Saudi-Arabien für Lithium“: Gemeint ist damit Afghanistan, wo angeblich Rohstoffe wie Lithium, Eisen, Kobalt, Kupfer oder Gold im Wert von einer Billion Dollar oder weit darüber hinaus gefunden worden sind. Diese und ähnlichlautende Nachrichten geisterten in den letzten Tagen auch durch die deutschen Medien; kolportiert durch die New York Times (NYT), die sich wiederum auf ein „Memo des Pentagons“ berief.
Entdeckt haben wollen die Rohstoffe US-Geologen und Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums. Der amerikanische General David Petraeus, unter anderem Kommandeur des Zentralkommandos der Streitkräfte für den Nahen und Mittleren Osten, machte ein „ein staunenerregendes Potential“ in Afghanistan aus.
Lithium spielte in den Meldungen wohl deshalb eine so vorrangige Rolle, weil es Kernrohstoff für eine Reihe von elektronischen Produkten ist, so zum Beispiel für Mobiltelefone, Akkus oder Laptops. Lithium gilt deshalb als Rohstoff der Zukunft; nicht wenige Experten mutmaßen, daß der Kampf um das Erdöl vom Kampf um das Lithium abgelöst werden könnte. Nach Informationen der NYT verfügt Afghanistan angeblich über mindestens so große Lithium-Reserven wie bisher nur Bolivien.
Überaus zweifelhafte Schätzungen
Nachdenklich stimmen sollten indes bereits die Eingangssätze des besagten Artikels in der NYT, in denen davon die Rede ist, daß die Rohstoffreserven ausreichten, um die afghanische Wirtschaft und vielleicht den Krieg in Afghanistan „zu verändern“. Das klingt angesichts der nicht enden wollenden schlechten Nachrichten aus Afghanistan denn doch sehr nach einem „Stimmungsaufheller“.
Möglicherweise liegt ein Grund hierfür in dem Umstand begründet, daß sich die NYT zwei Tage vor diesem Artikel sehr kritisch mit dem schwindenden Einfluß der USA in Afghanistan auseinandergesetzt hat und dafür recht deutliche Kritik seitens der Obama-Regierung erntete.
Der Verfasser des NYT-Artikels, James Risen, beschäftigt sich immer wieder mit den Geheimdiensten CIA und National Security Agency (NSA). Risen hat unter anderem mit der Anschuldigung von sich reden gemacht, die Regierung unter George Bush sei verantwortlich für die Transformation Afghanistans in einen „narco-state“, sprich: in ein rauschgiftproduzierendes Land.
Sowjetisches Kartenmaterial aus den 80er Jahren
Dieser Vorwurf ist nicht einfach von der Hand zu weisen: Afghanistans Wirtschaft fußt heute vor allem auf dem Opiumanbau, gefolgt von Entführungen. Beliebt in dem von Clan-Fürsten beherrschten Land ist auch die Schutzgelderpressung.
Die Meldung, Afghanistan sei ein Rohstoff-Eldorado, ist so neu nicht. Seit 2006 wird an der geologischen Erkundung Afghanistans gearbeitet. Blake Hounshell, Journalist der amerikanischen Zeitschrift Foreign Policy, verwies darauf, daß Zahlen wie die jetzt bekanntgewordenen bereits seit 2007 beim Institut für Kartographie abrufbar seien.
Sie beruhten auf sowjetischem Kartenmaterial aus den 80er Jahren. Eine Spezialeinheit des Pentagon will diese Zahlen nach ihrer Verlegung nach Afghanistan neu „entdeckt“ haben – was dies auch immer heißen mag.
Kaum ausgebaute Transportwege
Ein wenig schleierhaft bleibt auch, wie die Amerikaner auf die Schätzung von knapp einer Billion Dollar kommen, anderswo war von bis zu drei Billionen Dollar zu lesen, die mit den afghanischen Rohstoffen am Markt zu erzielen wären. Auch jahrelange Probebohrungen dürften nicht ausreichen, um hier eine halbwegs verläßliche Größenordnung anzugeben – von den gewaltigen Förderkosten, die dagegenzurechnen sind, ganz zu schweigen.
Eine entsprechende Infrastruktur, die einen Abbau rentabel machen könnten, fehlt in Afghanistan so gut wie vollkommen. Es gibt weder Wasserwege noch Eisenbahnen und kaum ausgebaute Transportwege. Deswegen dürften sich vorerst nur Großprojekte rechnen, bei denen auch in die Infrastruktur investiert wird. Das wird von den US-Geologen eingestanden, die einräumten, daß es derzeit keine Förderindustrie bzw. Infrastruktur in Afghanistan gebe, um die Rohstoffvorkommen zu erschließen. Deren Aufbau könne Jahrzehnte dauern.
