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Neujahrsansprache: „Kommet und seht, wie das Grundgesetz geht“

Neujahrsansprache: „Kommet und seht, wie das Grundgesetz geht“

Neujahrsansprache: „Kommet und seht, wie das Grundgesetz geht“

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Neujahrsansprache
 

„Kommet und seht, wie das Grundgesetz geht“

Die mit Spannung erwartete Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde der JF kurz nach Weihnachten zugespielt. Wir erlauben uns, einige Auszüge daraus vorab zu veröffentlichen.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): Überforderung des Grundgesetzes Quelle: ARD; Foto: JF

Liebe europäische Mitbürgerinnen und Mitbürger,

zu Beginn meiner heutigen Ansprache darf ich ein wenig persönlicher werden, als es mir sonst als Bundeskanzlerin erlaubt ist: Mein Vati war der Mann meiner Mutti, und er waltete als Pastor seines geistlichen Amtes; mein präsidialer Kollege Joachim Gauck war ebenfalls Pastor, so daß wir uns prima über nahezu alles verständigen können, was so anliegt.

Für heute haben wir uns verständigt, daß es nicht schaden könnte, wenn ich Ihnen heute abend von Joachim schöne Grüße bestellen und Ihnen zeitgleich ankündigen würde, daß wir uns überlegt haben, ob es nicht machbar und das Beste für alle Beteiligten wäre, wenn wir an Silvester in einem Jahr hier zusammen, im Sinne von gemeinsam, auftreten würden. Das sparte dann uns allen Zeit und Geld und so frage ich Sie, meine lieben Freundinnen und Freunde unserer freiheitlichen Demokratie: Brauchen wir in der Bundesrepublik, in Europa, aber auch im ganzen befreundeten Ausland und in allen Teilen der Welt nicht von beidem mehr denn je?

Unterseeboote für Frieden, Freiheit und soziales Wohlergehen

Zeit und Geld sind in modernen Gesellschaften wie der unseren nahezu alternativlos, und von beidem ausreichend genug zu haben, dafür trete ich als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland Tag für Tag ein, gemeinsam mit unseren europäischen Freunden, aber ebenso mit unseren Verbündeten jenseits des Atlantiks, den USA, und ganz besonders mit unseren israelischen Freunden, mit denen uns am heutigen Silvesterabend eine ganz besonders enge Freundschaft verbindet.

Dies hat geschichtliche Gründe, die jede und jeder von Ihnen da draußen an den Empfangsgeräten kennt, und die nie in Vergessenheit geraten dürfen. Bei allem, was, rein menschenrechtlich gesehen, dort unten vielleicht noch nicht ganz perfekt ist, bleibt Israel doch die einzige funktionierende Demokratie in der Region. Und damit das so bleibt, hat die Bundesregierung unseren israelischen Freunden einige Unterseeboote zukommen lassen, mit denen es noch besser gelingen wird, Frieden, Freiheit und soziales Wohlergehen für alle zu sichern.

Abgeordneten brauchen Hilfe zur Selbsthilfe

2012 war ein Jahr der Anstrengungen für uns und auch 2013 warten große Aufgaben auf uns. Für die Bundesregierung steht die Nachhaltigkeit an oberster Stelle. Nicht nur die Abkehr vom Atomstrom, der Ausbau der alternativen Energien, der Ausbau der Plätze unserer Kindertagesstätten folgt dieser Richtschnur, auch die finanzielle Absicherung der Sie, die Bevölkerung, vertretenden Politiker folgt diesem hohen Wert: Der freie Markt kann das nicht leisten, wir, Ihre Abgeordneten, wir brauchen Hilfe zur Selbsthilfe, und so möchten wir im nun vor uns liegenden Jahr eine gesetzgeberische Maßnahme auf den Weg bringen, die die oft aufopferungsvolle Arbeit von uns Politikerinnen und Politikern angemessen entlohnt.

Angedacht ist eine Art parlamentarischer Mindestlohn, der sich an die Vergütung einheimischer Bankvorstände anlehnt und als Zubrot einen Risikozuschlag beinhaltet, der in etwa die Höhe erreicht, die dem Entgelt entspricht, das EU-Kommissaren nach vier Amtsjahren zusteht. Die Koalitionsrunde hat mir am Vorabend des Heiligen Abends Zustimmung signalisiert, und auch ich denke, das ist alternativlos und wird allen Seiten gerecht.

