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Der Ukraine-Krieg: Ukraine: Die Fronten sind festgefressen. Das Sterben geht weiter

Der Ukraine-Krieg: Ukraine: Die Fronten sind festgefressen. Das Sterben geht weiter

Der Ukraine-Krieg: Ukraine: Die Fronten sind festgefressen. Das Sterben geht weiter

In der Ukraine beweg sich wenig
In der Ukraine beweg sich wenig
In Kiew ausgestellte Geran 2 Drohnen.
Der Ukraine-Krieg
 

Ukraine: Die Fronten sind festgefressen. Das Sterben geht weiter

Der Krieg Rußlands gegen die Ukraine nähert sich einer dramatischen Marke: Er dauert bald länger als der Zweite Weltkrieg für die Sowjetunion. Beide Seiten zeigen Erschöpfung, doch kein Kollaps ist in Sicht. Ferdinand Vogel berichtet für die JF über die Ukraine.
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In wenigen Tagen wird die von Rußland sogenannte „militärische Spezialoperation“ länger andauern, als der Zweite Weltkrieg für die Sowjetunion. Auf beiden Seiten mehren sich die Erschöpfungssignale, ohne, daß es ein klares Anzeichen dafür gibt, daß die eine oder andere Seite vom unmittelbaren Zusammenbruch bedroht ist. Trotz gegenteiliger Wünsche und Behauptungen aus Moskau, gelang es den russischen Truppen nicht die Kontrolle über die mittelgroße Kleinstadt im Donbass namens Pokrowsk zu erlangen. Dort geht es seit einigen Tagen wieder langsam rückwärts oder stagniert zumindest für den Moment.

Während das russische Verteidigungsministerium in einer aktuellen Verlautbarung behauptet, die Stadt nordöstliche Stadt Kupiansk stehe unter Kontrolle russischer Einheiten, zeichnen Geolokalisierungen vom Boden sowie Aussagen aus dem russischen Milblogger-Milieu ein gegenteiliges Bild.

 

Prominente russische Militärblogger üben immer heftigere Kritik

Ausgerechnet Rybar, einer der einflußreichsten russischen Kanäle, spricht von sich verschlechternden Bedingungen für die russische Seite und liefert dazu eine Karte, auf der große Teile Kupjansks als fest ukrainisch markiert sind, während zugleich ukrainische Vorstöße angedeutet werden. Parallel kursiert, ebenfalls aus russischen Kreisen, die typische Beschwichtigungsrhetorik: Kupjansk sei „taktisch irrelevant“, die Ukrainer liefen in „Fallen“, man solle sich nicht an Ortsnamen aufhängen; das Muster ist nicht neu und ähnelt spiegelbildlich jenen ukrainischen Floskeln, mit denen man an anderer Stelle über Pokrowsk oder Huliaipole hinwegmoderiert. Der entscheidende Punkt ist weniger die Wortwahl, sondern die Systemkritik dahinter: Rybar und weitere Stimmen sprechen davon, Gelände „auf Kredit“ zu melden, also Erfolge zu verkünden, die am Boden nicht abgesichert sind, und damit Soldatenleben als Preis für Berichtspolitik einzusetzen. Russische Kommandeure stehen seit längerem in der Kritik immer wieder nach oben Erfolge zu melden, die am Boden so überhaupt nicht existieren.

Daß es sich nicht nur um Oppositionelle handelt, sondern um nationalistische, oftmals kremlnahe Akteure, macht die Diskrepanz in der Kupjansk-Debatte brisanter. Der bekannte Blogger Boris Rogin gesteht ukrainische Geländegewinne in den westlichen beziehungsweise nordwestlichen Bereichen ein, wenn auch kleiner gerechnet. Auch andere russische Kanäle betonen, man befinde sich nicht im Zentrum, sondern eher in Außenbezirken, wenn überhaupt noch. Kupjansk habe nie unter russischer Kontrolle gestanden, es seien höchstens kleine Gruppen von zwei oder drei Kämpfern punktuell im Stadtgebiet gewesen, teils inzwischen umzingelt.

Sogar eigentlich Kremltreue erheben ihre Stimme

Am schärfsten fällt die Kritik bei Igor Girkin aus, der als zentraler Akteur des Krieges seit 2014 im Donbass aktiv ist, dessen Worte aber gerade wegen seiner Binnenperspektive beachtet werden. Seit fast zwei Jahren sitzt der russische Patriot in einem von Moskaus Gefängnissen, nachdem er zu harte Kritik an Putin selbst geäußert hatte. Sinngemäß moniert er, der von Präsident Waldimir Putin ernannte Oberbefehlshaber verkünde live im TV den Sieg, wenige Tage später stehe statt dessen eine brutale taktische Niederlage samt Blutbad fest; er fragt nach Verantwortlichen in der Befehlskette, nennt Waleri Gerassimow sogar namentlich, und verweist auf eine Reihe früherer Rückschläge (Balaklija, Isjum, Cherson, Kiew), ohne daß organisatorische Konsequenzen erkennbar wären.

