Im Bremer Musical-Theater läuft gerade „Stomp“. Die Macher des Stücks versprechen den Zuschauern, sie mit der „hohen Kunst des Fingerschnipsens, Besenschwingens und Mülltonnenschepperns in phantastische Klangwelten“ zu entführen. Auch beim Bundesparteitag der AfD in Bremen, auf dem es ab Freitag um die Zukunft der Euro-Kritiker geht, könnte es hoch hergehen. Nach wochenlangem Streit über die künftige Führungsstruktur der Partei steht nun die Satzung zur Abstimmung.
Und noch etwas verbindet die Euro-Kritiker der AfD mit den Musikern von „Stomp“. Weil das Interesse der Mitglieder sämtliche Planungen der Berliner AfD-Zentrale über den Haufen geworfen hat, mußte die Partei neben mehreren Sälen im Tagungshotel Maritim kurzfristig auch noch das knapp anderthalb Kilometer entfernte Bremer Musical-Theater als Ausweichquartier anmieten. Der Parteitag, zu dem am Sonnabend, wenn über die Satzung abgestimmt werden soll, rund 3.000 Mitglieder erwartet werden, wird sozusagen zeitgleich auf zwei Bühnen aufgeführt.
Eine Premiere in der deutschen Parteiengeschichte
Das bedeutet: zwei Parteitagspräsidien, und eine Aufteilung des Bundesvorstandes auf beide Veranstaltungsorte. Eine Premiere in der deutschen Parteiengeschichte und eine Herausforderung für jede Parteitagsregie. Überhaupt erst möglich wird dieses aus der Not geborene Experiment durch eine kostspielige Video- und Tontechnik. Mit deren Hilfe sollen die unterschiedlichen Tagungssäle zu einem einzigen „virtuellen Veranstaltungsraum“ zusammengeführt werden, wie AfD-Pressesprecher Christian Lüth erklärt.
Wichtig für das Gelingen sei dabei, daß Bild und Ton völlig synchron und ohne Zeitverzögerung übermittelt würden. Eine technisch und vor allem auch rechtlich anspruchsvolle Konstruktion. Um auf Nummer Sicher zu gehen, hat die Partei nach Angaben von Lüth daher juristischen Rat eingeholt. Denn in einem ist sich die Parteispitze einig: Bremen darf nicht scheitern. Schon im April steht die Neuwahl des Bundesvorstandes an, und im November soll endlich das immer noch ausstehende Parteiprogramm beschlossen werden. Ein ambitionierter Zeitplan.
Doch davon lassen sich in der diskussionsfreudigen Partei nicht alle beeindrucken. Schon Wochen vor dem Parteitag murrten zahlreiche Mitglieder über die für den Parteitag angesetzten wissenschaftlichen Fachvorträge unter anderem zur Sozial- und Gesundheitspolitik sowie angeblich fehlende Tische im Tagungssaal.
„Total absagen muß man den Parteitag ja nicht“
Auf den Plan gerufen hat der Parteitag auch den einstigen Gründer der Hamburger Stattpartei, Markus Wegner, der mittlerweile AfD-Mitglied ist. In der Parteiführung hat sich Wegner im vergangenen Jahr auf dem Erfurter Parteitag mit zahlreichen Anträgen zur Geschäftsordnung einen Namen gemacht. Von der Idee, mittels Übertragungstechnik alle Tagungsräume miteinander zu verbinden, hält der Jurist, der 1991 mit einer Klage vor dem Hamburger Verfassungsgericht erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Neuwahlen in der Hansestadt erzwungen hatte, nichts.
Zur Willensbildung auf einem Parteitag gehöre es auch, sich mit anderen Parteimitgliedern im Gespräch auszutauschen. Das sei bei einer räumlichen Trennung nicht möglich. Doch sein wichtigster Einwand gegen mehrere Tagungsorte: „Davon steht nichts in der Satzung.“ Wegner plädierte daher Anfang der Woche dafür, die Abstimmung über die neue Satzung von der Tagesordnung zu streichen und zu verschieben. Das Treffen in Bremen könne genutzt werden, um ein Meinungsbild zu erstellen. „Total absagen muß man den Parteitag ja nicht“, sagte er.
Der Verlauf des Parteitages entscheidet über das weitere Schicksal
Das hat die Parteispitze auch nicht vor, denn sie sieht sich juristisch auf der sicheren Seite und verweist unter anderem auf ein entsprechendes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Die AfD-Führung hat aber auch gar keine andere Wahl: Der Verlauf des Parteitages entscheidet über das weitere Schicksal der erst vor knapp zwei Jahren gegründeten Partei. Gelingt es den Euro-Kritikern, sich einigermaßen unfallfrei eine neue Satzung und damit eine dauerhafte Struktur zu geben, kann die Partei, die mittlerweile in vier Parlamenten vertreten ist und Hunderte Mandatsträger in den Kommunen stellt, ihre turbulente Gründungsphase abschließen. Mißlingt Bremen, steht alles auf dem Spiel.
Der Wirbel im Vorfeld des Parteitages dürfte der Parteispitze um AfD-Sprecher Bernd Lucke indes gar nicht so ungelegen kommen. Denn dadurch rückt der wochenlange Streit um die Führungsstruktur in den Hintergrund. Der überraschende Kompromißvorschlag, den die Parteispitze Mitte Januar präsentierte, war in weiten Teilen der Partei mit Erleichterung aufgenommen worden. Auch von denen, die sich eigentlich ein anderes Ergebnis gewünscht hatten. Doch am Ende ging es allen Beteiligten vor allem darum, „das Projekt AfD“ nicht zu gefährden, wie AfD-Vize Alexander Gauland im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT eingestand.
