BEIRUT. Am späten Nachmittag des 16. Dezember herrschte dichtes Gedränge im Gebäude der libanesischen Journalistenvereinigung. Es war am Tag nach der „Schuh-Attacke“ des irakischen Journalisten Muntazer al-Saidi auf den noch amtierenden US-Präsidenten George W. Bush.
Ursprünglich war die Pressekonferenz von der Libanesischen Liga zur Unterstützung des irakischen Widerstandes und des irakischen Volkes, der mehrere Organisationen angehören, zur aktuellen Lage im Irak sowie im vom Israel abgeriegelten Gaza-Streifen angesetzt, doch der Schuhwurf des 29 Jahre alten irakischen Journalisten al-Saidi wurde buchstäblich über Nacht zum Hauptthema der Konferenz.
„Man müßte sich eigentlich beim Schuh entschuldigen, und nicht bei Bush“, äußerte süffisant ein Repräsentant der Liga, die anwesenden Journalisten klatschten laut Beifall.
Schuh als Abschiedsgeschenk des irakischen Volkes
Der Protest galt der Inhaftierung von al-Saidi, der Bush während des Schuhwurfes als „Hund“ bezeichnete, in der arabischen Welt eine der schlimmsten Beleidigungen. Der Schuh, so al-Saidi, sei ein „Abschiedsgeschenk des irakischen Volkes“ an den scheidenden amerikanischen Präsidenten.
Die Konferenz bot ein seltenes Bild der Eintracht im sonst so gespaltenen Nahen Osten. Auch Journalisten der pro-westlichen arabischen Presse waren anwesend und applaudierten. Auf den Plätzen der Unterstützer saßen sunnitische und schiitische Geistliche sowie Angehörige mehrerer palästinensischer Organisationen und Parteien.
Ebenfalls anwesend waren die ehemalige Anwältin Saddam Husseins, Bouchra Al-Khalil, sowie gleich mehrere irakische Exil-Politiker der im Irak verbotenen Baath-Partei.
<---newpage---> Angebliche Mißhandlung al-Saidis
„Solche Bilder sind ein wichtiges Signal. Es zeigt, daß das irakische Volk und die Araber nicht auf der Seite Bushs stehen, obwohl es die westlichen Medien tagtäglich transportieren“, so Zafer Mokadem, Sekretär der Liga, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.
Al-Saidi wurde angeblich schwer mißhandelt. Auch das war Thema während der Konferenz. Wie sein Bruder, der 32jährige Durgham, am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP sagte, wurden al-Saidi ein Arm und mehrere Rippen gebrochen, zudem erlitt er Verletzungen an einem Auge und an einem Bein.
Auch das ist ein Grund für die Solidarität, die dem irakischen Journalisten entgegengebracht wird. Ein Reporter der eigentlich pro-westlichen „Future“-Mediengruppe aus Beirut äußerte gegenüber der JF, daß damit die Vereinigten Staaten und der Westen ihr eigentliches Gesicht im Umgang mit der freien Presse zeigten.
Fernsehsender bietet Schuhwerfer Stelle an
Auch sonst sorgte die Schuh-Attacke für Aufsehen in der arabischen Welt. Längst wird al-Saidi als Held gefeiert. Der libanesische Fernsehsender New TV (NTV) bot ihm in seiner am Montagabend ausgestrahlten Nachrichtensendung eine Stelle an. Er solle „von dem Moment an bezahlt werden, in dem er den (ersten) Schuh warf“, sagte die Nachrichtenchefin Fadja Bassi.
Ein Sprecher der libanesischen Liga regte an, künftig den 15. Dezember als einen Tag des journalistischen Widerstands gegen die Politik des Westens zu feiern. Der Schuh wurde über Nacht zum Symbol. In Bagdad und in anderen irakischen Städten nagelten Widerständler Schuhe auf Bush-Plakate. In Nadschaf warfen einige Schuhe auf einen US-Militärkonvoi und beschimpften Bush als „Kuh“.
Auch aus Libyen erhält al-Saidi Unterstützung. Dort verkündete die Tochter des Staatschefs Muammar Al-Gadaffi, Aischa, sie wolle dem irakischen Journalisten einen „Orden für Mut“ verleihen. Der Journalist habe sich „klar gegen die Verletzung der Menschenrechte“ gestellt und dies deutlich gemacht, indem er seine Schuhe auf Bush geschleudert habe, hieß es zur Begründung.
Während die arabische Welt feiert, machen sich europäische Anthropologen Gedanken über die Folgen des Schuhwurfs. Der Hamburger Kulturanthropologe Klaus Schönberger geht von einer Signalwirkung der Attacke al-Saidis aus. Weitere „Schuhungen“, so Schöneberger, seien nun als medienwirksames Mittel in Zukunft zu erwarten.