Im Hamburger In-Stadtteil St. Georg hängt der Haussegen schief. In dem zuletzt stark nachgefragten Gründerzeitviertel direkt am Hauptbahnhof, das als klassisches Beispiel für die Gentrifizierung in „angesagten“ Wohnlagen steht, schwelt schon seit einiger Zeit ein Konflikt, der jetzt offen ausgebrochen ist. Dabei geht es im Kern um die alte Frage: Wie laut dürfen Kinder spielen?
Mittendrin in St. Georg erhebt sich der katholische Dom St. Marien mit angeschlossener Kita. In die Eigentumswohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft sind in der vergangenen Jahren zahlreiche neue Bewohner gezogen. Und deren Toleranz endet an dem Punkt, wo sie sich „von Störungen durch Lärm und Staubemissionen“ spielender Kinder belästigt fühlen. Staub vermutet man dabei im urbanen Asphaltdschungel am wenigsten. Verantwortlich dafür sollen die Spielgeräte und Sandkisten sein.
Doch nach Sandkistenspielen steht den Anwohnern nicht der Sinn. Nachdem seit Jahren mit der Gemeinde keine einvernehmliche Lösung zustande kam, haben die Eigentümer der Wohnungen nun schweres Geschütz in Stellung gebracht. Auf der letzten Versammlung wurde entschieden, vor Gericht zu ziehen. In der Klageschrift werden Lärmschutzmaßnahmen gefordert, sowie die Begrenzung der Kitaplätze auf maximal 80 Kinder. In Spitzenzeiten ist die Einrichtung von der doppelten Anzahl Kinder belegt. Es mutet dabei schon recht sonderbar an, angesichts äußerst knapp bemessener Kita-Plätze in Ballungsräumen auf eine eingeschränkte Nutzung vorhandener Einrichtungen abzuzielen.
„Wir können doch den Kindern das Spielen nicht verbieten!“
In unmittelbarer Nähe zum Kita-Hof befindet sich das Büro von Weihbischof Hans-Jochen Jaschke. Ist der Geistliche einfach nur mit einem weniger anfälligen Nervenkostüm gesegnet, wenn er sagt: „Wer in einem so weltoffenen und toleranten Stadtteil wie St. Georg lebt, der sollte sich nicht über Kinderlärm aufregen? Es ist doch schön, wenn Kinder ihren Spaß haben.“ Als weltfremd bezeichnet ein ortsansässiger Gewerbetreibender das Anliegen der Beschwerdeführer: „Ich habe natürlich gegen die Klage gestimmt. Wir können doch den Kindern das Spielen nicht verbieten!“
Die Wahrnehmung ihrer Interessen übertrugen die Eigentümer dem Rechtsanwalt Helmut Voigtland, der um dieses Mandat wahrlich nicht zu beneiden ist. Als Vorsitzender des Bürgervereins St. Georg erscheint er wiederum in besonderer Weise prädestiniert als Wegbereiter einer salomonischen Lösung. Der Domgemeinde ist an einem Rechtsstreit nicht gelegen. Jüngst unterstrich sie ihr Bestreben, im Zuge einer gut nachbarschaftlichen Einigung Friede einkehren zu lassen.
Mit den betroffenen Kindern wurde eine Veranstaltung unter dem Motto „Singen statt klagen“ organisiert. Doch die Eigentümer lassen sich nicht erweichen und beharren auf baulichen Veränderungen, die der Domgemeinde als überzogen erscheinen. Ihr Argument: Auf dem Terrain spielten Kinder seit 150 Jahren. Kinder verhalten sich bis in die Gegenwart nicht lautlos. Haben die Eigentümer vor Erwerb ihrer Immobilie diese Binsenweisheit außer acht gelassen? Bedenken scheinen daher angebracht, ob eine Klage überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann.
Der Gesetzgeber privilegiert Kinder ausdrücklich
Im Hinblick auf die ursprüngliche Nutzung befinden sich die Kinder von St. Georg also in einer günstigen Ausgangslage. Mit dem mehrmals novellierten Bundesimissionsschutzgesetz erfahren sie eine vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollte Privilegierung, in der sich ein feststehender Grundsatz widerspiegelt. Die Richter haben nun darüber zu befinden, ob durch spielende Kinder eine Unzumutbarkeit aus besonderen Gründen doch gegeben sein kann. Am Ende zählt der Einzelfall. Vor dem Termin hat das Landgericht noch eine Güteverhandlung angesetzt. Wenn man sich dabei auf einen Kompromiß verständigt, wäre dies auch im Sinne der Kläger, signalisiert Voigtland.
Dieser Fall ist nicht der erste in der Hansestadt. Eine von spielenden Kindern ausgehende Geräuschkulisse wird offenkundig eher von Bürgern „besserer“ Stadtviertel als unerträglich empfunden. Um die Ansiedlung eines Kindergartens im großbürgerlichen Elbvorort Othmarschen entbrannte ein jahrelanger Rechtsstreit. Die Bewohner dieses „geschützten Wohngebietes“ fürchteten eine Störung der Wohnruhe. Hier wurde dem Träger gerichtlich auferlegt, die Anzahl der Kinder erheblich zu reduzieren. Diese dürfen zudem nur innerhalb des Hauses spielen.
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