In Deutschlands Parteiensystem haben fünf etablierte Großparteien ihre Position so abgesichert, daß sie die aktive Mitwirkung an der politischen Willensbildung in Parlamenten oberhalb der kommunalen Ebene fast vollständig monopolisieren. Im Unterhaus dieser Zweiklassengesellschaft tummeln sich fast achtzig Klein- und Kleinstparteien, denen trotz punktueller Erfolge die Etablierung als feste Größe im politischen Meinungsspektrum versagt bleibt, auch wenn sie nicht selten mit viel Einsatz und Idealismus darum kämpfen.
Das "Handbuch der deutschen Parteien", herausgegeben von dem Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker und der in der Konrad-Adenauer-Stiftung beheimateten Parteienexpertin Viola Neu, gibt einen Überblick über diese bunte und unübersichtlich gewordene Parteienlandschaft. Es knüpft an frühere Kompendien wie das 1983 erschienene "Parteien-Handbuch" von Richard Stöss an und widmet sich den jetzt und im letzten Vierteljahrhundert tätigen, neu hinzugekommenen oder abgetretenen Parteien.
Vor 1980 verschwundene Gruppierungen wie den Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) oder die Sozialistische Reichspartei (SRP) sucht man in diesem aktuellen Nachschlagewerk daher vergebens. Erfaßt sind alle Parteien, die seit 1982 an Wahlen auf "allen drei Ebenen" – Land, Bund, Europa – teilgenommen beziehungsweise bei mindestens einer Wahl die 0,5-Prozent-Hürde für die Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung überschritten haben.
In den von 25 Politikwissenschaftlern verfaßten Parteienporträts stehen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte, Organisation, Programmatik sowie Wahlergebnisse und Wählerschaft der jeweiligen Partei im Mittelpunkt; gerne hätte man freilich mehr über die Rekrutierung ihres politischen Personals und ihrer Kandidaten erfahren. Literaturhinweise und, so vorhanden, Internet-Links runden die Beiträge ab.
Stark vom Verfassungsschutz inspiriert
Die rechten Parteien gewidmeten Beiträge scheinen stark von den Verfassungsschutzberichten inspiriert und kommen daher leider nicht ohne politisch korrekte Unsachlichkeiten aus. So wird bei den mittlerweile aus fast allen Berichten verschwundenen Republikanern zwischen einer "rechtsextremistischen" Phase von 1985 bis 2002 und einer anschließenden Phase als "semi-demokratische beziehungsweise semi-extremistische rechte Flügelpartei" unterschieden. Hinter solcher Begriffsakrobatik läßt sich unschwer das Bestreben erkennen, die jahrelange Einmischung der Verfassungsschützer nachträglich zu rechtfertigen. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit deren Folgen für die grundgesetzlich garantierte Chancengleichheit fehlt bedauerlicherweise sowohl im lexikalischen als auch im systematischen Teil des Handbuchs.
Paul Lucardie von der Universität Groningen bietet in seinem Überblick zur Typologie politischer Parteien gleich fünf Ansätze: Programmatik und Ideologie, Ziele oder Funktionen im politischen System, Ursprung oder Entstehungsgeschichte, Aufbau oder Struktur der Parteiorganisation und schließlich Wählerschaft oder soziologische Basis der Partei – ein Kriterium, das auf viele kleine Interessenparteien anwendbar ist.
Seine Düsseldorfer Kollegin Heike Merten informiert über die rechtlichen Grundlagen der im Grundgesetz verankerten Parteiendemokratie, von der Definition – eine feste und dauerhafte Vereinigung von Bürgern mit dem ernsthaften Ziel, im Bundestag und/oder in einem Landtag mitzuwirken – und den Rechten und Pflichten der Parteien über die Spielregeln der Wahlteilnahme und Parteienfinanzierung bis zum Parteienverbot.
Oskar Niedermayer zeichnet die Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems von der Neuformierung nach dem Krieg und Konsolidierung in den Fünfzigern über das Dreiparteiensystem der sechziger und siebziger Jahre bis zum Aufkommen neuer linker Parteien in den Achtzigern ("Grüne") und Neunzigern ("PDS") und zur Ausdifferenzierung des heutigen "fluiden Fünfparteiensystems", in dem stabile Zweier-Lagerkoalitionen von Dreiparteien- oder großen Koalitionen abgelöst werden.
"Selbstprivilegierung der politischen Klasse"
Mitherausgeber Frank Decker analysiert den inneren Wandel der Parteiendemokratie. Nicht nur die Veränderung der Politikstile in Richtung auf eine medienfixierte Personalisierung und inhaltliche Einebnung hat er im Blick, sondern auch die zur Perfektion strebende "Selbstprivilegierung der politischen Klasse im Parteienstaat". Ein Indikator ist die indirekte Staatsfinanzierung der Parteien, die seit 1970 mehr als versechsfacht wurde; der Realität folgend bezieht Decker auch Fraktionszuschüsse, Finanzierung von Abgeordnetenmitarbeitern und Stiftungsfinanzierung mit in seine Rechnung ein.
Einen Ausweg aus der "Politikverdrossenheit", die nicht zuletzt durch diese Entwicklung befördert wird, sieht Decker vor allem in mehr direkter Demokratie. Die noch naheliegendere Frage stellt er sich indes nicht: Ließe sich der Wille der Bürger zum politischen Engagement nicht noch besser freisetzen, wenn das Kartell der Bundestagsparteien aufgebrochen würde, dem die Mitglieder seit 1990 in Scharen den Rücken kehren? Im kleinparteilichen Frustgefängnis zwischen staatlicher Teilfinanzierung, die zum Weiterwursteln animiert, und faktischer Ausgrenzung von der parlamentarischen Mitwirkung liegt auch viel konstruktives Engagement neutralisiert und begraben, dem die Senkung oder Abschaffung von Barrieren wie der Fünfprozenthürde die Chance geben würde, sich in echter politischer Teilhabe zu beweisen. Mehr Vielfalt kann eine gefestigte Demokratie schon ertragen. Schließlich bekäme sie dafür Parlamente, in denen sich das Volk wohl ausgewogener vertreten fände als allein von der gegenwärtigen Mitte-Links-Pentarchie.
Frank Decker, Viola Neu (Hrsg.), Handbuch der deutschen Parteien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, kartoniert, 440 Seiten, 29,90 Euro