BERLN. Die Zahl der Menschen, die gewaltsam ums Leben kamen, als sie versuchten aus der DDR zu fliehen, muß möglicherweise deutlich nach oben korrigiert werden. Dies geht aus einer Untersuchung des Leiters des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin, Klaus Schroeder, hervor.
Demnach seien bislang die Opfer, die bei ihrer Flucht über Drittländer wie Bulgarien oder Jugoslawien ums Leben gekommen seien, kaum erforscht worden, sagte Schroeder der Mitteldeutschen Zeitung. Seiner Meinung nach kämen noch bis zu hundert hinzu, so daß man insgesamt von etwa 1.000 Opfern sprechen müsse.
Die „Zentrale Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität“ in Salzgitter hatte bislang 872 Todesopfer gezählt, hauptsächlich Flüchtlinge aber auch Grenzsoldaten.
Zahlenstreit dauert an
Die Leiterin des Mauermuseums am Checkpoint Charlie, Alexandra Hildebrandt, nannte dagegen auf einer Pressekonferenz am Mittwoch für die Zeit von 1945 bis 1989 die Zahl von 1.393 ermordeten oder ums Leben gekommenen Flüchtlingen. Das sind 46 Opfer mehr als das Museum bislang ermittelt hatte.
Zu den neu recherchierten Einzelschicksalen von Maueropfern des Museums zählt beispielsweise der Flüchtling Klaus Kühne, welcher am 20. März 1962 erschossen wurde, während er den Elbe-Nebenfluß Aland durchschwamm.
Hinzugekommen ist auch das westdeutsche Ehepaar Anita und Heinz-Jürgen Kusnatzky. Beide wollten am 28. Oktober 1982 die DDR am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn in Richtung Bundesrepublik verlassen und wurden von der ausgefahrenen Betonsperre der Grenzer gestoppt.
Staatsanwaltschaft zählt 270 Opfer
Schroeder kritisierte Hildebrandts Kriterien, die der Ermittlung ihrer Daten zugrundeliegen. So werden in ihrer Aufzählung beispielsweise auch Menschen miteinbezogen, die bei Grenzkontrollen einen Herzinfarkt erlitten. Schroeder sagte, er halte es für falsch, einen so „weiten Begriff von Maueropfern“ zu verwenden wie dies Frau Hildebrandt tue, da so nur „unnütze Fronten“ aufgebaut würden.
Um die genauen Opferzahlen gibt es seit Jahren Auseinandersetzungen. Die Berliner Staatsanwaltschaft weist 270 tödliche Fluchtversuche an der innerdeutschen Grenze nach und setzt damit eine deutlich niedrigere Zahl an. (jv)