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Der Fall Daunte Wright: Fehler oder Vorsatz?

Der Fall Daunte Wright: Fehler oder Vorsatz?

Der Fall Daunte Wright: Fehler oder Vorsatz?

Aufnahmen von Körperkameras der Polizisten, Demonstration für das Opfer
Aufnahmen von Körperkameras der Polizisten, Demonstration für das Opfer
Aufnahmen von Körperkameras der Polizisten, Demonstration für das Opfer Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jeff Wheeler / Twitter-Screenshot / JF-Montage
Der Fall Daunte Wright
 

Fehler oder Vorsatz?

Seit dem Tod des dunkelhäutigen Kriminellen Daunte Wright bei einem Polizeieinsatz in den USA ist wieder von strukturellem Rassismus die Rede. Diskutiert wird auch, ob es sein kann, daß eine Beamtin den Taser mit ihrer Pistole verwechselt, wie sie selbst sagt. Ein Blick auf die Statistik könnte Aufschluß geben.
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Aktuell kocht die Debatte um rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA erneut hoch. In Minnesota steht aktuell Derek Chauvin vor Gericht, der vor einem Jahr während eines Polizeieinsatzes auf dem Hals des schwarzen Kriminellen George Floyd kniete, der später verstarb. Erst vor wenigen Tagen kam erneut ein dunkelhäutiger Verdächtiger ums Leben, wieder in Minnesota. Daunte Wright war bei einer Verkehrskontrolle angehalten worden und widersetzte sich den Beamten. Eine Polizistin griff zu ihrer Waffe und schoß auf den Verdächtigen.

Sie gab an, ihn lediglich mit ihrer Elektroschockpistole (Taser) außer Gefecht setzen zu wollen, aber versehentlich zur Schußwaffe gegriffen zu haben. Die Familie des Opfers folgt dieser Sichtweise nicht und vermutet Mord. Auch ein relevanter Teil Medienlandschaft auf beiden Seiten des Atlantiks suggeriert, eine solche Absicht habe bestanden. Zum einen, weil immer wieder Rassismus als Motiv genannt wird, zum anderen, indem bestimmte Worte eingestreut werden.

„Angeblich“ habe die Polizistin ihren Taser und ihre Pistole verwechselt. Formal richtig, denn genau so lautet ja die Angabe der Polizistin. Im allgemeinen Sprachgebrauch klingt bei der Verwendung des Wortes „angeblich“ jedoch immer mit, daß die genannte Aussage nicht der Wahrheit entspricht.

Das Wort „versehentlich“ wird in der Berichterstattung immer mit Anführungszeichen versehen. Auch das ist korrekt, schließlich handelt es sich um ein Zitat. Doch Anführungszeichen können auch verwendet werden, um den Eindruck zu erwecken, ein bestimmter Sachverhalt sei unwahr. In den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke zeigten sich denn auch viele User felsenfest von einer Mordabsicht überzeugt.

Eine Verwechslung ist nur schwer denkbar …

Und tatsächlich ist eine Verwechslung nur schwer denkbar. Auch wenn ein Taser einer Pistole nachempfunden ist, sehen beide Waffen unterschiedlich aus, wiegen unterschiedlich viel und werden üblicherweise auf entgegengesetzten Körperseiten getragen.

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Andererseits war der Einsatz eines Tasers in der körperlichen Auseinandersetzung mit Wright absolut gerechtfertigt und die Polizistin hatte vor den tödlichen Schüssen noch „Taser!“ gerufen, um ihre Kollegen zu warnen. Zudem gab sie nur einen einzigen Schuß ab und zeigte sich auf dem Video des Vorfalls hörbar schockiert. Bei einer Mordabsicht hätte sie eher mehrfach geschossen, denn ein einzelner Schuß ist nicht automatisch tödlich.

Dennoch klingt die Schilderung der Beamten unwahrscheinlich. Allerdings bedeutet der Begriff „unwahrscheinlich“ eben nicht „unglaubwürdig“, sondern lediglich: mit niedriger Wahrscheinlichkeit.

… aber eben nicht komplett unwahrscheinlich

Denn auch eine Verwechslung von Brems- und Gaspedal oder Vorwärts- und Rückwärtsgang ist sehr unwahrscheinlich. Dennoch kommen solche Irrtümer vor und fordern Menschenleben. Auch verwechseln Ärzte manchmal versehentlich zwei Medikamente und töten Menschen oder amputieren das gesunde linke statt des kranken rechten Beins.

Daß ein einzelner Mensch im Lotto gewinnt, ist äußert unwahrscheinlich, daß aber überhaupt jemand im Lotto gewinnt, wenn mehrere Millionen Menschen einen Tippschein abgeben, ist sehr wahrscheinlich.

Während sich jedoch die Wahrscheinlichkeit eines Lotteriegewinns mathematisch sehr gut beschreiben läßt, bleiben hingegen Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer Taserverwechslung  mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.

Laut der Website FatalEncounters.org kam es in den vergangenen 20 Jahren zu 16 Fällen, bei denen Personen infolge einer Taserverwechslung durch Schüsse verletzt wurden. Diese Zahlen sind nicht notwendigerweise vollständig, eine Dunkelziffer kann bestehen.

Datenmaterial über den Einsatz von Tasern in den USA liegt nicht vor. Jedoch läßt sich eine grobe Abschätzung vornehmen. In England und Wales wurden 2018 insgesamt 2.500 mal Taser abgefeuert.

Was die Statistiken dazu sagen

Zum einen haben die USA etwa die fünffache Bevölkerungsgröße, gleichzeitig gibt es in den USA mehr Kriminalität als in England und Wales. Die Mordrate beispielsweise ist etwa fünfmal so hoch. Vorsichtig geschätzt könnte man zumindest die doppelte Rate an Tasereinsätzen annehmen. Diese Werte könnte nochmals höher liegen, wenn amerikanische Beamte häufiger mit einem Taser bewaffnet sind als ihre englischen Kollegen.

Dies hieße, daß eine Taserverwechslung etwa mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:30.000 Tasereinsätzen vorkommt. Aufgrund der genannten statistischen Unschärfe beziehungsweise Dunkelziffer dürfte sich die Wahrscheinlichkeit etwa zwischen 1:10.000 bis 1:100.000 bewegen.

Daß eine Taserverwechslung mit etwa dieser Häufigkeit vorkommt, scheint nun nicht mehr unplausibel, vor allem wenn die Beamten während einer körperlichen Auseinandersetzung um ihr Leben fürchten müssen und keine Zeit haben, besonnen zu handeln.

Aber trifft eine solche Taserverwechslung Schwarze häufiger als Weiße? Das ist schwer zu sagen, weil für mehrere der 16 genannten Fälle keine Rasse genannt wird. Unter den Opfern sind Weiße, Schwarze und Hispanics. Bei allen handelte es sich um kriminelle oder psychisch auffällige Personen.

Tödlich waren jedoch gerade einmal vier Fälle. Drei der Toten waren schwarz, einer hispanisch. Zu erwarten wären hingegen zwei tote Weiße, ein toter Schwarzer und ein toter Hispanic gewesen, denn im Zeitraum von 2015-2020 tötete die US-Polizei 2.755 Weiße, 1.436 Schwarze und 1.011 Hispanics.

Wer mag, kann diese Zahlen nun als Indiz für Rassismus ansehen. Der Statistiker hingegen würde bei der Stichprobengröße von vier Fällen (N=4) einen reinen Zufallseffekt vermuten.

Aufnahmen von Körperkameras der Polizisten, Demonstration für das Opfer Fotos: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jeff Wheeler / Twitter-Screenshot / JF-Montage
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