Seine Biographie ist ähnlich verworren wie die seines Chefs, des Präsidenten der Ukraine: Kind eines jüdischen Vaters, geboren in der letzten Dekade der Sowjetunion, wurde aus dem geschäftstüchtigen jungen Mann schnell ein einflußreicher Kopf der ukrainischen Filmindustrie, die besonders in den neunziger und frühen zweitausender Jahren im Halbschatten der Kiewer Melange aus Oligarchen, korrupten Politikern und organisierter Kriminalität eine ganz eigene Formensprache entwickelte. Bis ihn sein Weg schließlich in die hohe Politik der Ukraine führt – nicht über eine gewonnene Wahl, sondern per direkter Berufung 2020 durch den neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: Die Rede ist von Andrij Jermak, dem „Leiter des Präsidialamts der Ukraine“.
Ukraine: Wer zu Selenskyj will – muß an Jermak vorbei
Ein Amt, das die Rechtsordnung des Landes nur schwammig definiert und das der 53jährige vielleicht gerade deshalb zu einer enormen Machtfülle ausbauen konnte. Gemeinsam mit einer unbekannten Zahl an Beratern kontrolliert der gebürtige Kiewer den Zugang zum höchsten Mann im Staat: Wer zu Selenskyj will, muß an Jermak vorbei. Was dem Präsidenten vorgelegt wird, wird erst Jermak vorgelegt – und der hat keine Skrupel, ihm unliebsame Minister so lange in Mißkredit zu bringen, bis sein Chef deren Karrieren mit einem Federstrich beendet.
Stattdessen bringt Jermak immer öfter Günstlinge in wichtige Positionen. Der neue Außen- und der Wiederaufbauminister etwa sind alte Vertraute des Filmunternehmers. Auf seinem Weg in den Olymp der Macht hat er sich auch in der traditionell von großen Staatsunternehmen geprägten Schwerindustrie des Landes Einfluß gesichert. Seit 2019 ist er Aufsichtsratsmitglied des Rüstungskonzerns Ukroboronprom (zu deutsch: Ukrainische Verteidigungsindustrie). Das Konglomerat mit 67.000 Mitarbeitern ist das Rückgrat der Rüstung des Landes. Längst hat sich zwischen dem Präsidialamt und der Waffenschmiede, die seit 2023 auch als „Ukrainian Defense Industry“ firmiert, eine Symbiose entwickelt: Jermak sorgt auf seinen diskreten Reisen und Verhandlungen für stetigen Zufluß an Finanzmitteln und Ukroboronprom produziert, was die Fließbänder hergeben.
Jermak – die „Geheimwaffe“ der Ukraine
Den großen Auftritt überläßt Jermak dabei stets seinem Chef, er sieht sich als Mann im Hintergrund: als denjenigen, der erledigt, was Selenskyj nicht tun will oder kann. Diskrete Verhandlungen mit der russischen Seite etwa, zum Beispiel über den Austausch von Gefangenen, oder Termine in den USA über weitreichende Waffenlieferungen im Juni letzten Jahres. Der eigentlich dafür zuständige Außenminister bleibt hingegen in Kiew zurück. Wichtige Verhandlungen sind Chefsache – und damit Angelegenheit des Mannes, dessen Amt in seiner konkreten Ausprägung in der ukrainischen Verfassung nicht vorgesehen ist. Eine Machtfülle, die ihm mitunter den Vorwurf einträgt, demokratische Kontrollfunktionen der Gewaltenteilung zu unterlaufen.
Doch Jermak und Selenskyj scheint die Kritik nicht zu stören, auch bei den jüngsten Verhandlungen im saudischen Dschidda war Jermak Leiter der ukrainischen Seite. Daß die USA dem Land nun wieder Waffen liefern und Aufklärungsdaten teilen, ist auch Jermaks Verdienst, von dem manche Beobachter sagen, er entwickele sich zu einer Art Geheimwaffe in den für Kiew überlebenswichtigen Verhandlungen mit Donald Trump.