Die sich abzeichnende Flüchtlingswelle aus Afghanistan setzt unter deutschen Politikern wieder das bekannte Ritual in Gang, für die grenzenlose Aufnahme von Flüchtlingen zu plädieren. Zum Sieger im Rennen um die schnellste Aufnahmezusage erklärte sich Hamburgs regierender Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Am Montag twitterte er: „Als erstes Bundesland hat Hamburg heute angeboten, unmittelbar und unbürokratisch 200 Gerettete aufzunehmen.
Die Entwicklung in #Afghanistan ist dramatisch. Die deutschen Staatsangehörigen und afghanischen Ortskräfte müssen so schnell wie möglich in Sicherheit gebracht werden. Als erstes Bundesland hat Hamburg heute angeboten, unmittelbar & unbürokratisch 200 Gerettete aufzunehmen.
— Peter Tschentscher (@TschenPe) August 16, 2021
Dem wollte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmer (Grüne) nicht nachstehen und kündigte laut SWR an: „Die Bilder aus Afghanistan sind erschütternd. Das Land Baden-Württemberg steht selbstverständlich zur Unterstützung bereit und wird Menschen aus Afghanistan aufnehmen.“
Bedford-Strohm will nicht nur Ortskräfte aufnehmen
Ihre Aufnahmebereitschaft kombinierte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) mit einer Attacke gegen die Große Koalition, die sie via Tagesspiegel vortrug. „Mich macht es fassungslos, wie die Bundesregierung tatenlos dem Vormarsch der Taliban zugeschaut hat. Es braucht jetzt schnelle Kontingentlösungen in Deutschland für Geflüchtete aus Afghanistan. Berlin steht bereit, Menschen aufzunehmen.“
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, war da spät dran. Er erhöhte den Einsatz und warb dafür, nicht nur Afghanen aufzunehmen, die die Bundeswehr unterstützt haben. „Wir haben als Land in den vergangenen Jahren Mitverantwortung in Afghanistan getragen. Gerade deshalb ist es jetzt auch an uns, einen solidarischen Beitrag zur Bewältigung der Folgen zu leisten, indem wir dafür sorgen, daß Menschen, denen die Flucht aus Afghanistan gelingt, menschenwürdige Aufnahme finden“, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung am Dienstag.
Pro Asyl wirbt für Luftbrücke
Derweil verlangten Flüchtlingsorganisationen wie Seebrücke und Pro Asyl die Einrichtung einer Luftbrücke für Afghanen nach Deutschland. Auf Twitter postete das Bündnis Seebrücke Aufrufe für entsprechende Demonstrationen im ganzen Land.
Neben Hilfskräften der Bundeswehr und deren Familien sollen nach dem Willen von Pro Asyl auch deren erwachsenen Angehörige ausgeflogen werden. Außerdem müßten „Journalisten, die für deutsche Medien gearbeitet oder sich ihn ihnen kritisch geäußert haben; Wissenschaftler, die in Deutschland studiert oder geforscht haben; Frauenrechts- und Menschenrechtsverteidiger, Autoren, Künstler, Sportler sowie Angehörige religiöser, ethnischer und sexueller Minderheiten“ evakuiert werden. Außerdem warteten Familienangehörige von in Deutschland lebenden Afghanen zum Teil bereits seit Jahren auf Visa zum Familiennachzug. Diese Personen sollen ebenfalls sofort aus dem Land geholt werden, heißt es in einer Mitteilung.
Am Wochenende hatten die Taliban mit der Einnahme der Hauptstadt Kabul praktisch die Kontrolle über Afghanistan gewonnen. Flüchtlinge bemühen sich seitdem, das Land zu verlassen. Das führte in den vergangenen Tagen zu dramatischen Szenen am Flughafen von Kabul, wo Menschenmassen versuchten, in Flugzeuge zu gelangen.