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Das Recht auf einen eigenen Staat

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Im Norden Iraks nehmen die Spannungen zwischen der Autonomen Region Kurdistan (ARK) und den türkischen Nachbarn rapide zu. Schon seit der Invasion des Irak im Frühjahr 2003 sind die Beziehungen zwischen Ankara und Hewlêr (Erbil), dem kurdischen Regierungssitz, starkem Verschleiß ausgesetzt. Während die Türkei 2003 den USA das Durchmarschrecht verweigert hatte, gehörten die Kurden zu Washingtons wichtigsten Verbündeten. Ihre Peschmerga-Kämpfer waren mit den Amerikanern gegen Präsident Saddam Hussein marschiert. Washingtons Wut über Ankaras „Nein“ hat sich noch nicht gelegt. Umgekehrt haben das Chaos im Irak und die Dynamik, die dadurch in die Frage der kurdischen Unabhängigkeit gekommen ist, die Türken in Rage gebracht. Daß die Kurden des Irak heute selber für Sicherheit in ihren Gebieten sorgen, entlastet die US-Truppen. Und Kurden engagieren sich auch in den Institutionen des Gesamt-Irak. So ist Dschalal Talabani, neben Masud Barsani der zweite starke Mann bei den Kurden, irakischer Staatspräsident. Die Idee eines unabhängigen Kurdenstaats mußte dafür in den Hintergrund treten. Niemand sollte aber glauben, daß dieser Traum ganz aufgegeben worden ist. „Wie jedes andere Volk der Welt haben auch die Kurden das Recht auf einen eigenen Staat“, bekräftigt Barsani. „Aber wir sind realistisch. Deshalb arbeiten wir heute für den Aufbau eines demokratischen und pluralistischen und vor allem föderalen Irak“, so der Präsident der ARK. Kurdische Eigenstaatlichkeit könne aber erst kommen, „wenn die Zeit und die Umstände dafür reif sind“. Für die Türkei, die ihr Verhältnis zu ihren eigenen Kurden bislang nicht zu ordnen imstande war, ist ein eigener Kurdenstaat eine Angstvision. Ankara befürchtet, daß damit auch die Autonomiebestrebungen der 15 Millionen „eigenen“ Kurden verstärkt würden. Seit einigen Wochen wird das Säbelrasseln aus Ankara lauter, der Ton schärfer. Der türkische Generalstabs­chef Mehmet Yaşar Büyükanıt, ein Scharfmacher und Kemalist der alten Schule, warf der ARK-Regierung vor, Tausende Kämpfer der aus der Türkei ausgewichenen PKK im Nordirak zu dulden und aktiv zu unterstützen. „Zwei Gruppen“, erklärte er bei einem Besuch in Washington, „unterstützen die Terroristen, die vom Irak aus in der Türkei operieren“. Er meinte die großen Kurdenparteien PDK und YNK im Irak, die nach den Schiiten die zweitgrößte Fraktion im irakischen Parlament sowie den Präsidenten und mehrere Minister stellen. Büyükanıt echauffierte sich, daß US- und irakische Truppen nicht gegen die PKK-Rebellen im Nord-Irak vorgehen. Ihre Zahl bezifferte er auf 3.500. Washington stuft die PKK zwar ebenfalls als „Terrororganisation“ ein, hat bisher aber stets erklärt, die US-Truppen im Irak seien leider „anderweitig gebunden“. In einer selbst für Büyükanıt ungewohnten Schärfe erklärte in Washington, die türkische Armee sei dann gezwungen, „einseitige Maßnahmen“ zu ergreifen. Der aggressive Ton verschreckte die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan in Ankara, der seit Monaten mit Hewlêr Möglichkeiten der Verständigung ventiliert. Außenminister Abdullah Gül verlautbarte demonstrativ, „gerade jetzt müssen wir mit der kurdischen Führung im Nord-Irak reden“. Konflikt um Zuordnung der Erdölmetropole Kirkuk Zudem ist Kerkûk (Kirkuk) ein Stein des Anstoßes. Die kurdische Stadt mit den sechs Ölfeldern, die als die größten Reserven des Landes gelten, soll nach kurdischen Vorstellungen in die Autonome Region Kurdistan einbezogen werden. In der Ölmetropole hatte es neben turkmenischen, arabischen und anderen Minderheiten stets eine starke kurdische Bevölkerungsmehrheit gegeben. Erst Saddam hatte durch Zwangsumsiedlungen die Stadt stärker arabisiert. In der neuen Verfassung des Irak hatten die Kurden das Rückkehrrecht der Vertriebenen und die Repatriierung der arabischen Neusiedler durchgesetzt. Gemäß Artikel 140 soll Ende 2007 ein Referendum über die eventuelle Rückkehr der Region in das kurdische Verwaltungsgebiet entscheiden. Die Türkei, die sich zu Saddams Zeiten nie um die Turkmenen gekümmert hatte, nimmt das Thema jetzt zum Vorwand, sich im Irak einzumischen, und Scharfmacher drohen sogar mit einem Krieg. Doch in dieser Frage ist der sonst eher für seine ausgleichende Haltung bekannte Barsani unnachgiebig: Die Türkei habe kein Recht, sich in die inneren Angelegenheiten des Irak und „Süd-Kurdistans“ einzumischen. Das Osmanische Reich gebe es seit mehr als 80 Jahren nicht mehr. „Ich glaube aber, daß man sich in der Türkei sehr wohl über die Konsequenzen einer großen Militäraktion im klaren ist. Mit Blumen jedenfalls werden wir einrückende türkische Soldaten nicht begrüßen“, so Barsani. Zwar hat die türkische Armee wieder einmal zur irakischen Grenze hin aufgeschlossen. Doch einen großangelegten Türken-Angriff halten Beobachter für eher unwahrscheinlich. Denn Hewlêr verfügt derzeit über 120.000 gut ausgebildete und (von den USA) modern bewaffnete Peschmerga, die im kurdischen Bergland noch niemals von einer regulären Armee besiegt worden sind. Die paar tausend Mädchen und Männer der im Irak geduldeten PKK wären dann das geringste Problem, mit dem sich die Türkei herumzuschlagen hätte. Barsani wirbt derweil weiter um gute Beziehungen zur Türkei. Im Interview mit Le Monde spielte er auf die Gegensätze in der türkischen Politik und auf die anstehenden Parlamentswahlen an. Eine zweite Amtszeit der amtierenden Regierung würde den Ausbau von Kontakten und den Beginn von Verhandlungen begünstigen. „Wenn aber die extremen türkischen Nationalisten an die Macht gelangen, dann wird es schwer werden, den Dialog fortzusetzen.“ Foto: Leopard-Panzer bei türkischer Militärparade: Mißtrauen, Angst und Alarmismus belasten die Lage Kurdische Gebiete: Bevölkerung davon Kurden Türkei 67,3 Mio. 20% Irak 24,0 Mio. 15-20% Syrien 17,2 Mio. 9,7% u.a. Nicht-Araber Iran 66,6 Mio. 7% Armenien 3,3 Mio. ca. 2%

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