Nennen Sie mich ruhig Mister Flat Tax“, erklärte vor den Parlamentswahlen selbstbewußt der slowakische Finanzminister Ivan Miklo. Sein neuer 19-Prozent-Einheitssteuersatz und Wirtschaftsreformen der letzten vier Jahre brachten in der Tat Erfolge – die Wirtschaftsdaten der Slowakei sind beeindruckend: Das Wachstum liegt bei sechs Prozent, die Reallöhne sind im vergangenen Jahr ebenfalls um mehrere Prozent gestiegen. Der Arbeitsmarkt wurde liberalisiert, das Gesundheitswesen marktorientiert und das Rentensystem auf Kapitaldeckung umgestellt. Die offizielle Arbeitslosenrate sank von fast 19 auf 15 Prozent. Nicht nur rund um die Hauptstadt Preßburg (Bratislava/Pozsony), wo etwa für VW und Porsche produziert wird, blüht die Wirtschaft – auch dank der üppigen EU-Fördermillionen: In Tyrnau (Trnava/Nagyszombat) baut Peugeot und in Sillein (ilina/Zsolna) Kia ein neues Automobilwerk, Zulieferer ziehen weitere Investoren an. In der Region Neusohl (Banská Bystrica/Besztercebánya) ist Nokia aktiv. Der Matsushita-Konzern verlagert 2007 seine europäische Panasonic-Produktion von Peine/Niedersachsen in die slowakischen Standorte Preßburg, Krompach (Krompachy/Korompa) und Bingenstadt (Trstená/Árvanádasd). Wirtschaftsfreundliche Koalition ohne Mehrheit Der „Tiger der Karpaten“ wird nicht nur von vielen Ökonomen in der EU als Vorbildland gepriesen, auch die heutige Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich tief beeindruckt, als sie 2004 die christdemokratisch-liberal regierte Slowakei besuchte. Daß die Übertragung der Steuerlast auf die indirekten Steuern, also den Konsum, vor allem Geringverdiener und Rentner hart trifft, tat der an der London School of Economics ausgebildete 46jährige Miklo mit der Bemerkung ab: „Wenn jemand zum Arzt geht, um sich operieren zu lassen, ist das meist mit Schmerzen verbunden.“ Für Miklo und seine derzeitige Partei, die „neokonservative“ Slowakische Demokratische und Christliche Union (SDKÚ) von Premier Mikulá Dzurinda, zahlte sich dieser klare Kurs aus: Mit 18,36 Prozent (+3,27 Prozent) verbesserte sie sich um drei auf nun 31 Mandate. Auch für zwei der drei bisherigen Koalitionspartner wirkte sich die Regierungsbeteiligung nicht negativ aus: Die Ungarn-Partei MKP (SMK) von Béla Bugár blieb mit 11,68 Prozent (+0,52) und 20 Sitzen erwartungsgemäß stabil, ihr Anteil spiegelt den ungarischen Bevölkerungsteil wieder. Die wertkonservativen Christdemokraten (KDH), die mit ihrem Regierungsaustritt (wegen der Weigerung Dzurindas, einen Vertrag mit dem Vatikan über Gewissensvorbehalte im Berufsleben umzusetzen) Anfang des Jahres die um drei Monate vorgezogenen Neuwahlen angestoßen hatten, erreichten 8,31 Prozent (+0,06) und 14 Sitze (-1). Doch der notwendige vierte Koalitionspartner verschwand so schnell, wie er 2002 aufgetaucht war: Die liberale „Allianz des neuen Bürgers“ (ANO) des slowakischen „Mini-Berlusconi“ Pavol Rusko stürzte von 8,01 auf 1,42 Prozent ab – und flog aus dem Nationalrat. Rusko selbst, der den ANO-Erfolg vor allem seinem „TV Markíza“ zu verdanken hatte, mußte im August 2005 – wegen seines undurchsichtigen privatem Finanzgebarens – als Wirtschaftsminister zurücktreten. Der 42jährige trat aus der ANO-Fraktion aus, die daraufhin zerfiel. Dzurinda konnte aber dank „Leihstimmen“ der schließlich 25 fraktionslosen Abgeordneten – die bei Neuwahlen um ihren Sitz fürchten mußten – zunächst weiterregieren. „Die Ergebnisse der Wahl sind für uns phantastisch, wir sind überzeugt, daß die Slowakei jetzt eine links orientierte Regierung bekommt“, freute sich am Wahlabend hingegen Robert Fico. Seine 1999 gegründete linkspopulistische Partei Smer („Richtung“), die sich den Zusatz SD für „sozialdemokratisch“ zugelegt hat, konnte mit 29,14 Prozent (+15,68 Prozent) ihre Mandatszahl auf 50 verdoppeln. Der 41jährige Jurist Fico – bis 1999 Mitglied der postkommunistischen SDL, die das erste Dzurinda-Kabinett stützte – setzte auf Totalopposition und sprach gezielt die Wendeverlierer an. Das brachte zwar in der Preßburger Region, wo das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei weit über 9.000 Euro liegt, nur 21,4 Prozent, in den ärmeren Regionen um so mehr. Auch Rentnerhaushalte, die sich im Schnitt mit etwa 250 Euro monatlich begnügen