Liebe Bundesbürgerinnen und Bundesbürger Europas, nachdem wir nun die brennendsten Problemherde innen wie außen behandelt haben, lassen Sie mich zu einem Thema kommen, das mir persönlich am meisten am Herzen liegt: Die von mir und meinen Kolleginnen und Kollegen in Europa, aber auch in der globalen Welt so gut wie gemeisterte Krise der Banken und des Finanzsystems hat fast ein Stück weit vergessen lassen, daß vor uns, in 2013, aber auch noch weit darüber hinaus, eine Herausforderung liegt, die wir nur gemeinsam lösen können, und damit meine ich alle im Sinne von jeder und jeden!

Es geht um unser Grundgesetz, dem ja auch ich damals als Pfarrerstochter beigetreten bin, gemeinsam mit Joachim und ganz ganz vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern der DDR, wobei nie in Vergessenheit geraten darf, daß wir es dabei mit der zweiten beziehungsweise dritten Diktatur auf deutschem Boden zu tun hatten, wenn man die deutsche Kaiserzeit mitzählt. An diesen Beitritt erinnere ich mich immer wieder gern, vor allem, wenn Hans-Dietrich Genscher bei mir zu Besuch ist und es „Anhalter Haxe“ mit Sauerkraut gibt.

Dieses unser Grundgesetz war und ist gut, doch es reicht nicht mehr aus. Wir wollen alle zusammen ein neues, friedliches, freies und faires Europa bauen, zu dem eines Tages einmal auch die Länder des Mittelmeers gehören werden, ich meine unsere Freunde von Algerien bis Ägypten, von Israel bis Äthiopien, von Afghanistan bis Libyen.

Wir brauchen eine deutsche Willkommenskultur

Wir brauchen eine europäische, besonders aber deutsche Willkommenskultur, und gerade nach Weihnachten und vor dem Fest der heiligen drei Könige aus dem Morgenland rufe ich aus: Jawohl, Wir Deutschen, wir brauchen Euch, wir lieben Euch doch alle: Wie heißt es so schön im Weihnachtslied: Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all! Kommt aus Afrika, dem Orient, aber auch der ganzen globalisierten weiten Welt!

Sagen Sie jetzt nicht: Die Merkel spinnt! Ich sage Ihnen: Alle großen Entwicklungen haben mit Utopien begonnen, bis sie sich in der Wirklichkeit durchgesetzt haben! Lassen Sie uns, meine lieben Landsleute, gemeinsam und alle miteinander nach vorne denken, lassen Sie uns solidarisch denken, gerade wir Deutschen haben gelernt, wie sehr es hilft, wenn vormalige Feinde und Gegner zu Freunden und Verbündeten werden!

Die Fesseln des Grundgesetzes abwerfen

Lassen Sie uns in diesem Sinne die Fesseln des Grundgesetzes abwerfen, es erweitern zu einer wahrhaft europäischen Verfassung, die keine Deutsche, keine Holländer, keine Albaner mehr kennt, sondern nur noch freie Bürgerinnen und Bürger in einer freien EU! Kleinliche nationalstaatliche Vorbehalte dürfen in unserem Europa der Zukunft keine Rolle mehr spielen!

Die engstirnige nationale Hoheit über Finanzen ist eine längst überlebte, veraltete Vorstellung, die dem globalisierten Markt nicht mehr entspricht; daß immer noch nationale Organe beanspruchen, über Haushaltsmittel, Staatsfinanzen und Ressourcen aller Art zu befinden, dieses alte Denken muß aufgegeben werden, dazu gibt es keinerlei Alternativen. Wir müssen morgen damit anfangen, Europa eine neue Verfassung zu geben, die den Entwicklungen der Märkte und vor allem der europäischen Werte- und Haftungsgemeinschaft besser entspricht, damit sind wir dann für kommende Herausforderungen besser aufgestellt.

Abschließend rufe ich als Ihre Kanzlerin Ihnen zu: Glauben Sie mit mir, Ihrer Kanzlerin, daß diese Republik ihre besten Zeiten noch vor sich hat! Seien Sie unverdrossen guter Dinge, lassen Sie es krachen, böllern Sie ordentlich, aber umweltverträglich, damit die zu uns zugewanderten Müllfrauen und Müllmänner morgen bei Ihnen einen angenehmen Dienst haben. Als Ihre Bundeskanzlerin wünsche ich Ihnen einen angenehmen Verlauf des heutigen Silvesterabends und rufe Ihnen mit Joachim zu: Viel Glück und viel Segen auf all euren Wegen!

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