien, das in vielen EU-Hauptstädten – nicht nur wegen der Frage vermeintlicher Kriegsverbrecher aus der Zeit des jugoslawischen Bürgerkrieges – nicht so gern gesehen wird, würde nach Ihrer Definition zur EU gehören. Rumänien und Bulgarien – die 2007 beitreten sollen – wären zumindest ein Grenzfall.

Mölzer: Ich glaube, daß der Balkan, wie auch in früheren Jahrhunderten natürlich, so etwas wie ein Überschneidungsbereich dieser großen geopolitisch-geistigen und machtpolitischen Räume ist. In der Tat dürfte die Grenze – zumindest in geistiger Hinsicht – zwischen der Orthodoxie und dem Katholizismus liegen. Daher ist ja auch paradox, daß Kroatien als ein "Wackelkandidat" für die nächste EU-Aufnahmewelle gilt und Rumänien und Bulgarien, die sozial wie ökonomisch wesentlich problematischer sind, da Vorrang haben sollen. Aber trotz aller wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten sollten diese Ländern mittelfristig zur EU gehören. Und obwohl Serbien geistig-historisch eher zum russischen Einflußgebiet gehört, sollte man Belgrad trotzdem auf dem Weg nach Europa unterstützen. Die Probleme auf dem Balkan wird Europa wohl lösen müssen, wenn auch – wie bereits vor dem Ersten Weltkrieg – in einer gewissen Abstimmung mit Rußland.

Wie ist die Haltung der rechten und national-orientierten Parteien im Europäischen Parlament (EP), die sich bekanntlich auf drei Gruppierungen – die Fraktion "Unabhängigkeit und Demokratie" (IND/DEM), die Fraktion "Union für das Europa der Nationen" (UEN) und die Fraktionslosen – verteilen? Gibt es da eine gemeinsame Sicht bezüglich des EU-Beitritts der Türkei? Ist vielleicht sogar eine gewisse Zusammenarbeit in dieser Frage zu erwarten?

Mölzer: Mit einigen Kollegen werde ich versuchen, noch einen Antrag auf Ablehnung der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen auf den Weg zu bringen. Das ist aber nicht so einfach, weil man dafür mindestens 37 Unterstützer braucht. Diese Anzahl ist nur fraktionsübergreifend zusammenzubringen, was sofort wieder das alte "Spiel" unter den EP-Rechten auslöst, ob die eine Partei überhaupt dazu bereit ist, mit dieser oder jener anderen zusammen einen Antrag zu unterschreiben – oder ob sie sich nicht lieber von dieser oder jener distanziert. Die EU-kritische britische UK Independence Party (IND/DEM) ist sogar für den Türkei-Beitritt, weil sie das als schnellsten Weg zur Lahmlegung der europäischen Integration betrachtet. Die anderen sind im wesentlichen aus Gründen der Identität und einer im Grunde guten europäischen Gesinnung gegen diesen Beitritt.

Wie verhält sich die größte EU-Fraktion, die Europäische Volkspartei (EVP) zur Türkei-Frage?

Mölzer: Auch bei christlich-konservativen Parteien finden sich Vorbehalte, wobei man sich dort auf einen butterweichen Standpunkt einschwört. Fraktionschef Hans-Gert Pöttering (CDU) und seine EVP-Freunde plädieren im Europaparlament für "Verhandlungen mit offenem Ausgang", wohlwissend, daß es das nicht gibt. Es gibt nur Verhandlungen, die zu einem Vollbeitritt führen. Elmar Brock (CDU) hat richtig gesagt, daß dieser Vollbeitritt keineswegs erst in 15, 20 oder gar 30 Jahren erfolgen wird, sondern möglicherweise in vier bis sieben Jahren, wenn Ankara formal die Bedingungen erfüllt hat. Ich glaube, daß damit wirklich eine negative Weichenstellung für Europa getroffen wird.

Im Oktober wurde der konservative italienische Christdemokrat Rocco Buttiglione auf Druck des EU-Parlaments als EU-Kommissar abgelehnt (JF 44/04). Wie haben die europäischen Rechtsparteien darauf reagiert?

Mölzer: Die ausgesprochen hysterische Reaktion der Linken auf eine private Meinungsäußerung von Buttiglione und der massive Angriff auf die Meinungs- und Gewissensfreiheit hat zu einer Solidarisierung unter den Rechten geführt. Wir haben die zweite EU-Kommission – nun ohne Buttiglione – geschlossen, aber leider ohne Erfolg abgelehnt. Die Christdemokraten der EVP haben sich dagegen erneut als die großen Angsthasen erwiesen. Deren Feigheit hat Buttiglione letztlich sein Scheitern zu verdanken. Es ist schon erschreckend – aber auch beeindruckend -, wenn der grüne EP-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der sich als eine Art Robespierre, als die Stimme der unerbittlichen Tugend im Parlament aufspielt, aufsteht und eine Brandrede hält und man förmlich riechen kann, wie die Damen und Herren von der EVP – vorneweg Fraktionschef Pöttering – die Hosen gestrichen voll haben. Der deutsche Grüne Cohn-Bendit, der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz und der elsässische Altkommunist Francis Wurtz diktieren faktisch atmosphärisch das Geschehen im EU-Parlament.

Die Befürworter des Türkei-Beitritts operieren mit der unterschwelligen Vision eines "Weltfriedens" durch Integration. Welche Vision setzen Sie dagegen?

Mölzer: Ich bitte Sie, das ist doch keine Vision! Das ist die reine Beliebigkeit, da könnte man schließlich nach Israel und Südafrika auch noch Kasachstan, Brasilien oder Nigeria aufnehmen.

Eben, die "One World"-Idee!

Mölzer: Die Rechte hat dagegen eine Vision, die Idee vom Europa der Völker, also eines Europas des Friedens, der Gleichberechtigung und der Kultur durch Erhaltung der Identität bei gemeinschaftlichem Zusammenarbeiten und solidarischem Auftreten nach außen hin.

Welche Rolle spielt dabei der Begriff vom europäischen Abendland?

Mölzer: Er ist von grundlegender Bedeutung, daneben existieren aber auch weitere Bezugspunkte wie zum Beispiel die europäische Antike, die Idee der Völker oder die Aufklärung.

Also ist der Begriff untauglich?

Mölzer: Ich würde das Europa von heute als den Erben des christlichen Abendlandes bezeichnen. Dieser Begriff definiert nicht das Selbstverständnis aller europäischen Rechtsparteien, aber er stellt für alle eine wichtige Grundlage dar. Jörg Fischer / Moritz Schwarz

Andreas Mölzer: "Ich glaube, daß Europa im Prinzip so weit reicht, wie die Strahlkraft des alten Heiligen Römischen Reiches reichte."

Andreas Mölzer, Jahrgang 1952, stammt aus der Steiermark und hat Jura, Geschichte und Volkskunde studiert. Von 1984 bis 1990 Chefredakteur der "Kärntner Nachrichten", 1990 bis 1995 Abgeordneter zum Bundesrat. 1997 wurde er Mitherausgeber und Chefredakteur des Wochenblattes "Zur Zeit". Seit Juli 2004 ist er FPÖ-Abgeordneter im EU-Parlament.

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