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Lagebricht Ukraine: Die Russen haben Cherson aufgegeben

Lagebricht Ukraine: Die Russen haben Cherson aufgegeben

Lagebricht Ukraine: Die Russen haben Cherson aufgegeben

Ukrainisches Emblem auf Jacke
Ukrainisches Emblem auf Jacke
Ein ukrainisches Emblem auf einer Jacke. Foto: picture alliance / NurPhoto | STR
Lagebricht Ukraine
 

Die Russen haben Cherson aufgegeben

Moskaus Truppen haben die einzige im Krieg mit der Ukraine eroberte Großstadt Cherson aufgegeben. Das vor Kurzem als russische Erde ins Reich einverleibte Gebiet steht damit wieder unter Kontrolle Kiews. Die russischen Truppen können sich nun neu aufstellen.
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Erst vor etwa einem Monat hatte Präsident Wladimir Putin die Oblast Cherson sowie die anderen besetzten Gebiete in der Ukraine zum ewigen Bestandteil der Russischen Föderation erklärt. Die gleichnamige Hauptstadt der Oblast ist die einzige Großstadt (280.000 Einwohner), die den Russen seit dem Beginn ihres Angriffes in die Hände gefallen ist. Über Monate versuchten die russischen Besatzungsbehörden, die sich auf einen kleinen Teil an Kollaborateuren stützten, die Oblast zu russifizieren.

Sie führten pro-russische Lehrpläne in den Schulen ein, verhafteten vornehmlich Männer und schickten wiederum Hunderte Menschen in sogenannte Filtrationslager, aus denen viele augenscheinlich nicht mehr lebend wiederkehrten. Gleichzeitig führten sie den Rubel ein und nötigten die Bevölkerung, ihn anstelle der ukrainischen Währung zu benutzen. Im russischen Staatsfernsehen erklärten Militärs und Kremlsprecher, Cherson sei als eine ur-russische Stadt und Oblast in die Föderation heimgekehrt und daß die Einwohner mit überwältigender Mehrheit, wenngleich bei absurd niedriger Wahlbeteiligung, für den Anschluß an Russland gestimmt hätten.

Derweil kämpften die Besatzungsbehörden seit Monaten mit einer substanziellen Partisanenbewegung, die im Untergrund und mit Unterstützung der Zivilbevölkerung einen Schattenkrieg gegen die russische Armee und die Kollaborateure führte. Der Fall von Cherson war die einzige große Eroberung des Krieges. Noch bis vor zwei Tagen bemühten sich pro-russische Militärblogger und Kommentatoren des Fernsehens darum zu erklären, daß man um jeden Meter Boden in Cherson kämpfen würde, während man die Zivilbevölkerung vor den ukrainischen „Freischärlern“ evakuiere.

Ein erfolgreicher Rückzug der Russen

Am 11.11.2022 wurde klar, daß Rußland seine Truppen nahezu vollständig über den Dnepr abgezogen hat. Die Antoniwkabrücke, die seit Monaten unter heftigstem Beschuß ukrainischer Artillerie stand und kaum noch benutzbar war, sprengten sie selbst. Damit wird offenkundig, daß die Russen nicht beabsichtigen, in naher Zukunft nach Cherson zurückzukehren. Ihr Abzug scheint endgültig. Bis zu 40.000 Soldaten soll Moskau abgezogen haben, die es jetzt sicherlich an anderen Frontabschnitten einsetzen wird. Denn ohne Brücke gelingt beiden Seiten die Flussüberquerung nur durch Fähren, Boote oder amphibische Fahrzeuge in hoher Zahl und erster Güteklasse.

Der Dnepr trennt die Kriegsparteien nun an der Südfront voneinander. Auf ihrem vorsichtigen Vorstoß nach Cherson hinein, finden die Ukrainer nur wenige zurückgelassene Fahrzeuge und Munitionsdepots der Russen. Anders als in der Oblast Charkiw, scheinen die Militärs Moskaus dazugelernt zu haben. Ihr Abzug ist nicht kopflos, sondern geplant und erfolgreich. Die Tatsache, daß auch die Ukrainer während des russischen Rückzugs jetzt darauf verzichtet haben, die Brücke und die Fähren über den Dnepr zu beschießen, obwohl sie dies in den letzten Wochen unermüdlich getan haben, spricht für die These, daß es eine bisher geheime Absprache zwischen beiden Parteien gibt.

