Mit seinem glatten Haar und dem zwischen Oberlippe und Nase gequetschten Bart wirkt der Mann wie ein gefürchteter katholisch-konservativer, bulliger Verbalrandalierer aus den rechten Münchner Milieus der frühen 1960er Jahre. Doch Peter Gauweiler, obschon waschechter Münchner des Jahrgangs 1949, ist nichts von alledem.
Der Mann, der mit seiner Klage gegen den europäischen Lissabon-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht mehr Einfluß auf den künftigen Kurs Deutschlands genommen hat als mancher Bundeskanzler vor ihm, ist vielmehr bürgerlicher Protestant mit ausgesprochen liberal-konservativer Verankerung und gehört zu den letzten noch brillant zu nennenden Rednern im Deutschen Bundestag, in dem er die CSU vertritt.
Und dennoch: Als einer der wenigen, die die Worte des Grundgesetzes, Abgeordnete seien an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, noch ernst nehmen, befindet er sich in der Rolle des Außenseiters, des Rechthabers und der Kassandra.
„Volkstümlicher Feuerkopf“
Das Urteil aus Karlsruhe, das Gauweiler erreicht hat (Mitkläger waren allerdings auch Die Linke und eine Gruppe um Franz Ludwig Graf von Stauffenberg, CSU), ist in seiner Bedeutung vergleichbar der Rechtsprechung des höchstens Gerichts zur Deutschland- und Ostpolitik der damaligen sozial-liberalen Koalition. Gauweiler hat damit Rechtsgeschichte geschrieben. Das war sicher das Ziel des Juristen, Publizisten und Politikers Gauweiler, den die Süddeutsche einmal als „volkstümlichen Feuerkopf“ betitelte.
Dabei sah es in den frühen Achtzigern des letzten Jahrhunderts eigentlich so aus, als habe die Geschichte beziehungsweise die CSU etwas ganz anderes mit ihm vor. Gauweiler trat mit 20 Jahren in den RCDS ein, als die meisten seiner Altersgenossen lieber links waren. Er gehörte zum hochqualifizierten Nachwuchs-Rennstall der CSU, den Franz Josef Strauß persönlich zusammengestellt hatte. Darin saßen auch Edmund Stoiber, Gerold Tandler, Otto Wiesheu, Erwin Huber und andere.
Früh fiel Gauweiler mit seiner geschliffenen Rhetorik und seiner intellektuellen Brillanz auf. War Stoiber das „blonde Fallbeil“, so bekam Gauweiler den Beinamen „der Schwarze Peter“. Als Kreisverwaltungsreferent in München wirkte er weniger in Intellektuellen-Zirkeln, sondern räumte mit dem „Saustall Fußgängerzone“ und der „Oktoberfest-Mafia“ auf. Als Innen-Staatssekretär kämpfte er gegen linke Atomanlagen-Blockierer, sinnierte darüber, Aids-Kranke zu kasernieren, protestierte gegen die Homo-Ehe und die „Harlemisierung“ der Städte. Die Wehrmachtsausstellung nannte er eine empörende Farce. Auf die Frage der Frankfurter Rundschau, ob er ein Populist sei, rief er: „Aber ja, Populismus ist der Einwand der notorisch Unpopulären.“
Weg aus dem Parteikorsett war frei
Populär war Gauweiler zwar im Volk, aber nicht in der CSU. Stoiber nutzte die sogenannte Kanzleiaffäre, um den vermeintlichen Rivalen Gauweiler 1994 aus dem bayerischen Kabinett zu drängen. An den Vorwürfen, der während seiner Regierungszeit nicht als Anwalt tätige Gauweiler habe sich mit der Verpachtung seines Mandantenstammes nicht rechtmäßig verhalten, war nichts dran. Heute pflegt Gauweiler über diese Phase, die seine größte Demütigung war, zu sagen: „Das hat mir das Leben gerettet.“ Soll heißen: Damit war der Weg aus dem Parteikorsett frei. Unvergessen ist seine Spottrede über Stoiber und dessen „Polit-Zwerge“ aus diesen Tagen im Münchner Pschorr-Keller.
Gauweiler blieb zwar bis 2002 im Landtag, trat aber nur noch selten in Erscheinung, höchstens mal, um seinen Parteifreunden die Welt zu erklären, wie sich Zeitzeugen erinnern. 2002 rutschte er unauffällig mit Stoiber in den Berliner Reichstag. Während der CSU-Chef nach wenigen Wochen krachledernd wieder abzog und in München – von Gauweiler belächelt – dem Niedergang anheimfiel, sollten die wahren Stunden des einfachen Abgeordneten Gauweiler erst noch zu schlagen beginnen. >>
<---newpage--->Immer schon ein meisterlicher Formulierer, erhielt er zusammen mit Oskar Lafontaine (erst SPD, später Linke) eine regelmäßige Kolumne (in der Bild-Zeitung) – etwas, was deutsche Politiker kaum noch bekommen. „Wie der junge Faust will er sich um Himmels Willen niemals damit abgeben, daß man an den Dingen, so wie sie sind, nichts ändern können soll“, schrieb der inzwischen 60 Jahre alte Gauweiler zu Lafontaines 65. Geburtstag in Bild. Dieser Gauweiler-Satz paßt natürlich auch auf Gauweiler selbst, der folgende aber nicht mehr: „Faust hatte sich deshalb mit dem Teufel verbündet, Oskar Lafontaine nur mit der PDS, die den Schwefelgeruch des Kommunismus nicht so richtig loswerden will.“ Denn so weit wie Lafontaine, der seine Partei verließ, um die reine Lehre anderswo durchzusetzen, ging Gauweiler nie.
