Rückblickend war es ein kleines Kompliment, als Anfang 2004 – also noch zu rot-grünen Regierungszeiten – öffentlich gefragt wurde: „Horst wer?“ Union und FDP hatten die Kandidatur Horst Köhlers für das Amt des Bundespräsidenten betrieben. Der Finanzexperte mit klarem marktwirtschaftlichen Kompaß sollte politisch einer schwarz-gelben Koalition den Boden bereiten, die aber erst 2009 zustande kam. Im Herbst 2005 hatte Kanzler Gerhard Schröder (SPD) Angela Merkel (CDU) weichen müssen.
Im Alter von 61 Jahren trat Köhler das höchste deutsche Staatsamt an. Relativ unbekannt in der Öffentlichkeit, aber bestens bekannt in der Fachwelt. Kein Wunder: Der studierte Volkswirt promovierte am Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung, war Staatssekretär im Bundesfinanzministerium während der Wiedervereinigung, wurde zum Präsidenten des Sparkassen- und Giroverbandes gewählt, war später Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und schließlich – auf Empfehlung von Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) – Direktor des Internationalen Währungsfonds.
2004 der Umzug ins Schloß Bellevue. Horst Köhler war in der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt worden. Solche Bilderbuchkarrieren sind im Regierungsviertel selten – und sorgten dort auch für ein wenig Distanz und Mißtrauen. Der zurückhaltende Amtsinhaber unterschied sich vielfach von seinen Vorgängern und Nachfolgern. Anders als etwa Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier, der fast täglich mit dröhnenden Ratschlägen zur Tagespolitik auf sich aufmerksam macht, war Köhler kein Berufspolitiker und verfügte über keinerlei Netzwerke im Regierungsviertel.
Am 31. Mai kommt der Paukenschlag
Was ist das für ein Mann, der die Tagespolitik mied, das große Rad aber im Hintergrund drehte? Insbesondere während der Verhandlungen mit der DDR über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion spielte er eine zentrale Rolle. „Ich bin nicht Bundespräsident geworden, um nur zu repräsentieren, sondern im Rahmen meines Amtes mitzuhelfen, daß wir als Land, als Volk vorankommen“, sagte er zu Beginn seiner Amtszeit. „Ich glaube, der Bundespräsident sollte schon sagen, was er für richtig hält.“
So weitete er den Blick der Politik auf den afrikanischen Kontinent, den er immer wieder bereiste – nicht nur dienstlich, sondern auch privat. Köhler warb für eine gleichberechtigte Partnerschaft mit dem Nachbarkontinent, den man nicht nur als Krisenherd begreifen dürfe. Von 2017 bis 2019 war er als UN-Sonderbeauftragter für den Westsahara-Konflikt tätig.
Da war er längst aus dem Schloß Bellevue ausgezogen, dem Amtssitz des Bundespräsidenten. Köhler hatte 2009 erneut für das höchste Staatsamt kandidiert und sich – wie schon 2004 – gegen die SPD-Kandidatin Gesine Schwan durchgesetzt. Ein Jahr später, am 31. Mai 2010, dann der Paukenschlag: Als erster Bundespräsident trat Köhler von seinem Amt zurück.
„Horst wer?“ – das war einmal
In einem Interview hatte er erklärt: „Ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit einer starken Außenhandelsorientierung muß im Notfall seine Handelswege auch militärisch schützen.“ Plötzlich geriet der zurückhaltende Mann innenpolitisch in schweres Fahrwasser. Köhler wurde unterstellt, er befürworte Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt seien.
„Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie läßt den notwendigen Respekt vor meinem Amt vermissen“, reagierte ein tief getroffener Köhler – und trat zurück. Kanzlerin Angela Merkel versuchte noch, ihn umzustimmen. Vergeblich. Der Mann der leisen Töne habe mit dem rauhen Ton im Berliner Regierungsviertel gefremdelt, hieß es damals. In der Bevölkerung war der neunte Bundespräsident der Bundesrepublik beliebt. „Horst wer?“ – das war einmal.
Horst Köhler wurde 1943 als siebtes von acht Kindern im damals von Deutschland besetzten polnischen Skierbieszów geboren. Seine Familie floh vor Ende des Zweiten Weltkrieges vor den sowjetischen Truppen nach Leipzig und 1953 weiter nach Westdeutschland. Ludwigsburg wurde ihm, seiner Frau Eva Luise und den beiden Kindern zur neuen Heimat. Jetzt ist Horst Köhler im Alter von 81 Jahren gestorben.