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Nicht im nationalen Interesse

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Während in Europa schon vor dem Beginn des Irakkriegs im März 2003 heftig über dessen Sinn diskutiert wurde, war in den USA anfangs eine Mehrheit dafür – der Schock der Anschläge vom 11. September 2001 saß tief im Bewußtsein. Doch inzwischen ist die Kriegsbegeisterung dramatisch eingebrochen: Nur noch 35 Prozent der US-Bürger stehen laut Umfragen hinter dem Konzept der US-Regierung im Irakkonflikt. Der frühere Chef des US-Zentralkommandos, Anthony Zinni, sprach kürzlich von „katastrophalen Fehlern“, die im Irak begangen wurden. Der Krieg sei überhaupt nicht notwendig gewesen. Und die vorgeblichen Kriegsgründe haben sich als falsch herausgestellt: Weder verfügte der Irak über bedrohliche Massenvernichtungswaffen (wie 2004 ein CIA-Bericht bestätigte), noch steckte Präsident Saddam Hussein hinter den Angriffen auf das World Trade Center. Der Irak ist auch nicht zu einem „Leuchtturm der Demokratie“ im Nahen Osten, sondern nach dem Einmarsch der US-Truppen zu einem Zentrum des Terrorismus geworden – weshalb auch die irakische Erdölproduktion nicht in Gang kommt. Gleichzeitig reißen die Kosten für das Irak-Abenteuer dreistellige Milliardenlöcher in den US-Haushalt. Zudem sind schon über 2.300 gefallene und etwa 17.500 verwundete US-Soldaten zu beklagen. „Eine recht naive Sicht der US-Außenpolitik“ Ein – offiziell allerdings nie genanntes – Kriegsziel wurde immerhin erreicht: Der Irak ist derzeit keine Bedrohung für die Länder im Nahen Osten mehr. Speziell Israel hat nun einen erklärten Gegner weniger. Das Regime in Bagdad war zudem einer der Finanziers palästinensischer Terrorgruppen. Und ausgehend davon haben die US-Politologen Stephen Martin Walt und John Mearsheimer eine kontroverse Studie mit dem Titel „Die israelische Lobby und die Außenpolitik der USA“ verfaßt, die am 13. März auf der Internetseite der Kennedy School of Government der Harvard-Universität veröffentlicht wurde. Nachdem eine Kurzfassung auch in der London Review of Books (Volume 28/Number 6, März 2006) erschien, brach ein Sturm der Entrüstung los: Als „Lügner“ und „Fanatiker“ bezeichnete Harvard-Professor Alan Dershowitz die beiden Autoren. Der Geostratege Eliot Cohen von der Johns Hopkins University sprach von einem „erbärmlichen Stück Wissenschaft“ und schrieb in der Washington Post: „Yes, It’s Anti-Semitic“. „In vier Amtszeiten im Weißen Haus habe ich keine einzige Entscheidung zugunsten Israels auf Kosten von US-Interessen erlebt“, erklärte der ehemalige Präsidenten-Berater David Gergen. Sogar der linke israelkritische US-Wissenschaftler Noam Chomsky kritisierte, daß Mearsheimer und Walt „eine recht naive Sicht der US-Außenpolitik“ hätten. Harvard hat dem Papier inzwischen die Universitätssiegel entzogen. Walt wird seinen Posten als Akademischer Harvard-Direktor aufgeben. Aber was sind nun die Thesen der beiden US-Wissenschaftler? Sie fordern, daß das nationale Interesse in der US-Außenpolitik Priorität haben müsse. Das aber soll im Hinblick auf den Nahen Osten aber nicht mehr der Fall sein. Hier drehe sich seit dem „Sechs-Tage-Krieg“ 1967 mehr oder weniger alles um die Interessen Israels. Das führt die Autoren der 83seitigen Studie zu der Frage, warum die USA bereit seien, ihr eigenes Sicherheitsinteresse hinter das eines anderen Staates zu stellen. In ihrer Antwort verweisen sie auf die Aktivitäten der „Israel-Lobby“, der es gelungen sein soll, „die USA von der Verfolgung ihrer nationalen Interessen abzuhalten“. Die Lobby konnte die Amerikaner davon überzeugen, daß die Interessen der USA mit denen Israels mehr oder weniger „identisch“ seien. Das sei aber, so meinen Mearsheimer und Walt, keineswegs der Fall. Tatsächlich sei das Terrorismusproblem, das die USA hätten, zu einem nicht unerheblichen Teil auf die „bedingungslose Unterstützung Israels“ zurückzuführen. Diese Politik würde Haß und Wut auf