Der Empfang ist frostig. Am Ortseingang von Tettau, einem 2000-Seelen-Örtchen nahe der bayrisch-thüringischen Grenze in Oberfranken, hängt am Dienstag ein Plakat mit einem durchgestrichenen AfD-Schriftzug. „Gehören Sie auch zu denen?“ fragt bereits der Taxifahrer auf dem Weg zur Festhalle des Ortes argwöhnisch.
Die Polizei ist mit mehreren Einsatzfahrzeugen präsent. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite haben sich etwa 50 linke Demonstranten eingefunden, pfeifen die knapp 250 erschienenen AfD-Mitglieder auf ihrem Weg in die Tettauer Festhalle aus. „So etwas bin ich nicht gewöhnt“, meint eine ältere Frau.
„Das heute ist harmlos, da haben wir schon ganz andere Sachen erlebt“, erklärt ihr Siegfried Lang, Organisator des ersten Deutschlandtreffens der neu gegründeten innerparteilichen Interessengemeinschaft „Alternative Mitte“ (AM).
Gemäßigte wollen sich besser vernetzen
Wollten die Demonstranten wirklich Rechtsextremismus verhindern, so müßten sie in diesem Fall eigentlich Beifall klatschen. Schließlich gründete sich die AM gerade deshalb, weil sie eine Radikalisierung der neuen, jetzt auch im Bundestag vertretenen AfD abwenden möchte.
„Die radikalen Kräfte in unserer Partei sind deutlich besser vernetzt als die gemäßigten Mitglieder“, sagt Robert Schmidt, AfD-Gründungsmitglied und Vorsitzender des Kreisverbandes Mannheim der JUNGEN FREIHEIT. Mit der AM wolle man das nun ändern und sich ähnlich wie der „Flügel“ oder die „Patriotische Plattform“ parteiintern organisieren.
Das Interesse daran ist groß. Mehrere Stühle müssen zusätzlich in die gut gefüllte Halle gebracht werden. Auch die Parteiführung gibt der Gründung ihren Segen. Mit Beatrix von Storch und Alice Weidel haben zwei führende Mitglieder des AfD-Bundesvorstandes ihr Kommen zugesagt. Weidel muß jedoch absagen. Die Strapazen des Wahlkampfes der vergangenen Tage hätten sich bei ihr bemerkbar gemacht, läßt sie als Begründung mitteilen.
Weidel betont Wichtigkeit von gemäßigtem Flügel
Doch in ihrer vor der Versammlung verlesenen Grußbotschaft betont sie die Wichtigkeit und Notwendigkeit eines gemäßigten, bürgerlich-liberalen Lagers in der AfD. Entgegen anders lautenden Meldungen stellt sie klar, daß sie keinesfalls zugestimmt habe, das Parteiausschlußverfahren gegen den thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke zu beenden. Beifall brandet auf, Erleichterung bei den AM-Anhängern. Aber sie sagt auch: „In Sachen Leidensfähigkeit und Ausdauer kann sich das gemäßigte Lager etwas vom Flügel abschauen.“
Auch die stellvertretende Vorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, begrüßt die Gründung der Alternativen Mitte. „Die AfD braucht einen nationalkonservativen und einen bürgerlich-liberalen Flügel. Wenn Sie sich jetzt zusammenschließen, dann ist das im Interesse der Partei.“ Auf das Gleichgewicht der Lager müsse geachtet werden. Und: „Es muß rote Linien geben, die nicht ohne Konsequenzen überschritten werden dürfen.“
Wieder brandet starker Beifall in der Halle auf. Ein klarer Warnschuß Richtung Höcke, den von Storch in Anlehnung an ein Zitat von Botho Strauß noch weiter verdeutlicht. „Wir wollen die Fußballfreunde, aber wir wollen nicht die Hooligans.“ Nationalkonservative hätten die Aufgabe, Grenzen nach Rechtsaußen zu setzen. „Wenn wir scheitern, wird es eine zweite Chance nicht mehr geben.“
Es gibt nur eine AfD
Deswegen müßten beide Lager zusammenfinden. Eine breit aufgestellte bürgerliche Alternative sei genau das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Anhänger fürchten. „Die wünschen sich nichts sehnlicher, als daß wir uns radikalisieren oder zerstreiten.“
Es gebe „nur diese AfD“ und es werde auch keine neue mehr geben. Abspaltungen seien in jungen Parteien nichts Ungewöhnliches. „Wir hatten den Austritt von ein paar Professoren und jetzt den eines Ehepaars. Das war’s“, setzt sie auch noch einen Seitenhieb in Richtung Bernd Lucke und die frisch ausgetretenen Frauke Petry und Marcus Pretzell.