Spektakuläre Prozesse
„Der oft verkannte Typus des urbanen Bayern, der eine konservative Grundhaltung mit südlicher Leichtigkeit des Seins zu vereinen weiß“ (die FAZ über Gauweiler) machte das, was der Bayer gerne macht, wenn er mit seiner Liebsten oder seiner Partei schmollt: Er zieht sich zurück – sei es in den Biergarten oder wie Gauweiler in seine Münchner Anwaltskanzlei. Dort soll er viel Geld verdienen und das Abgeordneten-Mandat finanziell auch nicht nötig haben. Das trug ihm Kritik ein, er sei in Berlin zu selten zu sehen: „Absitzen, Maul halten, auf Reisen gehen, das ist es nicht“, konterte er die Vorwürfe seiner Kollegen.
Gauweiler führte eine Reihe spektakulärer Prozesse. So vertrat er den Filmmogul Leo Kirch gegen den Deutsche-Bank-Aufsichtsratschef Josef Ackermann. Dem Bankier war vorgeworfen worden, durch Reden über die wirtschaftliche Lage des Filmhändlers Kirch diesen zu Fall gebracht zu haben. Gauweiler damals: „Der Mörder kann sich auch nicht darauf berufen, daß das Opfer ohnehin gestorben wäre. Das gilt auch für den Rufmörder.“ Das ist Gauweilers Stärke: Mit einem Satz dreht er ein Verfahren, eine Debatte um – und jetzt mit einer Klage die ganze Republik.
Der verheiratete Vater von vier Kindern fiel in Berlin einmal ganz anders auf. In der Bayerischen Vertretung las er vor großem Publikum Weihnachtsgeschichten. Man fühlte sich wieder wie damals in der Kindheit, als sich die Nase auf die vereiste Scheibe drückte, die kleinen Augen angestrengt in die Dunkelheit hinausblickten, man wartete auf das knirschende Geräusch des Schlittens, das leise Klingeln kleiner Glocken, wenn das Christkind kommt und endlich die erwarteten Geschenke bringt. Gauweiler konnte und kann Zuhörer mitnehmen, sie begeistern, und das bei Weihnachtsgeschichten wie auch auf politischen Großkundgebungen. „Ich habe nur eine einzige Macht. Und das ist die Macht der Sprache“, soll er einmal gesagt haben.
Scharfe Kritik an Kanzlerin Angela Merkel
Den Zug der Lemminge aufhalten zu wollen – dieser Grundsatz scheint Leben und Arbeiten von Gauweiler zu beherrschen. Er intervenierte gegen den deutschen Einmarsch in Afghanistan. Er wetterte gegen den Irak-Krieg. „Ihr müßt euch entscheiden, ob der Bush recht hat oder der Papst“, brüskierte er die Landesgruppenführung auf einer Tagung in Kreuth zum Irak-Krieg. Wenige Tage vor dem Einmarsch amerikanischer Truppen in den Irak fuhr er nach Bagdad – „als Christ, nicht als Politiker“, wie er damals sagte.
Anfang 2009 trat Gauweiler mit einer scharfen Kritik an Kanzlerin Angela Merkel in Erscheinung: „Ignorant und kaltherzig“ nannte er die Kritik der Kanzlerin am Papst, weil dieser angebliche Antisemiten rehabilitiert hatte. Merkel habe im Meinungskampf einen Punkt auf Kosten des Papstes machen wollen: „Wirklich anständig war das nicht.“
Wer Merkel kennt, weiß, daß der Urheber solcher Sätze unter ihr nichts mehr werden wird. Das ist Gauweiler gleichgültig. Sein großes Vorbild Strauß soll einmal gesagt haben, es sei ihm egal, wer unter ihm Kanzler sei, und Gauweiler dürfte das im Fall Merkel ähnlich sehen. Mit Strauß teilt er die Sensibilität für Entwicklungen, spürt den Wind, der den Mantel der Geschichte irgendwo hinweht, schon früher als die dickhäutigen Handwerker der Macht in Kanzleramt und Reichstag. Er spürt, daß sein geliebtes Europa der Vaterländer längst an einem Scheideweg steht: daß die alten Demokratien dem Immigrationsdruck anderer Völker mit anderer Kultur und anderem Politikverständnis nachgeben könnten und daß sich in Brüssel eine Orwellsche Überrepublik installiert haben könnte.
„Das Volk ist massiv gestärkt worden“
Gauweiler ist längst nicht mehr rechts, aber auch nicht links oder Mitte. Er paßt in kein Schema. Er ist überzeugter Volksvertreter. Er kennt die Parlamentsgeschichte, weiß, wie lange das britische Unterhaus mit den Monarchen um zusätzliche Rechte gerungen hat. Er weiß, daß dieser Kampf auch im kaiserlichen Deutschland zwischen Reichstag und Majestät geführt wurde. Und er blickt schaudernd auf die „Machtergreifung“ der gottlosen Nationalsozialisten, denen die schwache Weimarer Demokratie nicht genug Widerstand entgegensetzen konnte. Und Gauweiler sieht heute mit Erstaunen, wie sich ein Deutscher Bundestag selbst entmachten will und seine Mitglieder dazu Festreden halten.
Wie immer zeigten sich nach dem Karlsruher Urteil alle Politiker zufrieden und fühlten sich bestätigt – Merkel an der Spitze. Von Gauweiler kam der richtige Kommentar: „Das Volk ist massiv gestärkt worden.“ Er will, das ist Gauweilers Natur, dem Volk Macht geben über mehr Beteiligung und Volksabstimmungen. Weil er sein Volk liebt. Und das Volk ihn.
JF 29/09
> „Das ist ein epochales Urteil“: Interview mit Peter Gauweilers Prozeßbevollmächtigtem, Professor Dietrich Murswiek.