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Noch ist der Bart nicht ab

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Die Eröffnungsansprache der traditionellen 1. Mai-Demonstration in Santiago de Cuba endete auch in diesem Jahr mit einem markigen Patria o muerte („Vaterland oder Tod“), aber die Jubelrufe waren verhalten – insbesondere als die Rednerin die Yankee-Imperialisten zum Teufel wünschte. Derart kernige Sprüche sind zur Zeit selten zu hören. Die Propagandamaschinerie steht still. In ganz Kuba wurde abgerüstet. Zwar weht vor der ständigen Vertretung Wa-shingtons in Havanna noch das schwarze Fahnenmeer, aber die gegen die USA agitierenden Großplakate mit ihren knall-roten Hakenkreuzen und Bildnissen eines dämonischen Adolf Hitler mit roten Augen sind verschwunden.

Die kommunistische Ein-Partei-Regierung scheint fest entschlossen, daß Kapitel George W. Bush als abgeschlossen zu betrachten und dem neuen US-Präsidenten Barack Obama unvoreingenommen entgegenzutreten. Wenn Kubas Präsident Raúl Castro ankündigt, sein Land sei offen für einen Dialog mit den USA, und dabei Themen wie Menschenrechte, Pressefreiheit und politische Gefangene nicht ausschließt, dann ist das ernst gemeint. Ebenso wie die Forderung, daß die Gespräche auf gleicher Augenhöhe stattfinden sollen. Zu wach sind die Demütigungen durch die USA, die das republikanische Kuba seit dem Krieg zwischen Spanien und den USA von 1898 erleiden mußte.

Die Forderungen der Brüder Castro (Ex-Präsident Fidel Castro hat trotz krankheitsbedingten Rücktritts weiter entscheidenden Einfluß) sind klar: Die USA sollen das jahrzehntelange Wirtschaftsembargo beenden, den Militärstützpunkt in Guantánamo räumen und sich nicht mehr in innerkubanische Angelegenheiten einmischen. Washington wiederum verlangt die Einhaltung der Menschenrechte und die Freilassung der politischen Gefangenen.

Mit den verkündeten Reiseerleichterungen kommt Obama vor allem den 1,5 Millionen in den USA lebenden Kubanern entgegen. Diese hatten es übelgenommen, als George W. Bush 2004 Restriktionen erließ, nach denen Exilkubaner nur alle drei Jahre einmal in ihre Heimat reisen und maximal alle drei Monate 300 Dollar an ihre Verwandten überweisen durften. Wie sich die Einschränkung mit den US-amerikanischen Grundrechten vereinbaren läßt, darüber sinnierte unlängst ausgerechnet Fidel Castro in seiner im Parteiorgan Granma erscheinenden Kolumne: Generalstaatsanwalt Robert F. Kennedy habe schon im Dezember 1963 eine Aufhebung des Verbots von Reisen von US-Bürgern nach Kuba verlangt. Castro verwies auch auf John F. Kennedy. Dieser sei zwar eine Zeitlang der „größte und gefährlichste Gegner der Revolution“ gewesen, habe aber kurz vor seiner Ermordung „ernsthaft Gespräche mit Kuba führen“ wollen. Offenbar versucht der 82jährige Revolutionsführer, so den jungen US-Präsidenten zum Dialog zu ermutigen.

Obwohl US-Außenministerin Hillary Clinton die Embargopolitik der USA gegenüber Kuba für gescheitert erklärt, weigert sich Obama, das seit 1962 bestehende, immer wieder verschärfte Embargo aufzuheben. Dabei gilt als unstrittig, daß diese Politik das KP-Regime eher stärkt, das für jeden Versorgungsengpaß die USA verantwortlich macht. In den leeren Schaufenstern listen Tafeln detailliert die finanziellen Verluste auf, die die Blockade angeblich Kuba zugefügt hat. Ein Politikwechsel würde die Machthaber in Havanna um ihr Hauptargument bringen. Andererseits ist das Embargo durch zahlreiche Sonderreglungen so aufgeweicht, daß die USA der viertgrößte Handelspartner Kubas sind.

Wie verletzlich das Tauwetter ist, zeigte sich Anfang Mai, als das US-Außenministerium Kuba erneut auf die Liste der Terrorunterstützer setzte. Die USA hätten selber eine lange Geschichte des Staatsterrors hinter sich, erinnerte prompt Kubas Außenminister Bruno Rodríguez Parrilla.

Rául Castro erwartet von Obama vor allem eine verläßliche Kuba-Politik. Er will wissen, ob er dem US-Präsidenten vertrauen kann. Denn im Herbst wird Castro auf dem überfälligen KP-Kongreß erklären, wie er den Lebensstandard des Volkes verbessern will. Aus eigener Kraft dürfte Kuba das nicht schaffen. Der einfache Kubaner witzelt bis dahin über den Abzug der Amerikaner aus Guantánamo noch zu Lebenszeiten Fidel Castros. Denn dann muß der Bart ab. Das zumindest hat der Revolutionsführer für den Tag versprochen, an dem ganz Kuba befreit ist.

Foto: Junge vor Propagandabild in Mantanzas: Ernsthafte Gespräche?

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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