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Überwachungsskandal: Partner dritter Klasse

Überwachungsskandal: Partner dritter Klasse

Überwachungsskandal: Partner dritter Klasse

Überwachungsskandal
 

Partner dritter Klasse

Edward Snowden machte es öffentlich: Amerika behandelt Deutschland wie einen Feindstaat. Im engmaschigen Netz weltweiter Geheimdienstüberwachung wird Deutschland ausdrücklich als Überwachungsziel genannt.
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Sogar bekennende Transatlantiker waren wie vom Donner gerührt: Eine halbe Milliarde Telekommunikationsdaten fangen die Amerikaner jeden Monat aus Deutschland ab. Damit steht die Bundesrepublik wie kein anderes europäisches Land im Visier amerikanischer Geheimdienste. Pro Tag zweigt der militärische Nachrichtendienst NSA 15 Millionen Telefon- und 10 Millionen Internetdaten in Deutschland ab und speichert sie. In Frankreich sind es pro Tag nur etwa zwei Millionen.

Der Spiegel, der am Montag über bisher noch unveröffentlichte Geheimdokumente des früheren Nachrichtendienstmitarbeiters Edward Snowden berichtet hatte, spricht von einer „hemmungslosen Rundumüberwachung“. Gebäude der Europäischen Union sowie die Auslandsvertretungen zahlreicher westlicher Verbündeter der USA wurden mit Abhörwanzen präpariert, Telefone angezapft, Internetdaten mitgelesen. Auch die Bundesregierung, möglicherweise sogar die Bundeskanzlerin selbst, sollen abgehört worden sein.

Die Mächtigen selbst sind ins Visier geraten

Die Bundesregierung, die während Obamas Staatsbesuch in Berlin vor zwei Wochen den NSA-Skandal noch mit halbherzigen Forderungen nach mehr Datenschutz kleinzuhalten versuchte, wird nun erstmals deutlicher. „Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Innenminister Hans-Peter Friedrich, der Kritikern des NSA-Programms noch in der vergangenen Woche „eine Mischung aus Antiamerikanismus und Naivität“ vorgeworfen hatte, die ihm „auf den Senkel“ gehe, fordert nun eine Entschuldigung von Washington.

Glaubhaft ist diese Empörung nicht. Solange nur von „Prism“ die Rede war, das sich gegen den einzelnen Bürger richtete, versuchte der Innenminister Bedenken mit Verweis auf den Kampf gegen den Terrorismus zu zerstreuen. Nun, da die Mächtigen selbst ins Visier geraten sind, hat sich seine Bewertung geändert. Der Hinweis, die Abhöraktionen in EU-Gebäuden dienten der Verhinderung von Anschlägen, hätte schließlich wenig überzeugend gewirkt.

Die Deutschen sind „immer hilfreich“ bei der Selbstüberwachung

Auch liegt die Vermutung nahe, daß sich die verschiedenen Geheimdienste ausgetauscht haben. Der britische Geheimdienst darf keine Briten überwachen, der amerikanische keine Amerikaner und der BND keine Deutschen. Was liegt also näher, als einen ausländischen Dienst die schmutzige Arbeit machen zu lassen, um so nationale Bestimmungen wie beispielsweise das Verbot der Vorratsdatenspeicherung zu umgehen.

Im engmaschigen Netz weltweiter Geheimdienstüberwachung gerät Artikel 10 des Grundgesetzes, der das Post- und Fernmeldegeheimnis festschreibt, zum bloßen Papiertiger. Wie blanker Hohn wirkt es da, wenn der frühere NSA-Mitarbeiter William Binney die Deutschen als „immer hilfreich“ für die Zusammenarbeit mit der NSA lobt. Dennoch liegt die Vermutung nahe, daß die Entscheidungsträger zumindest vom Ausmaß der Überwachung überrascht worden sind.

Eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung

Während für die USA die in den Dokumenten zu den „Fünf Augen“ zählenden Verbündeten Großbritannien, Australien, Kanada und Neuseeland als Überwachungsziele tabu waren, wird Deutschland neben weiteren westlichen Verbündeten in den Geheimdokumenten als „Partner dritter Klasse“ bezeichnet und ausdrücklich als Überwachungsziel genannt. Eine schallende Ohrfeige für die Bundesregierung, die statt einer interessengeleiteten Außenpolitik allzuoft eine in romantische Phrasen eingebettete Anbiederungspolitik an den großen Bruder jenseits des Atlantiks betreibt.

Nun gilt es aus der Affäre die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die SPD hat bereits eine Prüfung der Arbeit des BND und eine Verbesserung der eigenen Spionageabwehr verlangt. Nicht eine Reduzierung geheimdienstlicher Aktivitäten, sondern vielmehr deren Ausbau und eine gesteigerte Effektivität sind das Gebot der Stunde. Dies muß freilich unter stärkerem Transparenzdruck als bisher geschehen, vor allem was die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten betrifft. Das Parlamentarische Kontrollgremium reicht als Aufsicht nicht mehr aus.

Droht ein supranationaler europäischer Geheimdienst?

Zu befürchten steht aber, daß die Bundesregierung auch in dieser Sache eine europäische Lösung sucht. Weil sie wie besessen von dem Gedanken sind, als Global Player den USA und Rußland Konkurrenz zu machen, könnten die Entscheidungsträger in den europäischen Hauptstädten wegen dieser Abhöraffäre auf die Idee kommen, einen starken europäischen Geheimdienst als Gegenspieler des NSA ins Leben zu rufen.

Das seit dem Lissabon-Vertrag existierende Joint Situation Centre ist bisher noch auf die Datensammlung durch nationale Geheimdienste angewiesen. Ein solcher europäischer Geheimdienst entzöge sich endgültig jeder rechtsstaatlichen Kontrolle. Merkels klare Worte sowie Forderungen der Bundesregierung nach einer Wiederherstellung zerbrochenen Vertrauens sind nun vor allem nach innen gerichtet.

Die deutsche Linke entdeckt patriotische Töne

Die SPD hat angesichts desaströser Umfragewerte die Affäre als Wahlkampfthema entdeckt und Merkel der Mitwisserschaft beschuldigt. Die Grünen fordern bereits den Abbruch der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Geradezu patriotische Töne kommen von Jürgen Trittin. Die Kanzlerin dürfe sich nicht „wegducken“, fordert er. „Es geht um die Verteidigung unserer Wirtschaft und unserer Interessen.“

Am Montag wurde bekannt, daß Edward Snowden auch in Deutschland Asyl beantragt hat. Diesen Antrag innerhalb der Regierung zu diskutieren und einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, hätte ein erster Schritt hin zu mehr Selbstbewußtsein im Verhältnis zu Amerika sein können – und auch die kleine Rache für einen mehr als unfreundlichen Akt.

JF 28/13

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