Volker Steinbach von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, die in den 60er und 70er Jahren in Afghanistan selbst Studien durchführte, bestätigt diese Einschätzung: Die Erschließung von Rohstoffen sei „aufwendig und teuer“, sagte Steinbach gegenüber dem Tagesspiegel und ergänzte, daß die Lithium-Vorkommen im „Vergleich zu anderen Lagerstätten, beispielsweise in Australien, nur niedrige Gehalte“ hätten. >>
Es handelt sich in Afghanistan um „Pegmatitlagerstätten“, „aus denen die Lithiumgewinnung doppelt so teuer ist wie aus den Lithiumsalzen Chiles“. Skepsis klingt auch beim amerikanischen Geologen Jack Medlin durch, der gegenüber der NYT erklärte: „Dieses Land hat keine Bergbaukultur. Sie hatten einige kleine Schürfklitschen; nun aber könnten hier sehr, sehr große Bergwerke entstehen, die mehr erfordern, als Gold zu waschen.“
Risikoabschläge sind einzukalkulieren
Damit zusammen hängt die Frage nach der Zugänglichkeit (Topologie) der Fördergebiete. Je mehr Schwierigkeiten mit dem Zugang verbunden sind (so zum Beispiel in Bergregionen), desto uninteressanter, weil ökonomisch nicht darstellbar, wird der Abbau. Im NYT-Artikel ist hierzu nur zu lesen, die entdeckten Lager seien so bedeutend, daß sich die entsprechenden Investitionen lohnen würden, damit die Fördergebiete profitabel arbeiten könnten.
Zu ergänzen ist hier, so Peter Böhringer, Vorstand der Deutschen Edelmetall-Gesellschaft, in einem Hintergrundbeitrag, daß bei börsennotierten Minenwerten ein langjähriger Explorations- und Ressourcen-Definitions-Prozeß einzuhalten sei, ehe der Markt Schätzungen, wie sie jetzt vom Pentagon in Umlauf gebracht worden sind, glaubt. Bei Minenprojekten in Afghanistan müßten überdies „erhebliche Risikoabschläge auf die Gewinnabschätzungen“ einkalkuliert werden.
Investiert wird nur dort, wo die politischen Verhältnisse mittel- bis langfristig als einigermaßen stabil klassifiziert werden können. Wer aber weiß heute schon, ob nicht in fünf Jahren in Afghanistan wieder die Taliban die Macht in Händen haben!
Frieden wäre damit in weite Ferne gerückt
Das immerhin wird in dem NYT-Artikel eingestanden – und auch, daß die laufende, von den Vereinigten Staaten angeführte Offensive im südlichen Afghanistan ihre Ziele bisher nur sehr begrenzt erreichen konnte. Kritisch wird auch auf die von Vetternwirtschaft und Korruption gekennzeichnete Regierung Karsai eingegangen sowie auf die Verstimmungen, die zwischen Karsai und der amerikanischen Regierung in den letzten Monaten zutage getreten sind.
Lakonisch vermerkt NYT-Autor Risen hierzu, daß die Obama-Regierung „hungrig nach guten Neuigkeiten aus Afghanistan“ sei. Diese „Neuigkeiten“ indes könnten schnell zu einem zweischneidigen Schwert werden, weil sie auch die Taliban motivieren könnten, den Kleinkrieg zu forcieren, um am Rohstoffreichtum zu partizipieren. Ein möglicher Frieden wäre damit in weite Ferne gerückt.
Davon ist Afghanistan derzeit aber meilenwert entfernt. Wie Regierungsmitglieder vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis kommen können, daß Afghanistan zu einem der „wichtigsten Fördergebiete der Welt“ werden könnte, so nachzulesen in dem NYT-Artikel, bleibt deren Geheimnis. Nicht auszuschließen ist überdies, daß die Amerikaner bei der Ausbeutung dieser Rohstoffe womöglich nur zweite Wahl sind.
China und Japan verdrängen die USA in die zweite Reihe
Zum Verdruß der USA sind die Chinesen bereits in Afghanistan aktiv. Japan, das nach dem Regierungswechsel 2009 seine indirekte Unterstützung der westlichen Afghanistan-Mission durch Tankschiffe im Indischen Ozean einstellte, könnte bald folgen. China erhielt bereits einen umfangreichen Auftrag zum Abbau von Kupfer. Kritiker in Washington monieren, China mache mit dem Kupfer cash, während die eigenen Soldaten gegen die Taliban kämpften. Jetzt könnten den Chinesen auch noch die undankbaren Japaner folgen.
Vor kurzem forderte der afghanische Präsident Hamid Karsai bei einer Visite in Tokio Japan auf, in die Erschließung der Mineralvorkommen in Afghanistan zu investieren: „Japan ist willkommen, an der Förderung von Lithium teilzunehmen.“ Afghanistan werde bei der Erschließung seiner Rohstoffe die Länder bevorzugen, so betonte Karsai, die dem Land in den vergangenen Jahren massiv geholfen hätten.
Japan ist nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Geldgeber für Afghanistan; Tokio will bis 2013 insgesamt fünf Milliarden Dollar für den Wiederaufbau Afghanistans ausgeben – vorausgesetzt allerdings, die Regierung in Kabul bekomme das Problem der Korruption in den Griff. Womöglich benötigen die Japaner noch ein gerütteltes Maß an buddhistischem Langmut.
JF 26/10