Einige Landesverfassungsschutzämter haben sich darauf kapriziert, neben ihrer eigentlichen Arbeit eine fragwürdige Volksbeaufsichtigung und -erziehung zu treiben. In dieser Zeitung ist wiederholt vom Missionseifer des Düsseldorfer Verfassungsschutzes berichtet worden, seiner jahrelangen Anprangerung der JUNGEN FREIHEIT, seinem Unverständnis für Meinungs- und Pressefreiheit und schließlich von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die dem Spuk ein Ende gesetzt hatte. Ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. April des Jahres zeigt, daß es auch sonst gelegentlich der Gerichte bedarf, Freiheitsrechte gegen den Verfassungsschutz zu verteidigen und ihm seine Grenzen zu zeigen: Dort ging es um den Verfassungsschutzbericht 1997 des Berliner Landesamts, der unter anderem die Republikaner unter seiner Rubrik „Rechtsextremismus“ aufgeführt hatte, wogegen deren Landesverband geklagt und beim Verwaltungsgericht Berlin obsiegt hatte. Diese von der Verwaltung dann angefochtene Entscheidung wird nun mit dem Berufungsurteil des Oberverwaltungsgerichts bestätigt. Dessen bemerkenswert ausführliche Begründung verdient gerade auch dann Aufmerksamkeit, wenn man der Partei der Republikaner mit Reserve und Skepsis gegenübersteht. Erinnerung an das Staatsvolk Erstens: Einige der Gründe, die der Berliner Verfassungsschutz für seine These ins Feld führt, die Klägerin sei bestrebt gewesen, die freiheitlich-demokratische Ordnung des Grundgesetzes zu beseitigen, klingen wenig originell – nach Düsseldorfer Import: Sie betreibe beispielsweise die Ablösung des verfassungsmäßigen Menschenbildes durch Nationalismus, völkischen Kollektivismus, einen „biologistischen“ (ausgrenzenden) Volksbegriff und eine Überhöhung des Gemeinschaftsdenkens – bei ihr noch unterstrichen durch eine Aufnahme des „Wohles des deutschen Volkes“ in das Parteiprogramm als „oberste Priorität“ … All das rücken die Richter – nicht ohne Ironie – wieder zurecht: Das deutsche Volk sei immerhin das Staatsvolk des Grundgesetzes, auf sein Wohl leisteten der Verfassung zufolge der Bundespräsident, Kanzler und Minister ihre Eide, und was den Zusammenhang von Biologismus und Staatsangehörigkeit anlange, sei das Abstammungsprinzip im Jahre 1997 gesetzlich verbrieftes Recht gewesen, also schwerlich Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Zielrichtung; und bei aller Problematik gewisser Auslassungen im einzelnen sei anzumerken, daß etwa Forderungen nach Zuzugs- und Einwanderungsbegrenzung, nach Verhinderung der doppelten Staatsbürgerschaft, nach konsequenter Abschiebung krimineller und Sozialleistungen in Anspruch nehmender Ausländer nicht deren Menschenwürde verletzten, die letztgenannte Forderung im übrigen der Rechtslage entspreche. Wie auch die Unterscheidung nach Deutschen und Ausländern keine „Diskriminierung“ darstelle, sondern von der Verfassung selbst getroffen werde. Die – als demokratiefeindlich monierte – Verwendung des Begriffs „Altparteien“ für die etablierten politischen Kräfte sei im Sinne des Verfassungsschutzes als Indiz nicht verwendbar: ohnehin und auch deshalb nicht, weil er eine – unbeanstandete ! – Kreation der Grüne aus den achtziger Jahren gewesen sei. Zweitens: Der im Urteil insgesamt erörterte Stoff ist vielfältig und weitläufig; durchaus nicht aller Vortrag der Behörde erschien den Richtern schon auf Anhieb als abwegig. Indessen scheuen sie nicht die Mühe, ihn in seiner Komplexität vor sich auszubreiten und zu sichten, um zu einer wirklichen „Gesamtschau“ zu gelangen, die – anders als beim Verfassungsschutz üblich – nun nicht darin besteht, alle ihm als Belastung geeignet erscheinenden Faktoren zu einem Horrormosaik zusammenzuschieben und alles Gegenläufige als „Tarnverhalten“, Mimikry, Täuschung, Verschleierung oder dergleichen abzutun. Hieb- und stichfeste Gründe „Bei der wertenden Gesamtbetrachtung sind der Kontext, die Begleitumstände und die Zielrichtung der Äußerungen angemessen zu berücksichtigen, und es dürfen andere, mäßigende Äußerungen nicht außer acht gelassen werden, an denen es in Verlautbarungen der Partei ebenfalls nicht fehlt …“, heißt es in der kühlen Sprache der Juristen. Das eröffnet dann ein weites Feld: Wie reden, schreiben, über- und untertreiben die Parteien sonst, wann und aus welchen Anlässen, aus guten, schlechten oder begreiflichen Gründen, was geht anderswo unbestandet oder mit Applaus durch usw. Unmöglich, das hier nachzuzeichnen. Aber das Ergebnis war für die Richter eindeutig. Drittens: Und diese Eindeutigkeit überzeugt – aus Rechtsgründen: Es wäre müßige Spekulation zu fragen, ob das Oberverwaltungsgericht auch dann so entschieden hätte wie geschehen, wenn ihm der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts in Sachen JUNGE FREIHEIT noch nicht vorgelegen hätte. Nun war er aber in der Welt, und dessen freiheitlicher Geist hat dann auch zur Begründung des Urteils beigetragen: Der Verfassungsschutz, soweit er jemanden in seinem Bericht anprangert oder unter Verdacht setzt, muß für derartige Grundrechtseingriffe prüfbare, schwerwiegende, hieb- und stichfeste Gründe besitzen und sie darlegen können. Das hatte die Berliner Behörde sowenig begriffen wie seinerzeit die Düsseldorfer. Aber nun wird sich angesichts der wiederholt höchstrichterlich und letztinstanzlich geklärten Rechtslage, wie man hoffen möchte, kein Verfassungsschutzamt mehr die alte obrigkeitliche Attitüde erlauben. Der Autor war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg. Das Urteil ist im Internet nachzulesen unter: https://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/ovg/3b03_99.html