Die Ampel habe einige Fehler der früheren rot-grünen Bundesregierung korrigiert, lobte Jürgen Trittin seine grünen Parteifreunde und deren Koalitionspartner in seiner letzten Rede als Bundestagsabgeordneter vergangene Woche im Plenum. Die Kunst sei, in der Umkehr den Kurs zu bewahren, resümierte er – anschließend gab es für ihn stehende Ovationen und es wurde dem vorzeitig aus dem Parlament Ausscheidenden parteiübergreifend ordentlich Honig ums Maul geschmiert. „Lieber Jürgen Trittin, Sie haben dem Bundestag 25 Jahre lang angehört, dafür möchte ich mich persönlich, aber auch im Namen des Hauses bei Ihnen bedanken“, faßte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) die Würdigungen von höchster Stelle zusammen.
@spdbt Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dankt Jürgen Trittin für 25 Jahre im #Bundestag ♬ Originalton – SPD im Bundestag
Fürwahr, mit seinen sieben Sternchen im berühmten rot-weiß-gestreiften Verzeichnis („Kürschners Volkshandbuch“), von denen jedes für eine Wahlperiode steht, ist der 69jährige ein Bundestags-Oldie. Nur drei der derzeit 736 Mandatsträger sitzen länger als er im Hohen Haus. Seine Dernière am Rednerpult gab er – noch ganz außenpolitischer Sprecher oder schon Elder Statesman – im dunkelblauen Anzug mit dunkler Krawatte und weißem Hemd.
Trittins Marsch durch die Institutionen
Was für ein Unterschied zu jenem Jürgen Trittin, der sich am Beginn seiner politischen Karriere (Laufbahn-Typ Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal) so gern als Enfant terrible gab. Irgendwo in den archivalischen Tiefen der Göttinger Universität müßte noch das Foto existieren, das den jungen Studenten Jürgen zeigt, wie er sich lässig auf einen Tisch im Hörsaal oder Seminarraum fläzt, um mit seinen Genossen vom Kommunistischen Bund eine Veranstaltung des CDU-nahen Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) zu verhindern. In den Jahren 1979 und 1980 war Trittin für die Liste Demokatischer Kampf (LDK) Mitglied im Allgemeinen Studentenausschuß (AStA) der traditionsreichen Uni – als Außenreferent; da schließt sich der Kreis.
Später wird ihn dieses Engagement einholen, als er sich für den sogenannten „Mescalero“-Nachruf, der eine „klammheimliche Freude“ über den Mord der RAF an Generalbundesanwalt Siegfried Buback zum Ausdruck brachte, rechtfertigen muß. Trittin war zwar nicht der Verfasser, doch Mitherausgeber jener AStA-Postille und hatte sich zunächst nicht von dem Nachruf distanziert.
1980 wechselt der gebürtige Bremer von der K-Gruppe zu den neuen Grün-Alternativen, fünf Jahre später ist er ihr Fraktionsvorsitzender im niedersächsischen Landtag, in den er es dank Rotation schafft. Dort ist seine Nähe zur linksradikalen Göttinger Szene häufiger Stein des Anstoßes. Nächster Karriereschritt: Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten in Hannover im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder (SPD). Der holt ihn auch in seine Bundesregierung, wo Trittin den Atomausstieg verhandelt. In der ihm eigenen, leicht arroganten Schnoddrigkeit prognostizierte der Minister, die Energiewende werde den einzelnen Bürger nicht mehr kosten als eine Kugel Eis …
Trittin blieb stets Vertreter des linken Flügels; aber auch Pragmatiker, der mit wolkigen Formeln die Abkehr von alten grünen Dogmen zu verschleiern verstand. Seinen größten politischen Erfolg kann er im Verhindern verbuchen: Maßgeblich torpedierte der erklärte Gegner schwarz-grüner Bündnisse die Jamaika-Koalitionsverhandlungen Ende 2017. Nun also scheidet er vorzeitig aus dem Bundestag aus. Immerhin konnte sich Trittin in seinen letzten Monaten als Parlamentarier noch stilecht einen Ordnungsruf („Herr Gauland, wenn Sie mal nicht heimlich in ‘Mein Kampf’ schmökerten, sondern Wilhelm Busch läsen …“) einhandeln.