Für Zehntausende Berliner Schüler, die im gerade begonnenen Schuljahr 2006/07 die siebte Klasse besuchen, steht ein zusätzliches Pflichtfach auf dem Stundenplan: der Ethikunterricht. Damit wurde die bisherige Regelung ersetzt, die die Wahl zwischen Religions- und „Lebenskunde“-Unterricht auf freiwilliger Basis ermöglichte. Nunmehr kann die Unterrichtung in katholischer, evangelischer oder islamischer Religion sowie von Lebenskunde nur noch zusätzlich zu den zwei Wochenstunden „Ethik“ erfolgen. Auch in der achten bis zehnten Klassen soll in naher Zukunft die gleiche Regelung gelten. Nur für Schüler der ersten bis sechsten Klasse ändert sich nichts. Ihre Eltern werden auch weiterhin zwischen Religionsunterricht und Lebenskunde für ihre Sprößlinge wählen können. Die neue Regelung, zu welcher eine Änderung des Berliner Schulgesetzes notwendig war, wurde im März dieses Jahres nach fast eineinhalbjähriger Diskussion mit den Stimmen der Koalitionspartner SPD und PDS sowie der Grünen gegen CDU und FDP verabschiedet (JF 16/05). Der Antrag war unter anderem damit begründet worden, daß vor allem Kinder aus konfessionell nicht gebundenen Elternhäusern weder den Religions- noch den „Lebenskunde“-Unterricht besuchten. Wolle man jedoch „alle Schüler in gleicher Weise zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten erziehen“, sei ein gemeinsamer Pflichtunterricht die beste Lösung. Laut Schulsenator Klaus Böger (SPD) soll die neue Regelung dazu beitragen, daß sich alle Schüler gemeinsam „mit Fragen von Toleranz und friedvollem Miteinander beschäftigen“. Der Unterricht werde weltanschaulich und religiös „neutral“ sein, gleichzeitig jedoch kein „wertneutrales Fach“ darstellen. Im Mittelpunkt solle die Vermittlung der Werte des Grundgesetzes stehen. Eine Alternative hätte darin bestanden, Religion neben Ethik gleichberechtigt als Wahlpflichtfach anzubieten. Doch zu einer solchen Lösung hatte sich die SPD in Berlin schon zur Zeit der Großen Koalition mit der CDU nicht entschließen können. Denn nicht nur in den Reihen der rot-roten Koalition dominieren die Vorbehalte gegen eine solchen Kompromiß, da man fürchtet, daß dadurch die Kirchen „zuviel Einfluss“ gewinnen könnten. In den meisten anderen Bundesländern hat sich allerdings die Wahlalternative Religion oder Ethik längst bewährt. Gegen die neue Regelung gab es bereits vor ihrer Umsetzung Proteste. So meldeten in mehreren Fällen religiös geprägte Eltern ihre Kinder vom Ethikunterricht ab. Vor wenigen Wochen wies allerdings das Berliner Verwaltungsgericht den Antrag einer Berliner Schülerin auf Befreiung vom Besuch des Faches Ethik zurück. Die vom Grundgesetz geschützte Glaubensfreiheit sei auch nach der neuen Regelung ausreichend gewährt, die Antragstellerin „nicht in ihren Grundrechten beeinträchtigt“. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Fall einer zwölfjährigen Schülerin mit einer ähnlichen Argumentation zuungunsten der Antragstellerin entschieden. Dennoch hält der Berliner Landeselternausschuß an seinem Rat fest, Kinder vom Ethikunterricht abzumelden. Gegen diese Aufforderung hat Bildungssenator Böger in der vergangenen Woche Stellung genommen: Die Aufforderung des Ausschusses sei „töricht“ und „gefährlich“. Den Lehrern wurden bereits in einem Schulrundschreiben vom 28. Juli Anleitungen gegeben, wie mit Anträgen auf Befreiung vom Ethikunterricht umgegangen werden soll: Mit Bezug auf das Schulgesetz sollen die Lehrer darauf verweisen, daß „eine grundsätzliche Befreiung von einzelnen Unterrichtsfächern“ gesetzlich nicht möglich sei. Während die Evangelische Kirche, die mit einer Plakatkampagne für die Wahlfreiheit wirbt, noch überlegt, ob sie gegen die neue Regelung Beschwerde einlegt, hat sich der CDU-Spitzenkandidat bei der Abgeordnetenhauswahl am 17. September, Friedbert Pflüger, bereits klar gegen das Gesetz ausgesprochen: Im Falle eines Wahlsieges will er den Religionsunterricht auf eine Stufe mit dem Ethikunterricht stellen.