Noch vor vier Jahren hatte Friedrich Merz den wirtschaftspolitischen Horizont der CDU aufgerissen und für gute Wetteraussichten beim CDU-Wirtschaftsrat gesorgt. Auf dessen alljährlich in Berlin abgehaltener Tagung hatte Merz damals einen seiner letzten verheißungsvollen Auftritte. Eine schwarz-gelbe Regierungsbildung schien zum Greifen nahe; mit ungewohnter Offenheit war das erzliberale Programm der kommenden zwei Jahre durchdekliniert worden.
Eine Legislaturperiode später scheinen die Hoffnungen von einst weiter entfernt als je. Vom Aufbruchsgefühl einer neoliberalen Revolution, das seinerzeit in der Luft lag, ist nichts geblieben. Selbst wenn es am 27. September zu einer christlich-liberalen Mehrheit reichen würde, hätte diese kaum Gestaltungsmöglichkeiten. So gilt es zunächst, „Deutschlands Weg aus der Krise“ aufzuzeigen. Kein anderer scheint in dieser Stunde hierfür geeigneter als Wirtschaftsminister Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CSU). Selbstironisch reflektiert dieser das Geschehen der vergangenen Wochen. Noch gebe es „viel zu viele“ in der Republik, „die die Soziale Marktwirtschaft für die Krise verantwortlich machen“. Es reiche nicht, „gerade noch den Namen Ludwig Erhard zu stammeln“, ohne zu wissen, worum es eigentlich geht. So forderte er – wie einst Merz – einen Angriff auf die „nicht mehr überblickbare Steuergesetzgebung“. Die kalte Progression sei ein „zum Himmel schreiendes Unrecht“, eine „ungerechtfertigte Bereicherung des Staates“.
Erschreckend sei auch die weitverbreitete „Bereitschaft, in die Mottenkiste der Geschichte zu springen“. Politikern, die derzeit locker „zwei, drei Milliarden“ mehr forderten, fehle „die Schamesröte“. Nochmals verteidigte er sein Insolvenz-Konzept für Opel und beklagte die „schwache Verhandlungsposition“ Deutschlands, „weil wir uns von vornherein auf einen Weg festgelegt haben“. Auch Altkanzler Gerhard Schröder, der ihn einen „Bundesinsolvenzminister“ nannte, wird bedacht. Am Ende von falschen Wahl- und Heilsversprechen stünden ja doch nur „Holzmann, Holzmann“-Rufe. Die Anwesenden sind begeistert.
Wie weit es indes um die Werte der Marktwirtschaft bestellt ist, versuchte das Podium „Unternehmer in der Verantwortung“ zu ergründen. Hier verwies EKD-Ratsvorsitzender Bischof Wolfgang Huber darauf, daß die Wertschöpfung eines Unternehmens letztlich nur aus der Wertschätzung der Mitarbeiter komme und Vertrauen „schwieriger wieder aufzubauen“ sei „als Kapital“.
Bereits beim ersten Satz weiß Trigema-Chef Wolfgang Grupp den Saal hinter sich: „Ich mache meine Geschäftsführung mit dem Wissen der Volksschule, wo man weiß, daß eins und eins zwei ist.“ Deshalb seien ihm die einzigen zwei Akademiker seines Unternehmens eigentlich schon zwei zuviel. „Kernproblem“ sei das Shareholder value-Denken. Im Prinzip sei die Finanzkrise „das gleiche wie die sogenannte New-Economy-Krise vor einigen Jahren“, ein Produkt des „Größenwahns“. Um die „Haftung zurück“ zu bekommen, die erst ein verantwortliches Wirtschaften garantiere, erneuerte Grupp den Vorschlag, nicht persönlich haftenden Gesellschaften einen Höchssteuersatz von 60 Prozent abzuverlangen und persönlich haftenden Unternehmern nur die Hälfte (30 Prozent), „dann trennt sich die Spreu vom Weizen“. Als in den Applaus hinein Moderator Daniel Goffart (Handelsblatt) kritisierend eingreift („Das ist natürlich schwierig, Ihnen zu widersprechen“), erwidert jemand aus dem Publikum: „Ja, natürlich, weil er recht hat!“ Grupp, jetzt richtig in Fahrt, schaltet gleich noch einen Gang höher. Mit Blick auf die Minister in den Aufsichtsräten, die versagt haben, donnert er: „Wir brauchen nicht nur Hartz IV, sondern Hartz V – trocken Brot und Wasser!“ Der Saal tobt.
Die Kanzlerin schlägt lieber moderate Töne an. Sie spricht in einem Ton, der sie überzeugender erscheinen läßt als bei den meisten ihrer TV-Auftritte. Dies feit sie aber nicht vor mancher Inkonsequenz, etwa, wenn sie einen Witz über das CO2 im Mineralwasser macht, anstatt die von ihr mitgetragene Klimaideologie zu hinterfragen. So meint sie – mit Blick auf die CO2-Emissionspakete – nur kalauernd: „Jeder hat hier sein Päckchen zu tragen.“ Hinter den liberalen Positionen zu Guttenbergs will sie ebenfalls nicht zurückstehen: „Dann haben wir auch einen musikalischen Titel für die Lösung der Landesbanken gefunden: AIDA – das ist die ‘Anstalt in der Anstalt’.“
Mit Blick auf den Commerzbank-Vorstand Klaus-Peter Müller fügt sie an, froh zu sein „über jede Bank, die keine Hilfe braucht“. Die „Elementarerfahrung des too big to fail“ („zu groß, um zu scheitern“) sei nichts anderes als „Erpressung“: „Das kann sich ein Staat nicht leisten.“ Warum Deutschland sich diese Erpressung offenbar doch leistet, erklärt die Bundeskanzlerin dann aber nicht.