Den Begriff „völkischer Nationalismus“ mit der AfD zu verbinden lehnt sie ab. „Das weisen wir entschieden zurück.“ Die „Hauptstrompresse“ zeichne von der Partei ein falsches Bild. „Es ist nicht antiliberal, eine antiliberale Ideologie zu bekämpfen“, verteidigt von Storch den Kampf gegen die „Islamisierung“. Jemand wie Franz Josef Strauß wäre nicht in die AfD eingetreten, er hätte sie gegründet, ist sich die Europaabgeordnete sicher.
In der Kritik am Höcke-Flügel und der Patriotischen Plattform sind sich die Anhänger der AM einig. „Unbelehrbare Rechtsausleger machen uns das Leben schwer“, beklagt ein AM-Vertreter aus Niedersachsen. Auf dem Parteitag im Dezember werde über das Schicksal der Partei entschieden. Sollte das gemäßigte Lager dort marginalisiert werden, könne er sich „schon vorstellen, daß auch für mich dann die Reise vorbei ist“. Aber es könne auch dazu kommen, daß die AfD zu einem gemäßigteren Kurs komme.
„Wir wären schon längst bei 20 Prozent, wenn manche in der Partei nicht ständig verbal entgleisen“, kritisiert der ebenfalls aus Niedersachsen stammende Christopher Jahn. Die AfD habe nicht wegen, sondern trotz der innerparteilichen Provokationen so ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl erhalten.
„Wir haben immer noch mit dem Igitt-Faktor zu kämpfen“
Ein AM-Vertreter aus Thüringen spricht über „bedenkliche Entwicklungen in der AfD“. Man habe ihn aus der parteiinternen WhatsApp-Gruppe hinausgeworfen, nur weil er die Alternative Mitte mitgründete. „In der DDR wurden Leute wie André Poggenburg (Landesvorsitzender der AfD Sachsen-Anhalt) Einflußagenten genannt, die das Ziel verfolgen, eine Organisation zu diskreditieren.“ Die bürgerliche Mitte schrecke die Wortwahl dieser Protagonisten „zu Recht“ ab. „Wenn sich die Radikalen durchsetzen, bin ich sicher, daß wir enden wie die Schill-Partei.“
Kai-Uwe Ziegler aus Sachsen-Anhalt kritisiert unter starkem Beifall: „Wir haben immer noch mit dem Igitt-Faktor zu kämpfen, weil einige meinen, sie müßten ständig rote Linien überschreiten. Ich möchte mich nicht ständig rechtfertigen müssen für die Ausfälle einzelner.“
Scharfe Kritik gibt es auch am Sprecher der Patriotischen Plattform, Hans-Thomas Tillschneider. „Ränder haben Abgründe. Leute wie Herr Tillschneider sind dieser Abgrund“, schimpft der Berliner AfD-Schatzmeister Hans-Christian Hansel.
Stehende Ovationen für seine eher nachdenkliche Rede erhält der ehemalige FAZ-Journalist Konrad Adam. „Oben und Unten unserer Gesellschaft fallen auseinander. Das zu heilen ist eine der wichtigsten Aufgaben der AfD“, mahnt er.