Das Volk ist mit mir“, rief Silvio Berlusconi in die Mikrophone, als er am Abend nach der Entscheidung des italienischen Verfassungsgerichts aus dem Palazzo Chigi trat. Der 73jährige Regierungschef wirkte bei allem Zorn so vital wie in seinen besten Wahlkampf-Zeiten. „Eine Minderheit von roten Juristen nutzt das Recht aus, Politik zu machen.“ Staatspräsident Giorgio Napolitano – einst Spitzenfunktionär der Kommunistischen Partei (PCI) – habe so viele linksgerichtete Richter in das Verfassungsgericht (Corte costituzionale) berufen, daß dieses zu einem „politischen Organ“ geworden sei.
Die 15 Höchstrichter hatten am 7. Oktober mit neun zu sechs Stimmen ein Gesetz seiner Mitte-Rechts-Koalition gekippt. Es hatte den Staats-, Minister-, Parlaments- und Senatspräsidenten strafrechtliche Immunität während der Dauer ihres Mandats gewährt. Damit war Berlusconi zum zweiten Mal mit dem Ansinnen gescheitert, für seine Amtszeit Schutz vor Strafverfolgung und bereits begonnenen Prozessen zu erhalten. Seit der Unternehmer 1992 in die Politik ging, wird er von der Justiz mit Prozessen überhäuft. So wurde dem Ministerpräsidenten 1994 bei einem internationalen Gipfel in Neapel sogar vor laufenden Kameras ein Ermittlungsbescheid über Zahlungen seiner Fininvest-Gruppe zugestellt.
Im Gegensatz zu anderen Ländern genießen italienische Parlamentarier keine Immunität. Diese wurde im Zuge der 1992 gestarteten Offensive „Mani pulite“ (Saubere Hände) der Mailänder Staatsanwälte gegen die politisch-ökonomische Korruption abgeschafft. Damals wurde erfolgreich gegen Christdemokraten (DC) und Sozialisten (PSI) vorgegangen. Spätere Ermittlungen gegen die PCI (und brisante Verbindungen in den Ostblock) stießen hingegen auf eine Mauer des Schweigens.
Nun hat das Verfassungsgericht das Gesetz „Lodo Alfano“ für die strafrechtliche Immunität mit der Begründung einer Verfassungsänderung annulliert – was allerdings 2004 noch nicht verlangt wurde. Auch der 84jährige Napolitano wurde düpiert, hatte er doch noch bei der Unterzeichnung des Gesetzes erklärt, daß diese die Einwände des Verfassungsgerichts von früher berücksichtige. Das linksliberale Magazin L‘espresso – von Berlusconis „Intimfeind“, dem 74jährigen Großunternehmer Carlo De Benedetti, herausgegeben – titelte triumphierend mit „KO Lodo“ und einem angeschlagenen Berlusconi in Boxer-Pose, andere Blätter im In- und Ausland schlugen in die gleiche Kerbe – doch sie unterschätzen die Steher-Eigenschaften Berlusconis.
Dreimal ist er bereits mit klarer Mehrheit vom Volk wiedergewählt worden, sieben Jahre hat er auf der Oppositionsbank durchgehalten. Auch jetzt gibt sich Berlusconi wieder kämpferisch. Er werde „nicht wanken “. Er habe ja schon früher jahrelang ohne Immunität regiert. Und er werde beweisen, daß die zwei gegen ihn gerichteten Strafprozesse wegen Bestechung und Steuerhinterziehung nur eine „lächerliche Farce“ seien.
Während nun das Regierungslager – Lega-Nord-Chef Umberto Bossi und Kammerpräsident Gianfranco Fini – wieder enger zusammenrückt, bleibt die Opposition zurückhaltend. Die postkommunistisch-linkskatholische Demokratische Partei (PD) steckt trotz ihres neuen Chefs, des 50jährigen Ex-DC-Politikers Dario Franceschini, in einer schweren Identitäts- und Führungskrise. Sie weiß, daß bei einer Neuwahl wohl Berlusconi erneut gewinnen würde. Nur der frühere Untersuchungsrichter Antonio Di Pietro von „Mani pulite“, der die linksliberale Partei „Italien der Werte“ (IdV) führt, hat lautstark Berlusconis Rücktritt gefordert. Die zersplitterten Altkommunisten (PRC, PdCI) sitzen seit 2008 nicht mehr im Parlament.
750 Millionen Euro für Berlusconis Gegenspieler?
„Solange die politisierte italienische Justiz die Geschicke des Landes bestimmt, so lange wird sich nichts ändern“, analysierte Giuliano Ferraro, Chefredakteur des Mailänder Il Foglio. Denn wegen Berlusconis Rückhalt beim Wähler bleibt nur der juristische Weg zu seiner Ablösung – und das Weiterführen der medialen Schlammschlacht gegen den Regierungschef. Gesteigert wurde diese durch die Scheidungsabsichten seiner zweiten Ehefrau Veronica Lario. Die 56jährige Ex-Schauspielerin hatte sich über ihren Ehemann beklagt – in der linksliberalen Benedetti-Zeitung La Repubblica.
Mehr und mehr überschlugen sich die Berichte über pikante private Feste des Premiers – eigentlich ein Metier der Boulevardzeitungen. Immer neue Details wurden auch vom einstigen kommunistischen Parteiorgan l‘Unità ausgebreitet. Berlusconi strengte Klagen wegen Ehrverletzung und persönlicher Diffamierung an, verlangt zwei Millionen Euro. Die finanziell klamme Redaktion sprach sofort vom „faschistischen Beigeschmack und Zerstörung der Zeitung“. Daraufhin hieß es, in Italien sei die Pressefreiheit bedroht, Kundgebungen fanden statt.
Der Höhepunkt der gerichtlichen Offensive gegen Berlusconi war allerdings der jüngste Bescheid eines Mailänder Gerichts, die Finanzholding Fininvest (die nun Berlusconis Kindern gehört) zu einer Entschädigung von 750 Millionen Euro zu verurteilen – zu zahlen an De Benedettis Firma CIR. Beide standen sich ab 1990 als Rivalen im Streit um das Verlagshaus Mondadori gegenüber. Nach dem jetzigen Urteil sollen Berlusconis Anwälte das damalige Schiedsgericht korrumpiert haben, so das Mondadori Berlusconi zufiel. „Nun hat die Justiz nicht nur meinen Vater im Visier, sondern betreibt auch die Zerstörung unserer Unternehmen“, kritisierte Tochter Marina Berlusconi, die in Berufung gehen will.
Foto: Silvio Berlusconi: Attackiert „eine Minderheit von roten Juristen“