„Wir müssen eine Satzung verabschieden“
Eine Leistung, vor der in Bremen nun auch die Mitglieder der Partei stehen. „Der Parteitag ist nicht nur eine logistische und technische Herausforderung, sondern auch eine Herausforderung an die Mitglieder“, formuliert der baden-württembergische Landeschef Bernd Kölmel seine Erwartungen. Ihm sei klar, daß sich in Bremen auch die Zukunft der Mitgliederparteitage entscheide. „Wir müssen zeigen, daß die von uns in der Partei hochgehaltene Basisdemokratie vernünftig angewendet funktioniert.“
Wenn es nicht klappe, würde die Partei ihre eigenen Prinzipien ad absurdum führen, warnt der Europaabgeordnete. Daran, was er von dem Parteitag, den er nach dem Willen des Bundesvorstandes als Tagungspräsident leiten soll, erhofft, läßt Kölmel keinen Zweifel: „Wir müssen eine Satzung verabschieden.“
Funktionäre gewinnen auf Kosten der Basis?
Daß der 32seitige Entwurf jede Menge Konfliktstoff enthält, hat schon die monatelange und konfliktreiche Arbeit der Satzungskomission gezeigt, die zeitweise auch die Parteigerichte beschäftigte. Neben dem Streit um die Ausgestaltung der Führungsspitze dürfte insbesondere der im Satzungsentwurf vorgesehene und als „Konvent“ bezeichnete kleine Parteitag für Diskussionen sorgen. Vor allem die Frage nach der Zusammensetzung und den Kompetenzen des Gremiums ist umstritten.
Nach Ansicht von Markus Wegner, der sich mit rund 100 AfD-Mitgliedern in einer Satzungsinitative zusammengeschlossen hat, gewinnen insgesamt durch den Entwurf die Funktionäre der Partei tendenziell Einfluß auf Kosten der Basis. Auf Kritik stößt zudem das in der neuen Satzung vorgesehene Amt des Generalsekretärs.
Diskussion über angeblichen „Rechtsruck“
Mit Spannung wird zu beobachten sein, ob die inhaltlichen Differenzen zwischen dem konservativ ausgerichteten Parteiflügel um die AfD-Fraktionschefs Gauland, Frauke Petry, Björn Höcke sowie Parteisprecher Konrad Adam und dem eher wirtschaftsliberal orientierten Flügel um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel in Bremen die Diskussion bestimmen werden.
In den vergangenen Wochen war wiederholt von Mitgliedern, die vor allem die Kritik am Euro in die AfD geführt hatte, vor einem „Rechtsruck“ der Partei gewarnt worden. So beklagte sich unlängst ein AfD-Landeschef darüber, daß sich ein großer Teil der von der Bundespartei verbreiteten Pressemitteilungen um die Themen Asyl- und Ausländerpolitik drehe. „Da müssen wir uns nicht wundern, wenn wir in die rechte Ecke geschoben werden.“
„Es gibt keine zwei unterschiedlichen Ideologien in der Partei“
Unbestritten ist, daß die AfD inhaltlich in den vergangenen Wochen vor allem mit dem Thema „Pegida“ in Zusammenhang gebracht worden ist. Zuletzt hatte der Parteiaustritt der stellvertretenden Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel, solchen Spekulationen neue Nahrung gegeben. Nach Ansicht Klingels werde das Euro-Thema zusehends an den Rand gedrängt.
Während Gauland darauf verweist, daß es auch Konservative gebe, die die Partei verließen, sieht Kölmel durchaus die Gefahr, daß der liberale Flügel bröckelt. Von einer Blockbildung innerhalb der AfD will er aber nicht sprechen. „Es gibt keine zwei unterschiedlichen Ideologien in der Partei“, bekräftigt Kölmel.
Kernthema der AfD bleibt die Kritik am Euro
Die Parteispitze verweist zudem auf das Ergebnis einer zum Jahresanfang abgeschlossenen Urabstimmung unter den AfD-Mitgliedern zur Euro-Politik. Von den mittlerweile rund 22.000 Parteimitgliedern hätten sich 4.000 Mitglieder an der Abstimmung beteiligt. Ergebnis: 97,7 Prozent stimmten der Aussage zu, daß die Eurokrise ohne eine Auflösung des Euro, ohne eine Wiedereinführung nationaler Währungen oder eine Aufspaltung des Euro in kleinere Währungsverbünde nicht lösbar sei.
„Das Ergebnis straft alle anderslautenden Meldungen von einem ‘Politik-Schwenk’, einer Akzentverschiebung oder gar einem ‘Strategiewechsel’ Lügen“, heißt es dazu aus der Parteizentrale. Kernthema der AfD sei und bleibe die Kritik am Euro. Das habe die Urabstimmung mit absoluter Mehrheit deutlich untermauert.
Wenn es stimmt, daß Druck von außen eine Partei zusammenschweißt, sieht es für die AfD in Bremen gut aus. Für Sonnabend haben sich Linksextremisten und Gewerkschafter zu einem „Bündnis gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ zusammengeschlossen und zu einer gemeinsamen Demonstration gegen den AfD-Parteitag aufgerufen, zu der bis zu 5.000 Teilnehmer erwartet werden.
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JF 06/15