Wenn von den Hochburgen der AfD die Rede ist, wendet sich der Blick fast automatisch nach Osten. Tatsächlich ist die Partei auch bei der Bundestagswahl im Februar in den jungen Bundesländern mit 32 Prozent stärkste Kraft geworden, hat mit 38,6 Prozent in Thüringen ihr bestes Ergebnis erzielt. Doch auch im Südwesten Deutschlands gibt es „blaue Inseln“, in denen die AfD höhere Zustimmungswerte erhielt als im Bundes- oder im jeweiligen Landesschnitt. Ein Beispiel ist das beschauliche Bad Soden-Salmünster im Main-Kinzig-Kreis. Hier kam die AfD auf 26 Prozent der Zweitstimmen, und damit auf deutlich mehr als die 17,8 Prozent in Hessen insgesamt.
Bad Soden ist wirtschaftlich nicht schlecht aufgestellt. Mehrere größere Unternehmen haben ihren Sitz in der 14.000-Einwohner-Stadt. Der Kurbezirk und das Zentrum wirken gepflegt, und entlang des idyllischen Flüßchens Salz, das sich durch den Ort schlängelt, finden sich mehrere Gastronomiebetriebe.
Für eine ältere Frau, die dort an einem sonnigen Tag im Vorfrühling ihren Kaffee draußen trinkt, sind diese Wahlergebnisse Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit: „Ich will ja nicht behaupten, daß es uns sehr schlecht geht. Aber schauen Sie sich mal im Ort um. In der Altstadt, im Zentrum Bad Sodens finden sie einige Geschäfte, die ganz geschlossen haben. Billigläden nehmen dagegen überall zu, weil die Leute nur noch wenig Geld zur Verfügung haben.“
„Ich kann gut verstehen, daß so viele AfD gewählt haben“
Der Kurtourismus spielte hier seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. „Doch es gibt mindestens zwei Kliniken, die jetzt leer stehen“, berichtet die Dame. „Die Krankenkassen sparen ja immer mehr und bewilligen einem kaum noch eine Kur.“ Im gesamten Wahlkreis Main-Kinzig-Wetterau II-Schotten, am Rand des Frankfurter Speckgürtels mit seiner niedrigen Arbeitslosigkeit erzielte die AfD 24,8 Prozent – ihr bestes Wahlkreisresultat in ganz Hessen. Das widerlegt die These, die Partei feiere nur in wirtschaftlich abgehängten Regionen Erfolge.
„Ich kann sehr gut verstehen, daß so viele AfD gewählt haben“, meint ein kräftiger Mann um die 50 im Kurpark. Er arbeite in Frankfurt und müsse jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fahren. „Doch eine Wohnung in Frankfurt zu bekommen ist unmöglich. Dagegen werden von der Stadt überall Wohnungen für Flüchtlinge angemietet.“ Das Pendeln nach Frankfurt mache ihm zu schaffen. „Doch die Bahn ist auch keine Alternative. Sie fährt zu selten oder meist verspätet, wenn sie überhaupt kommt“, stöhnt er genervt. „Und dazu noch unser sogenannter Bahnhof.“
Der befindet sich in der Tat in einem erbärmlichen Zustand. Das Bahnhofsgebäude in Bad Soden ist verschlossen, die Fenster zugenagelt und die Wände mit unzähligen Graffiti verunstaltet. Keine Spur von Kurstadt.
In Offenbach gibt es häufig Palästina-Demos
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums Hessens gibt es ein ebenfalls bemerkenswertes Ergebnis. Die Linkspartei erzielte in Offenbach am Main 17,3 Prozent, also doppelt soviel wie im Bund. Wie erklärt sich dieser Zuwachs? Ganz in der Geschäftsstelle der Offenbacher Linken ergibt sich im kommunalen Stadtteilbüro am Goetheplatz ein Gespräch mit einem jüngeren Mann. Die Vertreter der Partei kenne er nur oberflächlich, sagt er. In letzter Zeit kämen aber verstärkt Leute ins Stadtteilbüro, die eigentlich zur Linken wollten. Das paßt zur Angabe, die Partei verzeichne seit Anfang Januar den Eintritt von 93 Neumitgliedern.
Es habe zudem in jüngster Zeit immer wieder Pro-Palästina-Demonstrationen in Offenbach gegeben, berichtet der junge Mann, der nach eigener Aussage türkische Wurzeln hat. „Es kann gut sein, daß ein Teil der Teilnehmer die Linke gewählt hat.“ Angesprochen auf die vielen Kurden in Offenbach, ist er sich da nicht ganz so sicher, denn „nicht alle unterstützen die PKK“. Die Linkspartei hat sich wiederholt mit dem Kampf der Kurden in der Türkei solidarisiert.