Die Ukrainer gewähren den Russen den Abzug aus Cherson, das angesichts seiner Lage und der erfolgreichen Dezimierung russischer Versorgungstransporte, offensichtlich militärisch nicht mehr zu halten gewesen ist. Wie der Kreml den Abzug der eigenen Bevölkerung erklären will, scheint man dort selbst noch nicht ganz genau zu wissen. Verteidigungsminister Shoigu erklärt sich damit, das Leben der Soldaten schützen zu wollen. Andererseits zeigt die bisherige Kriegsführung Rußlands in der Gegenwart und Vergangenheit, daß dieses Motiv noch nie eine Rolle gespielt hat.

Ukrainischer Triumph in Cherson

Für die Ukraine, die erst im September in einer Offensive weite Teile des von Rußland eroberten Gebiets befreien konnte, ist dies alles fast zu schön, um wahr zu sein. Denn um Cherson kämpften die Russen lange und verbittert. Hier waren die ukrainischen Verluste besonders hoch und Tausende russischer Soldaten bleiben offensichtlich auf dem Schlachtfeld zurück und werden nur in Säcken in ihre Heimat zurückkehren – wenn überhaupt.  Daß es sich beim Rückzug indes um eine große Kriegslist handeln könnte, wird vielfach von einigen Medien diskutiert.

Eine einleuchtende Erklärung, wie die große Falle der Russen aussehen soll, gibt es jedoch nicht. Daß der Artilleriekampf über den Dnepr hinweg weitergehen wird, ist klar. Theorien wie Dammsprengungen oder versteckte Atombomben gibt es zwar. Jedoch ist derjenige russische Mediensprecher im Staatsfernsehen nicht zu beneiden, der den russischen Einsatz von Kernwaffen in einem Gebiet erklären will, das laut russischer Sicht de jure Teil des eigenen Staatsgebietes ist und das man quasi für heilig erklärt hat.

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Und während die ukrainischen Truppen mit tosendem Jubel und Hupkonzerten in Cherson empfangen werden, offenbart sich dabei der ganze Selbstbetrug der russischen Propaganda. Denn in der Besatzungszeit wird die russische Fahne zumeist nur von Militärs und ein paar Kollaborateuren vor Behördengebäuden geschwungen. Nun scheint die ganze Stadt in ein blau-gelbes Fahnenmeer getaucht worden zu sein. Das Internet füllt sich mit Videos von euphorischen Menschenmengen, die zu Tränen gerührt die ukrainische Fahne schwingen und die Soldaten umarmen und berühren wollen.

Ukrainer wähnen sich bereits als Kriegssieger

Junge und alte Frauen kreischen vor Glück und reichen ihre Hände in die offenen Fenster der Militärfahrzeuge oder fallen den lächelnden Kämpfern gleich in die Arme. Eine Begrüßung dieser Art war den meisten russischen Truppen selbst nicht in den eher pro-russischen Volksrepubliken Donetzk und Luhansk zuteilgeworden. Die ukrainischen Truppen werden mit Gebäck, Blumen und Küssen empfangen, während die russischen Soldaten am anderen Ufer des Dnepr neue Verteidigungslinien aufbauen müssen. Jetzt reden auch einige hartgesottene pro-russische Militärkorrespondenten davon, daß die Krim womöglich wieder verloren gehen könnte und daß dieser Krieg, wenn er von der „Führung“ weiter so betrieben wird, mit einer vernichtenden Niederlage für Rußland enden wird.

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Wahrscheinlich ist, daß Rußland seine aus Cherson abgezogenen Truppen jetzt vor allem im Osten der Ukraine einsetzen wird, um wenigstens dort die Rückeroberung durch die Ukraine zu verhindern und womöglich sogar die Initiative zurückzugewinnen. Es ist nicht anzunehmen, daß dies das Ende des Krieges ist. Doch mit der Befreiung von Cherson bewegt sich die Ukraine ein beträchtliches Stück in Richtung Sieg über Rußland. Ein Sieg, den angebliche Militärexperten wie Merkelberater General a.D. Erich Vad, aber auch viele andere konsequent und von Anfang an für ausgeschlossen hielten.

Die Ukraine hat das Momentum des Krieges vollends für sich gewonnen, während Rußland seine dritte große Niederlage in Folge eingefahren hat. Eine Tatsache, die auch an den mobilisierten Reservisten Rußlands nicht vorbeigegangen ist. Die Ukraine meldet und belegt mit Bildmaterial, wie in großer Zahl Kriegsgefangene gemacht werden. Die zumeist Wehrpflichtigen und Reservisten, die von Moskau direkt an die Front geschickt werden, berichten von immer grauenvolleren Zuständen in der russischen Armee. Es fehlt an warmer Kleidung, Munition, Nahrung, Zelten und vor allem Führung und Moral. Bisher gibt die Realität an der Front keinen Anlaß, diesen Schilderungen keinen Glauben zu schenken.

Ein ukrainisches Emblem auf einer Jacke. Foto: picture alliance / NurPhoto | STR
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