Nachdem sich der Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) und Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf eine neue Verfahrensweise für langjährig in Deutschland geduldete Ausländer verständigt haben, kamen auch die Innenminister der Länder auf ihrer Herbstkonferenz Ende vergangener Woche in Nürnberg überein, ein neues Verfahren mit dem Ziel der Einführung eines neuen „Bleiberechts“ für diesen Personenkreis anzuwenden. Grundsätzlich dürfen sich Ausländer im Bundesgebiet nur mit einer besonderen Genehmigung aufhalten. Wenn eine solche Genehmigung abläuft, eine Ausweisung verfügt wurde oder sie aus einem anderen Grund nicht vorliegt, sind sie zur sofortigen Ausreise verpflichtet. Nötigenfalls kann der Staat die Ausreise durch Abschiebung zwangsweise vollziehen. Wenn die Abschiebung aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, erhält der Betroffene eine Duldung für maximal sechs Monate. Diese Duldung begründet kein Aufenthaltsrecht, sondern beinhaltet nur die Feststellung, daß der Staat vorläufig darauf verzichtet, die Ausreise zwangsweise zu vollziehen. Abschiebungshindernisse können etwa sein, daß die Identität und Nationalität des Betroffenen nicht zweifelsfrei feststehen, daß ihm im Heimatstaat Todesstrafe, Folter oder politische Verfolgung drohen oder daß dort Bürgerkrieg herrscht. Die Ausreisepflicht bleibt nach wie vor bestehen. Wenn eine solche Duldung abläuft und das Abschiebehindernis fortbesteht, wird eine weitere befristete Duldung erteilt. Mehr als 100.000 Personen halten sich mit Hilfe solcher „Kettenduldungen“ langjährig rechtswidrig in Deutschland auf. Wer sich der Ausreiseverpflichtung nur lange genug erfolgreich widersetzt hat, kann jetzt auf Belohnung hoffen. Nach der Einigung der Innenminster der Länder vom vergangenen Freitag soll langjährig geduldeten Ausländern eine zunächst befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden, wenn sie einen Arbeitsplatz nachweisen können. Diejenigen, die keine Stelle haben, erhalten bis September nächsten Jahres Gelegenheit, eine Arbeit zu finden. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht faktisch ein Abschiebestopp. Dafür muß noch nicht einmal ein Gesetz geändert werden. Die Regelung ist bereits mit ihrem Beschluß in Kraft getreten. Nach der vorhergegangenen Einigung innerhalb der Bundesregierung sollte bereits der Hinweis genügen, daß ein bestimmter Arbeitsplatz „in Aussicht“ stehe. Franz Müntefering hat bereits angekündigt, seine Vorstellungen alsbald als Gesetzentwurf ins Kabinett einzubringen. In den übrigen Details besteht weitgehend Einigkeit. Die Regelung soll sich auf ausländische Familien beziehen, die seit mindestens sechs Jahren geduldet werden, sowie auf Ledige, die seit mindestens acht Jahren im Inland leben. Ausgeschlossen sein sollen Straftäter, die zu einer Geldstrafe von mehr als fünfzig Tagessätzen oder zu einer noch härteren Strafe verurteilt wurden. Außerdem wird ausgeschlossen, wer die Behörden über aufenthaltsrelevante Umstände getäuscht oder Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung behindert hat, etwa durch Vernichtung der Ausweispapiere oder Verschleierung der Herkunft. Schließlich dürfen die Antragsteller keinen „Bezug“ zu Extremismus oder Terrorismus haben und müssen ausreichende Deutsch-Kenntnisse nachweisen. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) kündigte an, daß diejenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, konsequent abgeschoben würden – als würde bislang nicht konsequent abgeschoben. Es ist nicht ersichtlich, wie die von den Ministern abgestimmte Verfahrensweise ein einziges Abschiebehindernis beseitigen könnte. Andererseits kann die Schleuserindustrie ihr Dienstleistungsangebot jetzt ganz legal beträchtlich erweitern. Der Nachweis eines Arbeitsplatzes ist letztlich eine Frage des Geldes und ausreichender rechtlicher Beratung. Die Gründung einer „Beschäftigungsgesellschaft“ und die Einstellung von Geduldeten für den entscheidungsrelevanten Zeitraum erfordert keine übermäßig hohe Investition, zumal hinsichtlich Art und Dauer der Beschäftigung keine hohen Anforderungen gestellt werden. Maßgeblich ist, daß der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann. Wenn Familien oder Alleinerziehende auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind (siehe Stichwortkasten), stellt dies kein Genehmigungshindernis dar. Mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird der Aufenthalt legal, und die Frist für die Einbürgerung beginnt zu laufen. Nach acht Jahren legalen Aufenthalts besteht ein Einbürgerungsanspruch. Durch die Teilname an einem sogenannten Integrationskurs verkürzt sich die Frist auf sieben Jahre. In besonderen Fällen kann aber auch vorher schon eingebürgert werden. Belastung der Sozialsysteme: Leistungen an Zuwanderer Mit der neuen Bleiberechtsregelung will die Bundesregierung eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“ verhindern. Daß die Sozialsysteme bereits jetzt überlastet sind, wird dabei verschwiegen. Laut dem aktuellen Ausländerbericht der Bundesregierung waren im Jahr 2003 12,5 Prozent aller Arbeitslosen in Deutschland Ausländer (Arbeitslosenquote der jeweiligen Bevölkerungsgruppen: Ausländer 20,5 Prozent, Deutsche 11,7 Prozent). Insgesamt waren laut der Bundesagentur für Arbeit im Dezember 2005 658.969 Ausländer arbeitslos gemeldet. Derzeit liegt der durchschnittliche Arbeitslosengeld-II-Satz bei 621 Euro im Monat. Insgesamt hat der Staat 2005 also mindestens 4,91 Milliarden Euro an arbeitslose Ausländer (davon 80 Prozent aus Nicht-EU-Staaten) ausgezahlt. Dazu zahlte der Staat monatlich 154 Euro Kindergeld für zwei Millionen ausländische Kinder. Auf das Jahr hochgerechnet ergibt sich daraus ein Betrag von 3,696 Milliarden Euro. 2004 waren 1,789 Millionen Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Das waren 24 Prozent der Ausländer im Vergleich zu 33 Prozent der Deutschen. Im Jahr 1973 waren noch 65 Prozent der Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, so daß die Belastung der Sozialsysteme angestiegen ist. Im Jahr 2005 hat die Regierung 208 Millionen Euro für Integrationskurse für Ausländer zur Verfügung gestellt. Weitere Kosten verursachten unter anderem die Asylbewerberleistungen: Laut dem Bundesamt für Statistik waren das 2004 1,308 Milliarden Euro. Eine zusätzliche Belastung für das hiesige Sozialsystem stellt eine Sonderregelung der Krankenversicherung für Ausländer dar. Laut dieser Regelung können Eltern von in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländern in ihrem Heimatland Türkei und auf dem Balkan beitragsfrei in die deutsche Familienversicherung aufgenommen werden. Bei Deutschen dagegen dürfen nur Ehegatten, Lebenspartner und Kinder beitragsfrei in die Familienversicherung aufgenommen werden. Diese Sonderregelung beruht auf einem Abkommen mit der Türken von 1964 sowie einem deutsch-jugoslawischen Abkommen von 1968 für die Bewohner des ehemaligen Jugoslawien.