BERLIN. Der Historiker Heinrich August Winkler hat sich gegen ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD ausgesprochen. „Ich halte das Risiko, daß ein Verbotsantrag vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen wird, für hoch“, sagte das SPD-Mitglied im Interview mit dem Tagesspiegel. „Ein solcher Ausgang würde die AfD stärken und die liberalen Kräfte schwächen.“
Winkler betonte, es gebe keine Alternative zur harten offensiven Auseinandersetzung „mit dieser in Teilen rechtsextremen Partei“. Sie trete „sehr viel radikaler“ auf als andere europäische Rechtsparteien. Zugleich stellte er klar: „Die 1952 verbotene Sozialistische Reichspartei war, anders als die AfD, eine eindeutig neonazistische Partei.“ Die SRP galt als Nachfolgepartei der NSDAP in der Bundesrepublik.
Winkler warnt die SPD
Winkler legte den anderen Parteien nahe, „auf berechtigte Sorgen, zum Beispiel auf dem Gebiet der irregulären Migration“, einzugehen. „Das sicherste Mittel, um den Zulauf der AfD einzudämmen, ist eine erfolgreiche Regierungsarbeit.“ Kontraproduktiv sei dagegen „ein lautstark ausgetragener Dauerstreit innerhalb der schwarz-roten Koalition“.
Im Interview mit der FAZ machte Winkler der eigenen Partei Vorwürfe. „Die SPD hat zeitweilig das Gespür für die Alltagssorgen der meisten Menschen verloren.“ Seit dem Godesberger Programm von 1959, mit dem sich die SPD vom Marxismus löste, sei es der Partei um eine Verbindung zwischen Arbeiterschaft und reformwilligen Kräften des Bürgertums gegangen.
„Das ist bei nicht wenigen Funktionären und vielen Jungsozialisten in Vergessenheit geraten“, klagte Winkler. „Sie haben sich in einem ideologischen Purismus verbarrikadiert, der für Regierungskoalitionen brandgefährlich ist. Die Einsicht in die Notwendigkeit von politischen Kompromissen ist schwach entwickelt.“
Kritik am individuellen Asylrecht
Winkler gilt als einer der bekanntesten Historiker der Bundesrepublik. Er machte sich unter anderem mit seinem Werk „Der lange Weg nach Westen“ einen Namen. Am Donnerstag erscheint seine Autobiographie. Im Februar hatte der 86jährige mit einem Essay im Spiegel für Aufsehen gesorgt, in dem er herausarbeitete, daß die Väter und Mütter des Grundgesetzes keinen allgemeinen Rechtsanspruch auf Asyl im Kopf hatten, als sie die entsprechenden Passagen der Verfassung konzipierten.
Winkler beklagte, daß sich in Deutschland „eine Geschichtslegende“ vom „subjektiven individuellen Grundrecht auf politisches Asyl“ behaupte. Er forderte: „Wer die faktische Umwandlung des deutschen Asylrechts in ein Einwanderungsrecht effektiv beenden will, muß das subjektive durch das institutionelle Asylrecht ersetzen.“ (ser)