Daß es auch in Pokrowsk nicht mehr weitergeht, obwohl die Stadt ebenfalls bereits als erobert verkündet wurde, sorgt für ähnliche Kritik innerhalb russischer Militärs. Besonders bekam General Sukhrab Akhmedov sein Fett weg, der als einer der russischen Kommandeure in Pokrowsk in den letzten Wochen mehrere desaströse Großangriffe mit gepanzerten Fahrzeugen befahl, die scheinbar alle scheiterten und zu großen Verlusten führten. Er hat bei russischen Soldaten einen schlechten Ruf und hat sich einen Namen als Schlächter gemacht, als er 2022 in der Stadt Wuhledar mit der gleichen Methode mehrere mechanisierte Brigaden verheizte.

Südlich davon verschiebt sich das Bild: Bei Siversk ist inzwischen bestätigt, daß die ukrainische Brigade, die die Stadt eigentlich verteidigen sollte, ihre Positionen kaum oder nur unzureichend besetzt hielt, gleichzeitig aber ebenfalls nach oben meldete, daß alles „in bester Ordnung“ sei. Den russischen Truppen gelang es so, die Stadt binnen weniger Tage in einem koordinierten Angriff zu nehmen und die ukrainischen Brigaden zum Rückzug zu zwingen. Auch innerhalb der ukrainischen Politik und Militärkreisen hagelt es Kritik an der Führung, daß eine solche Praxis scheinbar über Wochen und Monate mindestens nicht bemerkt oder sogar geduldet wurde.

Die Ukraine verstärkt ihre Angriffe auf Rußlands Luftwaffe

Auch in der südöstlichen Front bei Huliaipole konnten die Russen langsame Erfolge verbuchen: Dort ordnet die pro-ukrainische DeepStateMap größere Teile des Stadtgebietes der umkämpften grauen Zone zu, mit russischer Präsenz in Teilbereichen. Ein russisches Video zeigt Soldaten in einem ukrainischen Hauptquartier einer Territorialverteidigungseinheit; sichtbar sind Fahnen, Möblierung und Datenträger, Karten, Laptops, Handys. Das ist operativ und nachrichtendienstlich problematisch, weil es entweder auf ein schnelles Überrennen ohne geordnete Räumung hindeutet oder auf Disziplin- und Prozedurversagen. Die ukrainische Militärführung schob den schwarzen Peter indirekt den eher schwach aufgestellten Territorialen Verteidigungseinheiten zu und schickte sofort Verstärkungen kampferfahrener Einheiten, um als Feuerwehr notdürftig den Einbruch in die Stadt aufzuhalten – bisher aber noch ohne Erfolg.

Indessen gelingt es der ukrainischen Seite, die russische Luftwaffe im Hinterland erneut empfindlich zu treffen. Über den Verlauf der letzten Wochen wurden, das ist inzwischen auch von russischer Seite eingestanden worden, mehrere Kampfflugzeuge zerstört. Visuell bestätigt sind bisher acht Kampfflugzeuge, darunter auch jene, die für den Abwurf der gefürchteten Gleitbomben nötig sind. Außerdem wird ein Drohnenangriff auf eine Il-38 (U-Bootjagdflugzeug) gezeigt, ein wertvolles System, das nicht mehr produziert wird. Solche Treffer sind, wenn sie sich häufen, nicht nur symbolisch, sondern mittelfristig strukturell bedeutend, weil Ersatz nicht beliebig nachgeführt werden kann.

Mobilisierung, Geldnöte und Fahnenflucht

Während die Ukraine bei „unerlaubt Abwesenden“ in der Armee neue Rekordzahlen vermelden muß, hat auch die russische Seite erstmals seit 2022 Probleme, den Menschenhunger an der Front zu stillen. Während Anfang des Jahres noch deutlich mehr Männer freiwillig sich in den Krieg geworfen haben, oft für enorm hohe Geldversprechen, schwächt sich die Welle seit einigen Monaten stetig ab. Rekrutierungsbüros in den russischen Oblasten melden zunehmend folgendes Problem, was gegenüber der JF von einem Offizier auch bestätigt wurde, der in einer südrussischen Oblast als Anwerber tätig ist: „Jeder, der für Mutter Rußland in die Ukraine ging, ist noch dort, tot oder lebendig oder als Krüppel zurück zu Hause. Alle, die für Geld gingen, sind ebenfalls schon gegangen. Mittlerweile müssen [die Rekrutierungsbehörden] ihre ´Freiwilligen´ von der Straße wegfangen. Das sind oft Alkoholiker, Kranke, Obdachlose. Die Gefängnisse sind bereits von den Wagner-Leuten leergefegt worden.“

Derweil gibt es auch ökonomisch größere Probleme. Russisches Öl werde auf dem internationalen Markt nur noch zu etwa 34 US-Dollar gehandelt, während der Referenzpreis (Brent) um 60 US-Dollar liegt, ein deutlicher Abschlag, der die Kriegsfinanzierung über Energieexporte erschwert. Während der Weihnachtsfeiertage führten Rußlands Streitkräfte indessen einen der bis Dato heftigsten Angriffe mit Shahed-Drohnen und Raketen auf die Ukraine durch, wovon insbesondere Kiew betroffen war. Im vierten Kriegsjahr bleibt die Lage widersprüchlich, nicht nur auf operativer Ebene, sondern auch in der Darstellung dessen, was überhaupt „gesichert“ ist.

In Kiew ausgestellte Geran 2 Drohnen.
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