„Die sind doch komplett verrückt“
Allgemein lebten die Menschen im Stadtteil „gut zusammen“, resümiert er. Doch es gebe Probleme mit aus Bulgarien eingewanderten, teilweise türkischsprachigen Menschen. Auf Nachfrage präzisiert er, daß es meist Roma sind. Sie würden sich abends in großer Zahl auf einigen Plätzen der Stadt treffen. „Ich bin mal zu denen hingegangen und habe gesagt, sie sollten ruhiger sein und nicht überall die Schalen der Sonnenblumenkerne hinspucken.“ Da haben sie nur gelacht. Doch als ich sagte, ich sei hier so etwas wie der Sheriff im Viertel, wurden sie still.“
Eine junge Frau im Offenbacher Nordend-Viertel macht aus ihrer Unterstützung für die Linke keinen Hehl. Für deren Wahlerfolg sieht sie auch eine Ursache darin, daß „viele Studenten sich in Frankfurt die dortigen Mieten nicht leisten können. In Offenbach ist es immer noch etwas günstiger und daher ziehen sie hierher. Und viele der Studenten wählen links.“
In der Nähe des Marktplatzes zeichnet eine etwa 60jährige Offenbacherin ein wenig schmeichelhaftes Bild von den Zuständen. Anfang der neunziger Jahre sei sie vor dem Krieg aus Bosnien nach Deutschland geflüchtet. „Seitdem ist hier alles schlechter geworden“, klagt sie. „Gute Geschäfte sind verschwunden, und es kamen nur noch Billigläden hinzu. Zum Einkaufen muß ich jetzt häufig nach Frankfurt fahren. Es sind immer mehr Türken und besonders Araber gekommen. Und dann noch die Roma dazu.“ Was sie von der Forderung der Linkspartei nach offenen Grenzen und einer massiven Ausweitung des Asylrechts hält? „Die sind doch komplett verrückt.“
„Zumindest werden die mehr Flüchtlinge verhindern“
Die AfD wiederum schnitt auch in einzelnen Regionen in Hessens benachbartem Bundesland Rheinland-Pfalz überdurchschnittlich ab. In Kaiserslautern erzielte sie 24,8 Prozent, in Ludwigshafen 24,3 Prozent und in Pirmasens sogar 32 Prozent. Kaiserslautern gehört zu den am höchsten verschuldeten Kommunen Deutschlands. Viele Geschäfte stehen leer, die Arbeitslosigkeit liegt in der Stadt bei 9,7 Prozent. Das Viertel Kalkofen gilt als sozialer Brennpunkt. Hier gibt es viele alte Wohnungen, in denen manchmal sogar Warmwasser fehlt.
An einem Imbiß ein Mann im Jogginganzug. Er arbeitet nur noch Teilzeit, wünscht sich aber wieder eine Vollzeitstelle. Seit einem Jahr bewirbt er sich darauf – bisher ohne Erfolg. „So geht es hier vielen in Kaiserslautern. Und die, die unfreiwillig Teilzeit arbeiten, zählen nicht mit in die Arbeitslosenstatistik rein“, meint er frustriert. Gefragt, was er gewählt habe, nimmt er kein Blatt vor den Mund: „Natürlich AfD. Die anderen Parteien haben in den letzten Jahren die deutsche Bevölkerung vergessen. Ob es die AfD viel besser macht, weiß ich nicht. Aber zumindest werden die verhindern, daß immer mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Und das wäre ja schon ein Erfolg“, lautet sein Fazit.
In Mainz siegen vor allem die Grünen
Ihre überdurchschnittlich hohen Zustimmungswerte in einigen Regionen führt die AfD Rheinland-Pfalz selbst im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurück: „inneren Zusammenhalt“ einerseits und „Kontakt mit den Bürgern“ andererseits. Die Partei „tritt nach außen geschlossen und einmütig auf“, betont Landeschef Jan Bollinger gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Auf monatlichen Konferenzen würden sich Landesvorstand und Kreisvorstände zur Planung ihrer Aktivitäten abstimmen. Vor allem aber seien die Kandidaten und Mandatsträger „sachlich, freundlich und bürgernah“. Man spreche die „lebensweltlichen Probleme der Bürger klar und unmißverständlich“ bei vielen öffentlichen Veranstaltungen an, ist der 48jährige Politiker, der auch der Landtagsfraktion vorsteht, überzeugt.
Ganz anders als in Kaiserslautern ist das Bild in der Landeshauptstadt. Mainz hat in den vergangenen Jahren sehr von der hier ansässigen Pharmafirma Biontech profitiert, die für hohe Gewerbesteuereinnahmen sorgt. Hinzu kommen renommierte Unternehmen wie die Schott AG, Werner & Mertz mit den Marken Frosch und Erdal und DB Cargo. Außerdem ist Mainz der Sitz von ZDF und Südwestrundfunk, was auch das Meinungsklima in der Stadt zu beeinflussen scheint. In zentrumsnahen Vierteln wie Bretzenheim, Weisenau und Hartenberg-Münchfeld lebt überwiegend ein urbanes Mittelstandsmilieu. Nach wie vor haben die Grünen in Mainz eine Hochburg, kamen bei der Bundestagswahl auf stolze 24 Prozent.
„Die Grünen sind doch okay“, meint ein junger Mann um die 30. „Das sind die einzigen, die was für unsere Zukunft machen. Ich meine Klimaschutz und sowas. Und die machen was ‘gegen Rechts’.“ Auf Probleme wie unkontrollierte Einwanderung angesprochen, zuckt der junge Deutsche nur mit den Schultern. „Klappt doch alles gut. Ich habe mit den Migranten keine Probleme und meine Freunde auch nicht“, entgegnet er knapp.