Die Kroaten in der früheren jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina sehen sich zunehmend doppelt benachteiligt: Während die Serben mit der Republika Srpska seit 1995 ihre eigene Verwaltungseinheit (Entität) haben, müssen die Kroaten als viermal kleinere Minderheit mit den bosnischen Muslimen in einer Föderation zusammenleben. Und dort sind sie als Katholiken nun einer zunehmenden Islamisierung ausgesetzt. In der Hauptstadt Sarajevo sowie im östlichen Mostar gehören beispielsweise arabische Ladenschilder oder tiefverschleierte bosniakische Frauen – vor dem Krieg undenkbar – mittlerweile zum gewohnten Straßenbild.
Diese Entwicklung deutete sich seit langem an. So berichtete der JF-Balkan-Experte Carl Gustaf Ströhm schon vor sieben Jahren über eine im Westen kaum beachtete programmatische Rede des damaligen Präsidenten und Chefs der bosnischen Muslime, Alija Izetbegović (JF 10/02). Dieser hatte während des Krieges in der bosnischen Stadt Zenica vor den Kadern seiner Moslem-Partei SDA und vor „Mudschaheddin“-Kämpfern die muslimische Zukunft ausgemalt: Bosnien werde ein Land mit 80 Prozent Moslems sein – und es werde deshalb moslemisch sein. Daher sollten im künftigen Bosnien Moslems regieren und die anderen Nationen nur Minderheitenrechte genießen.
Der Chef der Nichtregierungsorganisation Croatia Libertas sowie der kroatischen „Alternativen Regierung“ in Mostar, Leo Pločkinić, warnte vorige Woche nun vor der Einheit aus bosniakischer Politik und dem Islam, welche Bosnien in einen Scharia-Staat verwandeln wolle. In Bosnien-Herzegowina und Sarajevo sei die Islamisierung in vollem Gange, klagte Pločkinić. Die bosnischen Kroaten fordern seit Jahren eine eigene Entität in Bosnien. Die während des Kriegs in der Westherzegowina sowie in den kroatisch besiedelten Teilen Nord- und Mittelbosniens bestehende Kroatische Gemeinschaft Herceg-Bosna wurde durch das Dayton-Abkommen 1995 abgeschafft.
Doch der neue Hohe Repräsentant und EU-Sonderbeauftragte für Bosnien und Herzegowina, der österreichische Diplomat Valentin Inzko, hat wie seine Vorgänger andere Ambitionen. Seine Hauptaufgaben seien die Umsetzung des Friedensabkommens von Dayton und die Annäherung Bosniens an die europäischen Strukturen – sprich eine spätere EU-Mitgliedschaft. Die fehlende Akzeptanz der multikulturellen EU-Visionen in Bosnien zeigen jedoch nicht nur alle Wahlen, welche regelmäßig von den Nationalparteien der drei Ethnien, der SDA, der serbischen SDS und der kroatischen HDZ, gewonnen werden.
Auch ihre politischen Regionalvertreter schaffen Fakten. So trafen sich erstmals im Oktober SDA-Chef Sulejman Tihić, der Vorsitzende der HDZ, Dragan Čović, und der Premier der Republika Srpska, Milorad Dodik, zu Gesprächen über einen neuen Anlauf zu der 2006 gescheiterten Verfassungsreform. Anstelle der von der EU favorisierten Verfassungsänderung zugunsten des gelähmten Gesamtstaates laufen die Gespräche jedoch in die andere Richtung: Dodik (JF-Interview 44/08) bekräftigte bei einem Treffen in Mostar im Februar das Recht auf Selbstbestimmung sowie auf ein Unabhängigkeitsreferendum für die Entitäten. Des weiteren ist von einer Teilung des Landes in vier Territorialeinheiten die Rede. Doch diese Idee wird unterschiedlich gedeutet. Während Tihić gegenüber der Zeitung Dnevni avaz erklärte, von der Neugliederung könnte auch die Republika Srpska betroffen sein, entgegnete Dodik, die Reform gelte nur für die Föderation. Das Srpska-Parlament in Banja Luka bezeichnete das Gebiet der serbischen Entität in einer vorige Woche verabschiedeten Erklärung als „unveränderbar“.
Die ungelöste Entitätenfrage stellt so die Hauptherausforderung für den neuen EU-Sonderbeauftragten dar. Inzko wird zu erklären haben, warum für Serben und Kroaten in Bosnien anderes gelten soll als für die in die Unabhängigkeit entlassenen Kosovo-Albaner. Eine Friedenslösung gegen die betroffenen Völker wird auf Dauer nicht zu halten sein.
Alexander Rüstau: Die Entwicklung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina nach dem Abkommen von Dayton. Grin-Verlag, München 2007, 59,90 Euro