KARLSRUHE. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag zurückgewiesen. Diese Ergänzungsabgabe sei durch einen Mehrbedarf durch die Deutsche Einigung weiterhin gerechtfertigt, entschieden die Richter des Zweiten Senats am Mittwoch. „Die Verfassungsbeschwerde blieb daher erfolglos.“
Eingeführt wurde das Solidaritätszuschlaggesetz zum 1. Januar 1995, um die Mehrkosten durch die Aufnahme der neuen Bundesländer zu decken. Dazu wurde zunächst ein Zuschlag von 7,5 Prozent auf die Einkommens- und die Körperschaftsteuer erhoben. 1998 sank der Zuschlagsatz auf 5,5 Prozent. Allerdings sind die Einnahmen nicht zweckgebunden und können also für andere Ausgaben verwendet werden.
Das vierte und letzte Kabinett Merkel beschloß 2019 eine Entlastung von rund 90 Prozent der Soli-Zahler durch eine Freigrenze. Dadurch reduzierten sich die Einnahmen 2021 von 19 Milliarden Euro auf zehn Milliarden Euro. Für Körperschaften – also Unternehmen – und sogenannte Spitzenverdiener griff das von Schwarz-Rot beschlossene Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlages jedoch nicht. Dagegen wandten sich sechs FDP-Abgeordnete mit einer Verfassungsbeschwerde.
Bundesverfassungsgericht erklärt Mehrbedarf als begründet
Sie argumentierten einerseits gegen die 2020 weiterhin bestehende Solidaritätszuschlagspflicht – damals seit 25 Jahren in Kraft. Andererseits fühlten sie sich in ihrem allgemeinen Gleichheitssatz verletzt. In Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Dies stehe im Konflikt mit der selektiven Erhebung des Solidaritätszuschlags.
Dieser Argumentation folgte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht. Grundsätzlich sei der Solidaritätszuschlag eine verfassungskonforme Ergänzungsabgabe. Auch die Voraussetzung, daß ein aufgabenbezogener finanzieller Mehrbedarf besteht, werde erfüllt. Einen Wegfall dieses Mehrbedarfes könne Karlsruhe nicht erkennen – auch nicht 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Allerdings sei der Gesetzgeber verpflichtet, regelmäßig zu prüfen, ob der Mehrbedarf noch besteht. Dabei habe der Bundestag einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum.
Weiter widersprachen die Verfassungsrichter den Beschwerdeführern, wonach eine Staffelung des Solidaritätszuschlags den Typus der Ergänzungsabgabe nicht verletze. Auch der Gleichheitsgrundsatz werde nicht verletzt. Denn die Staffelung auf Einkommen könne nicht mit Körperschaft- und Kapitalertragsteuer verglichen werden.
Richterin Wallrabenstein kritisiert politische Einmischung durch Urteil
Gegen die Mehrheitsmeinung des Senats argumentierte die Richterin Astrid Wallrabenstein. Sie kritisierte die Pflicht zur Überprüfung, ob der Solidaritätsbeitrag überhaupt noch erhoben werden muß. Eine solche Pflicht existiere im Grundgesetz nicht und das Bundesverfassungsgericht schreibe dem Gesetzgeber nun etwas vor, was er möglicherweise politisch nicht wolle. Das sei eine Einmischung in politische Entscheidungen, argumentiert Wallrabenstein.
Weiter bemängelt die Richterin, daß das Bundesverfassungsgericht die Steuer überhaupt kippen könnte, wenn der Gesetzgeber nicht sauber begründet, weshalb sie erhoben wird. Das sei ein zu großer Eingriff in die Finanzpolitik, die eigentlich Sache des Bundestags ist. Letztlich schränke das Bundesverfassungsgericht dadurch den Gestaltungsspielraum des Parlaments zu weit ein. Grundsätzlich bewertete sie auch die Kontrolle des aufgabenbezogenen Mehrbedarfs durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich problematisch.
Hätte der Zweite Senat den Solidaritätsbeitrag seit 2020 gekippt, wäre im laufenden Jahr ein Haushaltsloch in Höhe von 12,75 Milliarden Euro entstanden. Hinzu kämen rund 65 Milliarden Euro, die seit 2020 hätten zurückbezahlt werden müssen.
AfD: „Schlag ins Gesicht der Steuerzahler“
Entsprechend begrüßte der geschäftsführende Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) das Urteil. Dadurch sei „Klarheit für die Aufstellung des Bundeshaushalts“ geschaffen worden.
Aus der Union kam ein Impuls zur Änderung. „Wir akzeptieren das Urteil. Gleichwohl bräuchten wir jetzt dringend steuerliche Entlastungen für die Unternehmen und für die arbeitende Mitte, damit der Standort Deutschland im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig wird und wir auf einen Wachstumskurs zurückkehren“, sagte Haushaltspolitiker Mathias Middelberg der dpa.
Die AfD-Bundestagsfraktion sprach von einem „Schlag ins Gesicht der Steuerzahler“. Der finanzpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Kay Gottschalk, monierte eine fehlende „verfassungsrechtliche Legitimation“ des Solidaritätszuschlags. „Es ist an der Zeit, daß die anderen Fraktionen ihre Blockadehaltung aufgeben und gemeinsam mit uns für eine gerechte und verfassungskonforme Steuerpolitik sorgen“, forderte Gottschalk mit Blick auf die Mehrheit von AfD und Union im Bundestag. (sv)