Für die Habenichtse aus dem tiefsten Osten hat sich Polen in den vergangenen fünf Jahren zu einem Wirtschaftsparadies entwickelt. Verantwortlich dafür ist vor allem die meist aus Erwerbsgründen erfolgte Auswanderung von 1,2 Millionen Polen nach dem EU-Beitritt 2004. Sie stehen überwiegend in Großbritannien und Irland, aber auch in Frankreich, Finnland oder den Niederlanden in Lohn und Brot. Da sich der Großteil dieser „Wirtschaftsflucht“ geradezu schlagartig vollzogen hat, traf der Exodus die meisten polnischen Firmen unvorbereitet und mitten in einem Wachstum, das noch vor zwei Jahren bei 6,5 Prozent jährlich lag. Das Ergebnis: Die Nachfrage nach einem gleichwertigen Ersatz stieg seitdem rapide. Inmitten der Wirtschaftskrise wird in Polen qualifizierte Arbeitskraft knapp und teuer.
Laut Statistikamt ist der durchschnittliche „Wirtschaftsflüchtling“ 26 Jahre alt, meist unverheiratet, mobil und flexibel. Er hat die Universitätsreife, verfügt über eine gute Berufsausbildung in einer modernen Wirtschaftsbranche und hat passable Kenntnisse einer Fremdsprache. 2007 haben die Auswanderer über 20 Milliarden Złoty (etwa 4,6 Milliarden Euro) nach Polen überwiesen – das Doppelte des Jahres 2004. Da aber ein Ersatzheer dieser Größe nicht einfach aus dem heimischen Boden zu stampfen ist, sah sich die liberal-konservative Regierung von Donald Tusk gezwungen, die Einreise- und Erwerbsbestimmungen für arbeitswillige Ausländer zu lockern.
Diese dürfen sich seit dem 1. Februar ohne arbeitsrechtliche Erlaubnis sechs Monate im Jahr in Polen zu Arbeitszwecken aufhalten. Firmen, die Ausländer beschäftigen, bedürfen keiner Sondergenehmigung mehr, sie sind lediglich verpflichtet, die jeweilige Beschäftigung dem Kreisarbeitsamt anzuzeigen. Vereinfacht wurde auch das Einreiseverfahren: Der Anwerber stellt lediglich eine Namensliste der arbeitswilligen Ausländer zusammen, reicht sie beim zuständigen Kreisarbeitsamt zur Bestätigung ein und kann, sobald sie vorliegt, beim jeweiligen Konsulat um Einreisepapiere für die Kandidaten ersuchen.
Laut einer Einschätzung von Marcin Gortat, Mitarbeiter des Arbeitsamtes in Płońsk (Plöhnen) bei Warschau, habe die Anwerbung von Osteuropäern nach Polen bereits „industrielle Ausmaße“ angenommen; ein Großteil dieses Stroms fließe jedoch nicht nach Polen, sondern weiter nach Westen, wo er schließlich in Kanäle illegaler Arbeit einsickere.
Der faktischen Legalisierung ausländischer Schwarzarbeit ist ein Versagen der Justiz bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung vorausgegangen. Dem Arbeitsinspekteur sind die Hände gesetzgeberisch gebunden: Er kann Geldstrafen wegen einer Ordnungswidrigkeit von höchstens 2.000 Złoty (460 Euro), im Wiederholungsfall bis 5.000 Złoty (1.150 Euro) aussprechen.
Milde Strafpraxis wegen politischer Vorgaben
Bei groben Verstößen schaltet der Arbeitsinspekteur die Verwaltungsgerichte ein. Deren Urteile lesen sich allerdings eher wie eine Einladung zum Weitermachen: Der Mittelwert der diesbezüglichen Bußgeldbescheide hatte 2008 die Grenze von 2.000 Złoty nicht überschritten. Dabei dürfen sie Geldstrafen bis 30.000 Złoty (etwa 6.900 Euro) verhängen, bleiben jedoch in ihrer milden Strafpraxis merklich von politischen Vorgaben aus Warschau beeinflußt.
Von der nun legalen Beschäftigung profitieren die „klassischen“ Ausländer-branchen: Transport, Gastronomie, Baugewerbe und Dienstleistungen. Darin beugt sich das Kabinett Tusk dem Druck mittlerer und großer Unternehmen, die bereits seit 2007 eine Aushebelung der Gesetze zur Beschäftigung von Ausländern fordern, die die sozialkonservative Regierung von Jarosław Kaczyński zum Schutz des polnischen Arbeitsmarkts erlassen hatte. Daß letzteres seinen guten Grund gehabt hat, verdeutlicht ein Bericht der Staatlichen Arbeitsinspektion (PIP) für den Zeitraum Juli 2007 bis Dezember 2008. Die Kontrolleure untersuchten dabei 2.000 Firmen. Bei rund zehn Prozent wurden insgesamt 611 Fälle illegaler Ausländerbeschäftigung registriert. Vorreiter bei den Schwarzarbeitern sind die sprachverwandten Ukrainer, gefolgt von Vietnamesen, Russen und Chinesen; allgemein verzeichnet der Bericht illegale Arbeiter aus 47 Ländern. Erschwerend hinzu kommt, daß es keine staatliche Statistik über Ausländerbeschäftigung in Polen gibt: Die Zuständigkeiten sind zwischen Arbeits- und Finanzministerium unübersichtlich aufgeteilt, eine zentrale Erfassung nicht vorhanden.
Der Ökonom Mieczysław Kabaj vom Institut für Arbeit und Soziales (IPiSS) schätzt indes, daß die erfaßte illegale Ausländerbeschäftigung lediglich die Spitze eines Eisbergs darstellt. Laut seinen Untersuchungen zur „Grauzone“ (das amtspolnische Wort für „Schwarzmarkt“) arbeite eine Gruppe von etwa 800.000 offiziell arbeitslos Registrierten illegal und erstreite dadurch den Hauptteil ihrer Lebenshaltungskosten. Hinzu komme eine etwa gleich große Menge Schwarzarbeiter, die zwar ein reguläres Gehalt beziehen, aber aus finanziellen Gründen ebenfalls auf illegalen Hinzuverdienst angewiesen sind. Die dritte Gruppe des Schwarzmarkts bildet die (erhebliche, wenn auch schwer zu schätzende) Menge Arbeitnehmer, die zwar nach außen hin Mindestlöhne beziehen, de facto jedoch – und am Fiskus vorbei – weitaus mehr verdienen. Wolle man also das Ausländerproblem mitlösen, müßten wirksame Systemlösungen für den ganzen Arbeitsmarkt her.