Besser hätte der FDP-Europaparteitag für die Alternative für Deutschland (AfD) gar nicht laufen können. „Die AfD ist nicht unser Hauptgegner“, tönte Liberalen-Chef Christian Lindner und schaffte es am vergangenen Sonntag mit diesem Satz in die Hauptnachrichtensendungen. Lindner wollte damit Selbstsicherheit und Siegesgewißheit verbreiten und erreichte doch das genaue Gegenteil. Statt der bewährten politischen Taktik zu folgen und den neuen Gegner „nicht mal zu ignorieren“, verhalf er der Euro-kritischen Partei zu unverhoffter Werbung.
Lindners Patzer machte blitzartig klar: Die FDP fürchtet bei dieser Europawahl nichts mehr als die Euro-Kritiker um Bernd Lucke. Als Horrorszenario gilt in der Berliner FDP-Zentrale seit dem Rauswurf aus dem Bundestag, daß die Liberalen bei der Wahl zum Europäischen Parlament hinter der AfD zurückbleiben. Dann wäre der von allen erwartete Wiedereinzug der Liberalen ins Europaparlament innenpolitisch wertlos. Das Wort von der Wachablösung im Parteienspektrum würde die Runde machen. Die FDP müßte endgültig ums politische Überleben kämpfen.
Aber auch für die AfD geht es am 25. Mai um alles oder nichts. Sollte die Partei an der Dreiprozenthürde scheitern, wäre das Projekt tot. Doch davon will in der AfD niemand etwas wissen. Auch nach den Querelen der vergangenen Wochen in einigen Landesverbänden – allen voran in Hessen – ist der Einzug in das Europaparlament fest eingeplant. Dabei spielt die Euro-Krise in der Öffentlichkeit längst nicht mehr die Rolle wie noch vor einem Jahr, als sich die Partei wie aus dem nichts gegründete und zur Überraschung des Bundestagswahlkampfs wurde.
Unmut über mangelnde Programmarbeit
Will die Partei an die sensationellen 4,7 Prozent bei der Bundestagswahl anknüpfen, oder diese besser noch übertreffen, muß der Europaparteitag am Sonnabend in Aschaffenburg einigermaßen glatt über die Bühne gehen. Versinkt das Delegiertentreffen vor den Augen der Öffentlichkeit in einem ähnlichen Chaos wie jüngst der Landesparteitag in Hessen, wäre das Wahljahr für die AfD bereits gelaufen.
Auch deshalb hat die Parteispitze das Treffen seit Wochen akribisch vorbereitet. Eine Große Europakommission aus Vertretern der Bundespartei und der Landesverbände hat sich auf die Grundzüge eines Europawahlprogramms festgelegt, über das die Delegierten in Aschaffenburg abstimmen sollen. Dies dürfte nicht völlig reibungslos ablaufen. In der Partei herrscht eine verbreitete Unzufriedenheit mit der als schleppend empfundenen Programmarbeit der Partei. So hat die AfD immer noch kein Parteiprogramm. Nicht wenige vermuten, daß die Parteiführung um Lucke die zu erwartenden Auseinandersetzungen mit Blick auf den Europawahlkampf scheuen. Immerhin ist für Ende März nun ein Programmparteitag angesetzt.
Für Diskussionen in Aschaffenburg könnte insbesondere die Position der Partei zu einem EU-Beitritt der Türkei sorgen. Die Europakommission der AfD konnte sich hier nicht auf eine eindeutige Ablehnung festlegen. Auch das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten birgt Konfliktpotential.
„Henkel ist Henkel“
Im Vordergrund wird allerdings die Aufstellung der Europaliste stehen. Die Parteiführung geht davon aus, daß die Partei mit sechs bis acht Abgeordneten in das Europaparlament einziehen könnte. AfD-Sprecher Bernd Lucke ist als Spitzenkandidat gesetzt. Trotz der in den vergangenen Wochen aufkeimenden Kritik an seinem von manchen als autoritär empfundenen Führungsstil gilt er als unersetzlich. „Ohne Lucke“, so ein Vorstandsmitglied, „wäre die Partei am Ende.“ Gerade aus diesem Grund sorgt Luckes bevorstehender Gang nach Brüssel auch für Unbehagen. Künftig könne er nicht mehr jedes Wochenende auf irgendeinem Landesparteitag unterwegs sein, um Streit zu schlichten.
Doch zu Lucke, der dank seiner zahlreichen Fernsehauftritte bislang das einzig bekannte Gesicht der jungen Partei ist, gibt es als Spitzenkandidat keine Alternative. Auch aus einem anderen Grund. Bislang hat sich Lucke von der Universität Hamburg für seine Parteiarbeit teilweise beurlauben lassen. Doch dies ist nicht länger möglich. Ein Mandat im Europaparlament würde Lucke und damit die Partei daher von einer Sorge befreien. Denn eins hat der fünffache Familienvater früh deutlich gemacht: Seine Beamtenstellung wird er für die Partei nicht aufgeben.
Für Listenplatz zwei wird Hans-Olaf Henkel kandidieren. Bereits der Medienandrang auf der Pressekonferenz in Berlin anläßlich seines Eintritts in die AfD zeigte, daß der frühere BDI-Präsident immer noch ein öffentlichtswirksames Zugpferd ist. Manchen Parteimitgliedern ist der einstige Euro-befürworter allerdings zu wechselhaft; andere halten ihn nur für schwer integrierbar. „Henkel ist Henkel“, sagte ein Vorstandsmitglied.
Auch Landesverbände machen Ansprüche geltend
Um die weiteren Plätze werden erbitterte Auseinandersetzungen befürchtet, zumal nachdem Lucke angeregt hat, jeden dritten Listenplatz mit einer Frau zu besetzen. Für Platz drei der Europaliste könnte Ulrike Trebesius kandidieren. Die 43 Jahre alte Landessprecherin aus Schleswig-Holstein gilt als Luckes Favoritin für diesen Platz. Doch auch der Chefin der „Zivilen Koalition“, Beatrix von Storch, und der AfD-Pressesprecherin Dagmar Metzger werden Ambitionen nachgesagt. Während von Storchs Chancen von ihrem gespannten Verhältnis zu Lucke belastet sind, gilt die in der Parteispitze geschätzte Metzger vielen Konservativen in der Partei als rotes Tuch.
Dabei ist überhaupt nicht ausgemacht, daß die Delegierten sich auch tatsächlich darauf einlassen, Platz drei mit einer Frau zu besetzen. Allen voran die Landesverbände Baden-Württemberg (mit Sprecher Bernd Kölmel) und Nordrhein-Westfalen (Alexander Dilger), haben ebenfalls Ansprüche auf einen aussichtsreichen Listenplatz angemeldet. Die Delegierten können sich auf einen langen Tag einrichten.
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JF 5/14
> Die JF wird am Sonnabend mit einem Live-Ticker vom AfD-Parteitag berichten