Übergriffe auf Menschen, die eine Kippa tragen, eine verwunderte jüdische Gemeinde, ein empörter israelischer Botschafter, eine aufgebrachte Menge, die Sprüche wie „Juden ins Gas“ und „Kindermörder Israel“ skandiert: Was sich derzeit auf deutschen Straßen abspielt, geschah bereits schon einmal. Vor fünf Jahren, im Frühjahr 2009, bei der vorigen großen Militäroperation Israels im Gaza-Streifen, konnte man genau dieselben Szenen beobachten.
Überrascht kann daher eigentlich niemand über die gegenwärtige Entwicklung sein. Aber doch, die Politik und das deutsche Feuilleton zeigen sich verwundert – wieder einmal. „Wie kann denn das sein?“ grübelte der Antisemitismusforscher Lars Rensmann in der Welt. Ja, wie wohl schon. Künftige Psychologen werden einmal ein reiches Betätigungsfeld in der Aufarbeitung der ideologischen Kapriolen finden, zu denen sich deutsche Zeitungsschreiber derzeit hinreißen lassen.
Man könnte geradezu Mitleid mit den Ideologen bekommen
Da ist zunächst einmal die allseits bekannte hysterische Betroffenheitsvereinnahmung. Ausgerechnet bei uns, bei unserer Vergangenheit, und so weiter. Ernsthaft wird hier über „deutschen Judenhaß“ und „Antisemitismus in Deutschland“ sinniert. Doch die gewohnte, moralinsaure Freude will sich bei den üblichen Scham-und-Schuld-Ritualen nicht mehr einstellen. Geradezu beleidigt klingt es, wenn das Offenkundige zur Kenntnis genommen wird: Es sind keine Deutschen, die derzeit Jagd auf Juden machen.
Man könnte geradezu Mitleid mit den Ideologen bekommen. Jahrzehntelang hämmerten sie uns ein, daß Judenfeindlichkeit ein Merkmal des Abendlandes im allgemeinen und der Deutschen im besonderen sei. Als alleiniges Heilmittel galt die Impfung mit dem Multikulturalismus, durch den die furchtbar dumpfe, spießige und eben judenfeindliche Homogenität zerstört werden sollte. Daß dabei der Patient totgespritzt wird, nahm man billigend in Kauf. Es diente ja dem Großen, Ganzen.
Tut nichts, der Deutsche ist schuld
Diese intellektuelle Kinderei, befreite Individualitäten mit ihren multikulturellen Identitäten würden sich über den deutschen Leichnam hinweg die Hände reichen, sie zeigt sich zunehmend in ihrer ganzen Lächerlichkeit. Denn was gibt es Lächerlicheres als die ganzen Antisemitismusforscher, welche nun die Scherben ihrer Ideologie zusammenkehren? „Judenfeindliche Äußerungen“, schreibt eben jener Rensmann, stammen nicht nur von Einwanderern, „sondern aus ganz unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus“.
Ja, tatsächlich, der Deutsche ist schuld. Und das Abendland. Wieder einmal. So versteigt sich der Doyen der Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, gegenüber der Westdeutschen Zeitung zu der Aussage: „Klar: Es gibt einen muslimischen Antisemitismus. Aber das ist zu beträchtlichem Teil ein Import aus Europa. Ursprünglich sind die islamischen Gesellschaften nicht rassistisch oder antisemitisch. Das haben sie von den Deutschen, den Franzosen, den Österreichern gelernt.“
Ein Tanz ums goldene Kalb seit Ewigkeiten
Was sollten Benz, Rensmann und andere Vertreter auch sonst sagen? Entschuldigung, wir haben uns geirrt? Wir sind seit Ewigkeiten um ein goldenes Kalb herumgetanzt und haben dabei nicht schlecht gelebt? Und wir beabsichtigen, das auch in Zukunft zu tun? Denn eben jener Benz war es doch, der unter dem Motto „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ eine „wissenschaftliche Konferenz über das Verhältnis von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ organisierte.
Das war zufälligerweise kurz vor dem vorigen Aufflammen im Gaza-Konflikt. Wenn damals wie heute jüdischen Vertretern von Islamfunktionären angeboten wird, gemeinsam gegen „Antisemitismus und Islamfeindlichkeit“ zu demonstrieren, dann haben sie dieses vergiftete Danaergeschenk nicht zuletzt den vielen Antisemitismusforschern zu verdanken, die auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern für sich eine neue Disziplin entdeckt haben: die Verharmlosung von Judenhaß.
Mit der Einwanderung aus fremden Kulturen haben wir auch deren Konflikte importiert
Man muß sicher kein großer Kenner der islamischen Welt sein, um den dort verbreiteten Judenhaß wahrzunehmen. Wer das aber ignoriert, den kulturellen Hintergrund ausblendet und stattdessen wieder der deutschen Gesellschaft die Schuld geben möchte, der verharmlost nun einmal. Derjenige wird dann in Zukunft immer häufiger wahrnehmen müssen, wie ihm sein Völkerfest zunehmend auf die Füße fällt. Denn der multikulturelle Ernstfall ist längst da.
Von einem bis an die Grenzen ausgereizten Sozialstaat wird verdeckt, was Kassandrarufe auch in dieser Zeitung seit Jahrzehnten prophezeien: der Massenimport von Einwanderern aus fremden Kulturen bringt auch deren Probleme mit nach Deutschland. Noch herrscht kein offener Krieg, doch der demographische Verdrängungsprozeß zeigt seine Wirkung. Die gegenwärtigen Proteste anläßlich des Gaza-Konfliktes sind bei weitem heftiger als noch vor fünf Jahren. In weiteren fünf Jahren wiederum werden sie wahrscheinlich heftiger als heute sein.
Was halten Moslems wohl vom deutschen Minderheiten-Portfolio?
Gewiß, die Ideologen werden die Scherben ihres Systems zusammensetzen und die zahlreichen Risse solange ignorieren, bis der nächste eruptive Ausbruch ihre heile Welt durcheinanderbringt und sie sich wieder verwundert fragen, wie das passieren konnte. Doch die Bombe ist längst gelegt. Ihr Zündmechanismus, für jeden einsehbar, der sich nicht in Blindheit flüchten möchte, läuft tickend ab. Bis zur endgültigen Detonation kann sich der eine oder andere schon einmal ein paar Gedanken machen.
Der Angehörige einer dieser Minderheiten in Deutschland beispielsweise, der bisher sein Auskommen darin fand, die furchtbar dumpfe und spießige Homogenität der Deutschen zu verunglimpfen. Wenn diese erfolgreich beseitigt wurde, wer soll sich dann noch für seinen Sonderstatus interessieren? Etwa die vielen Moslems? Was die vom deutschen Minderheiten-Portfolio halten, haben sie in der Welt hinreichend zum Ausdruck gebracht. War doch eigentlich ein netter Kerl, der spießige Deutsche, nicht wahr?
JF 33/14