Vergangene Woche meldete die Tageszeitung Die Welt einen neuerlichen Fall im „skurrilen Traditionsstreit in der Bundeswehr“: Laut einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Militärmusik wurde der „Richthofen-Marsch“ umbenannt und – so die Welt – „seit einiger Zeit bei Konzerten mancher Musikkorps der Bundeswehr nur noch unter dem harmlosen Titel ‚Favoriten-Marsch‘ angekündigt“. In dem Welt-Artikel wird diese Umnennung in Zusammenhang mit der Entfernung von Namen berühmter Flieger des Ersten und Zweiten Weltkriegs auf dem Luftwaffenstützpunkt Fürstenfeldbruck (JF berichtete) gesetzt und als weiterer Beleg für die „Namensstürmerei“ bei der Bundeswehr ausgewiesen. Zitiert wird auch ein Kommentar der Deutschen Gesellschaft für Militärmusik, wonach solche Umbenennungen „ein neurotisches geschichtliches Selbstverständnis, Geringschätzung vor den Leistungen der nunmehr ‚demontierten‘ Flieger sowie fehlende Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben und Sterben der gefallenen deutschen Soldaten zweier Weltkriege“ offenbarten. Im Falle der Vorgänge in Fürstenfeldbruck kam die JUNGE FREIHEIT zu einer vergleichbaren Einschätzung. Doch sollte jede auch noch so verständliche Empörung nicht den Blick auf die Fakten eintrüben. Denn offensichtlich liegt beim „Richthofen-Marsch“ diesmal keine „übereifrige Aktion“ (Die Welt) der Bundeswehr oder ihrer politischen Führung vor. Dies hat mittlerweile auch Die Welt eingeräumt. Am Dienstag zitierte sie den Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Friedbert Pflüger, der eine offizielle Umbenennung des Richthofen-Marsches bestritt: „Der ‚Richthofen-Marsch‘ kann auch in Zukunft ‚Richthofen-Marsch‘ heißen. Es gibt keinerlei Weisung aus dem Ministerium, den einen oder anderen Namen zu verwenden“, so Pflüger, der auch darauf hinwies, daß das Richthofen-Geschwader in Wittmund – auch in Zukunft – „seinen Namen mit Stolz und völlig zu Recht“ trage. Am Montag sah sich die Zeitung noch veranlaßt, eine Würdigung des berühmten Jagdfliegers aus dem Ersten Weltkrieg, Manfred von Richthofen, abzudrucken. Darin hieß es, der Name des „Roten Barons“ werde in der Bundeswehr „nicht mehr gern gehört“, während ihm bei den Streitkräften des ehemaligen Gegners (vor allem bei den Briten) nach wie vor großer Respekt entgegengebracht werde. Allerdings hat der jetzt in die Schlagzeilen geratene „Richthofen-Marsch“ nur mittelbar mit dem im April 1918 gefallenen Rittmeister zu tun. Das Stück ist nämlich 1935 für das nach dem Roten Baron benannten Jagdgeschwader 2 „Richthofen“ komponiert worden und heißt vollständig „Jagdgeschwader-Richthofen-Marsch“. Symposium zu Ehren des Komponisten Sein Komponist ist der Militärmusiker Hans Felix Husadel (1897-1964), der als „Reformator der Blasmusik“ gilt und als Schöpfer speziell für die noch junge Luftwaffe instrumentierter Werke in den dreißiger Jahren großen Einfluß ausübte. 1935 wurde Husadel ins Reichsluftfahrtministerium berufen, wo er fortan Aufbau und Organisation der Luftwaffenmusik übernahm. Seinen Ruf als „Modernisierer“ erwarb er sich vor allem dadurch, daß er die bis dahin übliche Dominanz der Blechbläser zugunsten einer stärker an Holzbläsern orientierten Orchestrierung fallenließ, außerdem gegen Widerstände das bis dahin verpönte Saxophon in die deutsche Marschmusik einführte und so einen „luftwaffentypischen“ Stil schuf. Anhaltspunkte, daß der 1941 zum Obermusikinspizienten der Luftwaffen ernannte Husadel mittlerweile der politischen Korrektheit innerhalb der Bundeswehr zum Opfer gefallen ist, gibt es nicht. Anläßlich seines 40. Todestages veranstaltete der Militärmusikdienst der Bundeswehr im Oktober ein Symposium zu Ehren Husadels, bei dem seine Kompositionen durch das Luftwaffenmusikkorps aufgeführt wurden. So kann auch die Frage nach dem „richtigen“ Namen des in die Schlagzeilen geratenen Marsches sehr einfach und erfreulicherweise unpolitisch erklärt werden. Beide Bezeichnungen – „Jagdgeschwader-Richthofen-Marsch“ und „Favoriten-Marsch“ – sind zutreffend und stammen aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Feder des Komponisten Husadel selbst. Dies sagte Oberst Michael Schramm, seit 2001 Leiter des Militärmusikdienstes der Bundeswehr, auf Anfrage der JUNGE FREIHEIT. Schramm wies darauf hin, daß die 1962 erstmals nach dem Krieg wieder aufgelegte Partitur des Marsches sowohl unter dem Namen „Richthofen“- als auch unter „Favoriten“-Marsch erschienen sei und seitdem mit der einen oder der anderen Bezeichnung vom Verlag Bote und Bock vertrieben werde. Weder zeitlich noch inhaltlich lasse sich eine Umbenennung festmachen; warum dasselbe Stück zwei Namen erhalten habe, sei zwar nicht zu erklären, es sei bei Husadel aber kein Einzelfall. Unter welchem Namen der Marsch also durch die Musikkorps angekündigt werde, hänge nur davon ab, welche Bezeichnung die jeweils benutzte Partitur trage, so der höchste Musikoffizier und Vorgesetzte über 20 Musikkorps im Gespräch mit dieser Zeitung. „Seit den sechziger Jahren, spätestens aber seit meinem Eintritt in den Musikdienst 1983, werden beide Namen in der Bundeswehr verwendet“, bekräftigte Schramm gegenüber der JF. Von einer politisch motivierten oder geänderte Traditionen berücksichtigenden Umbenennung habe er erst durch den Artikel in der Welt gehört; solche Intentionen lägen jedoch nicht vor. Schramm wies darauf hin, daß der „Jagdgeschwader-Richthofen-Marsch“ (unter dieser Bezeichnung) bis zu deren Auflösung offizieller Truppenmarsch der 4. Luftwaffendivision gewesen sei.
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