Der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen ist in den letzten Wochen häufiger in den Schlagzeilen denn zu seiner Zeit als Verantwortlicher für die EU-Erweiterung. Zuerst warf ihm die FAZ „mutmaßliche Günstlingswirtschaft“ vor, weil der 62jährige seine Mitarbeiterin Petra Erler im April zur Kabinettschefin ernannt hat. Dann druckte der Focus ein Foto ab, das Verheugen händchenhaltend mit der attraktiven 48jährigen zeigt – im Ostseeurlaub in Memel (Klaipėda), ohne seine Ehefrau Gabriele. „Wird dieses Foto zum Polit-Skandal?“ fragte schließlich Bild. Wendige Karriere vom FDP- zum SPD-Spitzenpolitiker Von der Parteien Gunst und Neid verwirrt schwankt Verheugens Charakterbild seit Jahrzehnten durch die deutsche und europäische Politik. Von seinem politischen Ziehvater Hans-Dietrich Genscher wurde der NRW-Chef der Jungdemokraten 1969 unmittelbar nach seinem Studium zum Referatsleiter für Pressearbeit ins Innenministerium in Bonn befördert. Getreulich diente der Rheinländer Genscher auch nach dessen Wechsel ins Außenamt und als Generalsekretär der FDP. Wer Genschers ruppigen Führungsstil kennt, weiß, daß die Prägung als Genscherist nicht nur ständige taktische Winkelzüge beinhaltet, sondern, wie böse Zungen behaupten, charakterliche Schädigungen auf Lebenszeit auslöst: niemandem als sich selbst zu trauen, sich bei jedweder Meinungsänderung für unfehlbar und den Rest der Menschheit für übelwollende Reaktionäre oder begriffsstutzige Idioten zu halten. Nach der Wende der FDP in die Koalition mit der Union wechselte Verheugen 1982 die Partei und wurde zunächst als sozialliberales Aushängeschild der SPD hofiert. 1983 erhielt er über einen sicheren fränkischen Wahlkreis ein Bundestagsmandat. Er wurde Parteisprecher, Vorwärts-Chefredakteur und SPD-Generalsekretär – bis ihn Parteichef Oskar Lafontaine 1995 zum Rücktritt zwang. Als Hinterbänkler spezialisierte er sich dann auf Afrikathemen, die den Vorteil haben, moralisierend und intellektuell anspruchslos mit großem Medienecho dargeboten werden zu können. Der Lohn dieses Einsatzes erfolgte 1998, als Verheugen unter dem Grünen Joseph Fischer Staatsminister im Auswärtigen Amt wurde. Sehr lange konnte Verheugen nicht verheimlichen, daß er sich selbst für den besseren Außenminister hielt. Kanzler Gerhard Schröder löste sein Personalproblem, indem er Verheugen 1999 als Kommissar nach Brüssel schickte. Bei seinem Dienstantritt soll Verheugen seinen erstaunten Mitarbeitern in schlechtem Englisch erzählt haben, er sei eigentlich Holländer – er soll dann aber kein einziges niederländisches Wort über die Lippen gebracht haben. Er erhielt die Zuständigkeit für die EU-Osterweiterung und beschloß gegen die Expertenmeinungen im eigenen Hause, 2004 zehn Beitrittsländer auf einen Streich aufzunehmen. Kleinigkeiten wie die unzureichende Volkgruppenrechte der deutschen oder ungarischen Minderheiten oder jahrelange Diskriminierungen von EU-Ausländern beim Grunderwerb in Polen und der Tschechei ließ er den Neulingen kampflos „durchgehen“. In den offiziellen Jubelkampagnen um die Osterweiterung ging jedwede Kritik an der Amts- und Verhandlungsführung Verheugens unter. Er sah sich als Superstar gefeiert. Verheugen störte wenig, auch den Beitritt der Türkei auf Geheiß des auf türkische Wählerstimmen schielenden Kanzlers Schröder zu betreiben, obwohl er privat angeblich lange Vorbehalte gegen Ankara geäußert haben soll. So glaubte Verheugen denn nach seiner Wiederbestellung zum Kommissar unter José Manuel Durão Barroso 2004 einen besonders wichtigen Posten erhalten zu müssen. Allein die ruppigen Töne aus Berlin und die Überheblichkeit des Kommissars gingen dem zurückhaltenden Portugiesen so auf die Nerven, daß er dem ökonomischen Laien Verheugen nur die praktisch kompetenzlose Generaldirektion „Unternehmen“ und den schmückenden Titel eines Vizepräsidenten anvertraute. Nun ist seine Aufgabe, durch die EU-weite Förderung von Informationssystemen und Ausbildungsinitiativen die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu stärken. Sprich: Geld an Industrie- und Handwerkskammern und Unternehmensberater für überteuertes Blabla und Konferenzen mit vorhersehbaren Inhalten zu verteilen. Verheugen sah die Absicht und war verstimmt. Er dekretierte statt dessen die Vereinfachung von EU-Normen als produktivitätssteigerndes Konzept zum Programm. Bald verkündete er lauthals als Erfolgsbilanz, wie viele überflüssige Verwaltungsentwürfe er schon im Vorfeld vernichtet habe. Ganze Abteilungen schienen nur noch Unfug zu produzieren, damit sie Verheugen dann lautstark entsorgen konnte. Drei Jahre dauerte das Spielchen, dann hatte Verheugen genug. EU-Beamtengewerkschaften haben Rücktritt gefordert Er erklärte die Kommissionsbeamten, ein in der französischen Verwaltungstradition stehendes Elitekorps, zu herrschsüchtigen Intriganten und sich selbst zum Opfer ihrer Nichtzusammenarbeit. Bei seiner Vendetta gegen seine eigenen Leute hatte Verheugen aber ein Detail übersehen: Sie wußten zuviel. Schon bei seinem Amtsantritt 1999 hatte er in sein Kabinett eine Vertraute, eine alternativ gewandete Brandenburgerin mitgebracht, die zwar in seinem Stab kaum substantielle Beiträge lieferte, ihn aber stets hemmungslos bewunderte und bei dem launischen Chef stets mit Wohlwollen belohnt wurde. Als der langjährige Kabinettschef Peter Tempel im Frühjahr des Jahres nach Berlin zurückkehrte, um dort die EU-Abteilung des Auswärtigen Amtes zu übernehmen, wurde Petra Erler über zwei Gehaltsstufen hinweg seine Nachfolgerin. Sie wird in dieser Funktion als EU-Direktorin mit einem Monatsgehalt von insgesamt etwa 20.000 Euro entlohnt. Verheugen mag seine Attacken gegen die eigenen Leute losgetreten haben, weil er sich in Berlin als Nachfolger für den amtsmüden „EU-Außenminister“ Javier Solana de Madariaga in Erinnerung bringen wollte. Doch einen solchen öffentlich gewordenen Regelverstoß kann ein Kommissar ohne Freunde kaum überleben. Die Brüsseler Beamtengewerkschaften haben bereits seinen Rücktritt gefordert. Der ist wohl nur noch eine Frage der Zeit – im Januar 2007 muß die EU-Kommission wegen des Beitritts von Rumänien und Bulgarien umgebaut werden.
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