müssen, fühlten sich von Ficos 25prozentiger „Reichensteuer“ oder der Abschaffung der Praxisgebühren angesprochen. Seine Ankündigung, Privatisierungen stoppen zu wollen und Mindestlöhne einzuführen, kam ebenfalls gut an. Ficos Warnung vor einer „Bevölkerungsexplosion“ bei den Zigeunern nahm die Ängste der Bevölkerung auf. Die Zigeuner-Unruhen ostslowakischen Städten (2004) machten sogar europaweit Schlagzeilen (JF 11/04). Auch wenn Fico ausländischen Gesprächspartnern gern von seinem „Vorbild“ Tony Blair erzählt und die Smer im EU-Parlament in der sozialdemokratischen Fraktion sitzt, erinnerte sein Wahlkampf eher an Oskar Lafontaine. Fico versprach daher auch den sofortigen Truppenabzug aus dem Irak. Premier Dzurinda bezeichnete er sogar als „Lakaien“ des US-Präsidenten, der „nur für ein gemeinsames Foto mit Bush“ das Leben slowakischer Soldaten riskiere – womit er speziell bei Studenten und anderen Linkswählern punktete. Da konnte die zerstrittene linksnationale Bewegung für eine Demokratische Slowakei (HZDS) des in der EU als autoritär verschrienen früheren Ministerpräsidenten Vladimír Mečiar nicht mehr mithalten. Die einst stärkste Partei der Slowakei stürzte – wohl auch wegen ihres gemäßigteren Auftretens – von 19,5 auf 8,79 Prozent ab und wird nur noch mit 15 Abgeordneten vertreten sein. Die Abspaltung HZD, die 2002 vom jetzigen Staatspräsident Ivan Gaparovič gegründet wurde, kam übrigens nicht mal auf ein Prozent. Spaltung und Personalquerelen waren auch der Grund, warum die ungarn- und zigeunerfeindliche Slowakische Nationalpartei (SNS) von Ján Slota vier Jahre nicht im Nationalrat vertreten war. Mit 11,73 Prozent wurde die Partei des Bürgermeisters von Sillein drittstärkste Partei. 2002 scheiterten SNS (3,32 Prozent) und „Wahre SNS“ (PSNS/3,65 Prozent) an der Fünf-Prozent-Hürde und ermöglichten damit überhaupt erst Dzurindas Koalition. Denn 2002 waren die Kommunisten (KSS) mit elf Abgeordneten ins Parlament gekommen. Diesmal scheiterten sie kläglich mit 3,88 Prozent (-2,44). Mit 3,47 Prozent gescheitert ist auch das von den Medien hofierte liberale Freie Forum (SF) der eloquenten Ex-BBC-Journalistin Zuzana Martináková. Sie war 2002 auf der SDKÚ-Liste ins Parlament gekommen und zur Vize-Parlamentspräsidentin aufgestiegen, hatte sich aber schließlich mit Dzurinda verkracht. Auch der Schauspieler Marek Ťapák und ANO-Abtrünnige kandidierten auf der SF-Liste. Gaparovič hat nun zunächst Wahlsieger Fico mit der Regierungsbildung beauftragt. Doch der steht vor einer schwierigen Aufgabe. Eine linksnationale Koalition aus Smer, HZDS und SNS hätte mit 85 von 150 Sitzen theoretisch die größte Mehrheit, und HZDS und SNS regierten schon bis 1998 gemeinsam – sie würde aber wohl kaum die von Gaparovič geforderte „international respektierte Regierung“ darstellen. SNS-Minister würden nicht nur in Budapest und Brüssel für Empörung sorgen – Slotas Verehrung für den 1947 hingerichteten Ex-Staatschef Jozef Tiso oder der Vorschlag des SNS-Politikers Vítazoslav Móric, „Reservate für die Zigeuner“ zu schaffen, dürfte internationalen Erklärungsbedarf auslösen. Wahlsieger Fico steht vor einer schwierigen Aufgabe Ähnliches gilt für eine Smer-KDH-SNS-Koalition, die auf 84 Sitze käme. Daher erscheint eine Koalition oder Tolerierung mit Smer, KDH und MKP, die ebenfalls auf 84 Mandate zählen könnte, die aussichtsreichste Variante. Die Schnittmengen zwischen Smer und KDH sind übrigens größer als zwischen CDU und SPD: Beide sind beispielsweise für härtere Maßnahmen gegen Kriminelle und gegen den „Liberalismus“, sie sind Euroskeptiker und erklärte Gegner des Irak-Krieges. Die MKP hingegen ist flexibel, ihr geht es vor allem um die Minderheitenrechte der halben Million Ungarn. Eine Koalition Smer-SDKÚ, die auf 81 Mandate käme, wäre zwar am EU-kompatibelsten – doch angesichts des rüden Wahlkampfes scheidet sie vorerst aus. Scheitert Fico, dann könnte die SDKÚ eine Chance bekommen: Zusammen mit KDH, MKP und HZDS käme das Vierer-Bündnis auf 80 Sitze. Angesichts der SNS dürfte Brüssel über das „kleinere Übel“ Mečiar gnädig hinwegsehen. Und der Wirtschaft würde diese Koalition ebenfalls gefallen. Foto: Premier Dzurinda mit Familie: Keine Koalition ohne Meciar
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