28.04.2011, Misrata
Eine ruhige Nacht. Keine Erschütterungen, keine Kämpfe. Misrata atmet durch. Nach den Autos kehren nun auch die Passanten auf die Straßen im Norden und Osten der Stadt zurück. Kinder demonstrieren mit den libyschen Revolutionsfahnen und spielen anschließend freudig Fußball. Immer mehr Geschäfte öffnen wieder ihre Türen.
Ich genieße das sonnige Wetter im Johara Park. Hier begannen am 19. Februar die friedlichen Demonstrationen einiger hundert Studenten und Intellektueller für Reformen in Libyen, die blutig niedergeschlagen wurden – Anlaß für den kollektiven Aufruhr in der Stadt einen Tag später.
Plötzlich wie aus dem Nichts – Donnerschläge. 200 Meter entfernt schlägt eine Grad-Rakete in ein Haus ein. Die Fensterscheiben der Umgebung bersten. Ein Einwohner öffnet seine Haustür und gewährt mir Unterschlupf. Rund zehn Bomben krachen in das Mugaba-Viertel im nördlichen Zentrum von Misrata. Die Frontlinie ist über 7 Kilometer Luftlinie entfernt, nur wenige Menschen tragen hier Waffen. Es sind Zivilisten, die heute sterben. Ein 20jähriger verblutet zwei Straßen weiter.
Auch in Ras Al Tuba im östlichen Zentrum sowie in Saruhk im äußersten Nordosten von Misrata schlagen Geschosse ein. Die Menschen nehmen die alltägliche Bedrohung bereits gelassen hin. „Gaddafi will uns alle töten – aber wir lassen uns nicht unterkriegen“, bekomme ich immer wieder zu hören.
29.04.2011
Seit dem Morgen finden heftige Kämpfe in den südlichen Außenbezirken von Misrata statt. Gegen 13 Uhr geht eine Schuhfabrik an der Küstenstraße in Flammen auf – ein gewaltiger Rauchkegel steigt über der Stadt auf.
Im betroffenen Viertel mit dem Namen Ghiran kämpfen wieder hunderte mobiler Rebellen gegen Panzervorstösse der Gaddafi-Streitkräfte. Sie suchen Schutz neben niedrigen Gebäuden und feuern mit Kalaschnikows und Flugabwehrgeschossen in Richtung Gegner. Der Flughafen, weiter Ziel der Rebellen, verbleibt in Hand der Regierungstruppen.
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