Bengasi, 29. Juli.
Plötzlich erschüttert eine laute Explosion das Areal zwischen Hafen und Gerichtshof – gebastelter „Fischer-Sprengstoff“. Schreie hallen durch die Nacht. „Ihr Journalisten müsst die Wahrheit schreiben“, ruft ein junger Mann. „Nehmt keine Rücksicht auf diese Idioten. Ich habe meinen Bruder an der Frontlinie verloren – aber der Schuldige sitzt in Tripolis, nicht hier in Bengasi.“
Der angestaute Frust über die verfahrene Lage im Wüstenstaat hat sich Luft verschafft. Das Feuern in den Himmel setzt eine nicht ungefährliche Kettenreaktion in Gang. Es grenzt an ein Wunder, daß in dieser Nacht keine Toten zu beklagen sind. Verletzte aber sehr wohl. Eine Blutlache kündet von einem Treffer in die Hand eines Unbekannten. Und unbekannt ist so Vieles in dieser chaotischen Nacht. Wo starben der General Fattah Jounis und seine zwei Begleiter genau? Unter welchen Umständen? Es fällt schwer, zu glauben, daß Gaddafi-Anhänger die Tat verübt haben. Die „fünfte Kolonne“ hatte sich bei den März-Kämpfen offen aus der Deckung gewagt – und wurde größtenteils ausgeräuchert.
Abdel Fattah Jounis al Obeidi, selbst aus den Grünen Bergen stammend, hatte nicht nur Freunde in der Cyrenaika. Hinter vorgehaltener Hand sprach so mancher davon, daß er angeblich bis heute Sympathien für den Machthaber hege. Es kursierten Erzählungen, der Oberbefehlshaber selbst wolle keinen weiteren Vormarsch nach Brega und in den Westen. Und über sein angebliches Zerwürfnis mit Chalifa Hefter – einem weiteren führenden Kopf der bewaffneten Rebelleneinheiten. Tatsache ist nur, daß Jounis 1969 am Putsch der jungen Offiziere um Muammer Gaddafi beteiligt war. 42 Jahre im System – zuletzt als Innenminister.
Oberst Mohammed Imsalaty raucht seine Zigarette im Lobby-Sessel des Ousu-Hotels. Draußen ist es wieder ruhig. „Junis war ein guter Mann – und unser Land hat so viele Probleme“, meint der 47jährige Militär nüchtern. Zwar hat er bereits vor Stunden die Nachricht vom Führungsverlust übers Telefon erfahren – Hintergründe aber nicht. Ein nicht unbedeutendes Detail kann der Oberst dennoch preisgeben: „Ja, es war Innenminister Junis, der im Februar die Polizei landesweit anwies, nach Hause zu gehen.“ Die meisten Städte Libyens konnten so von den Volksmassen übernommen werden – zügig und mit einem recht geringeren Blutzoll, als gemeinhin behauptet. Was Abdul Fattah Junis vor fünf Monaten zu seiner Entscheidung bewogen haben mag – dieses Geheimnis nahm der General mit ins Grab.