die USA in dieser Region fördern, den Ölpreis verteuern und die Beziehungen zur arabischen Welt vergiften. Bemerkenswert ist, daß diese Thesen nicht von randständigen arabischen oder islamistischen Wissenschaftlern aufgestellt werden, sondern von zwei anerkannten Vertretern ihres Faches. Stephen Martin Walt ist Professor für Internationale Angelegenheiten an der renommierten John F. Kennedy School of Government der US-Elite-Universität Harvard. John Mearsheimer lehrt Politik an der Universität von Chicago und trat in der Vergangenheit unter anderem mit dem Buch „The Tragedy of Great Power Politics“ hervor. Er gilt als „Neorealist“ und befürwortet unter anderem einen Ausgleich mit China. Beide Wissenschaftler erwarben sich durch eine Unzahl von Publikationen einen ausgezeichneten Ruf. Schon 2002 fielen sie als Kritiker des Irakkrieges auf, den sie für nicht gerechtfertigt hielten. Wenn Mearsheimer und Walt von der „unübertroffenen Macht“ der „Israel-Lobby“ in den USA sprechen, dann meinen sie „eine lockere Koalition von Individuen und Organisationen, deren Arbeit darauf abzielt, die US-Außenpolitik in eine proisraelische Richtung zu lenken“. Sie heben ausdrücklich hervor, daß nicht alle amerikanischen Juden zu dieser Lobby zu zählen seien, weil Israel nicht für alle von so herausragender Bedeutung sei. Sie kritisieren auch nicht die in den USA übliche intensive Lobby-Tätigkeit an sich. Sie heben aber hervor, daß die proisraelische Lobby ihre Arbeit nur „sehr viel besser“ mache als andere. Deren Schlüsselorganisationen, zu denen das einflußreiche American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) oder die Conference of Presidents of Major Jewish Organizations zähle, bestünden aus „Hardlinern“, die in der Regel die Expansionspolitik der israelischen Likud-Partei unterstützten. Zur „Israel-Lobby“ zählten aber ebenfalls christliche Evangelikale wie Dick Armey, Gary Bauer, Tom DeLay (JF 16/06), Jerry Falwell, Ralph Reed oder Pat Robertson, die die Wiedergeburt Israels als Erfüllung biblischer Prophetie betrachteten. Auch erklärte Neokonservative wie Ex-Pentagonvize Paul Wolfowitz gehörten dazu. US-Kongreß sei „immun“ gegen Kritik an Israel Zu den „Schlüsselpositionen“ der Lobby soll der US-Kongreß gehören. Nach Meinung von Walt und Mearsheimer sei es ihr gelungen, diesen mehr oder weniger „immun“ gegen Kritik an Israel zu machen. Bei den Präsidentschaftswahlen würden in der Regel sowohl der Kandidat der Republikaner als auch der der Demokraten von der Lobby mit nicht unerheblichen Summen unterstützt. Laut Schätzungen der Washington Post soll das Wahlkampf-Budget demokratischer Präsidentschaftskandidaten sogar bis zu 60 Prozent von proisraelischen Unterstützern stammen. Ähnlich einflußreich sei die Arbeit der Lobby in den „Mainstream“-Medien. Sie werden, wie der von Mearsheimer und Walt zitierte Journalist Eric Alterman schreibt, von Leuten „dominiert, die sich nicht vorstellen können, Israel zu kritisieren“. Dazu sollen Zeitungen wie die konservative Washington Times oder die liberale New York Times, aber auch Magazine wie The New Republic oder der Weekly Standard gehören. Auch in Denkfabriken wie dem American Enterprise Institute (AEI), der Brookings Institution, der Heritage Foundation oder dem Jewish Institute for National Security Affairs (JINSA) gäben proisraelische Kräfte den Ton an. Zu den Hauptvorwürfen, den die Autoren erheben, gehört, daß Israel und dessen Lobby „Schlüsselfaktoren“ bei der Entscheidung zum Krieg gegen den Irak gewesen sein sollen. Zu einem guten Teil sei dieser Krieg von dem Wunsch getragen worden, Israel „sicherer“ zu machen, meinen Mearsheimer und Walt. Und dieses mutmaßliche Kriegsziel wurde immerhin erreicht – im Golfkrieg 1991 feuerte die irakische Armee noch 39 Scud-Raketen auf Israel ab. Foto: AIPAC-Präsident Howard Friedman spricht auf der Jahrestagung seines Komitees im März 2006: Israel sicherer machen

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