Der bulgarische Präsident Georgi Parwanow hat letzte Woche einen dreitägigen Deutschland-besuch absolviert. Ob bei Bundespräsident Horst Köhler oder in seiner Rede vor der Südosteuropa-Gesellschaft – immer warb der 48jährige Ex-Kommunist für den EU-Beitritt seines Landes zum 1. Januar 2007. Im Mai will die EU-Kommission einen Bericht darüber vorlegen, ob das 7,8-Millionen-Einwohner-Land die Kriterien der EU erfüllt – sollte der allzu negativ ausfallen, könnte sich der Beitritt um ein Jahr verzögern. Und wer in diesen Wochen mit Bulgaren über Politik spricht, hört immer wieder dasselbe. Alle hätten sich bereichert. Vertrauen habe man weder in die Regierung noch in die Opposition. Die Medien seien unglaubwürdig. Die bulgarisch-orthodoxe Kirche unter Patriarch Maxim (der vor 1990 als Oberst der Armee geführt wurde) wird bezichtigt, nicht mit ihrer regimefreundlichen Vergangenheit gebrochen zu haben. Ex-König Simeon II, der das Land unter dem Namen Simeon Sakskoburggotski (Simon von Sachsen-Coburg-Gotha) als Ministerpräsident von 2001 bis 2005 regierte, ist von der politischen Bildfläche verschwunden. Zuletzt tauchte sein Name im Februar beim Besuch des spanischen Kronprinzen Felipe und seiner Frau Letitia in der Presse auf. Die jungen Leute, die von ihrer fundierten Ausbildung her häufig zur europäischen Spitzenklasse gehören, sind politisch abstinent und frustriert von den Machtkämpfen in der 1990 gegründeten rechtsliberalen Union Demokratischer Kräfte (SDS). Ähnlich wie bei der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine waren im Winter 1997 fast eine Million Menschen in Sofia auf die Straße gegangen, um die Abwahl der Regierung unter Führung der postkommunistischen Sozialisten (BSP) zu erzwingen, die das Land heruntergewirtschaftet hatten. Es folgte eine bürgerliche Regierung unter Premier Iwan Kostow (SDS), die sich zusammen mit kleineren Parteien auf die absolute Mehrheit im Parlament stützen konnte. Bulgarien, das nun mit Erfolg den Nato- und EU-Beitritt ansteuerte, stabilisierte sich finanziell durch Koppelung der Lewa an die D-Mark und erlebte einen ökonomischen Aufschwung. Die Armut der Rentner und der Landbevölkerung überwand die SDS-Regierung jedoch nicht – und die Bekämpfung der oft aus der ehemaligen KP hervorgegangenen Mafia blieb in den Anfängen stecken. Als es mit der SDS in den Meinungsumfragen abwärts ging, zeigten sich Risse im „eisernen Dreieck“ der Partei – bestehend aus Kostow, Präsident Petar Stojanow und dem Sofioter Bürgermeister Stefan Sofijanski. Kostow unterlag bei den Parlamentswahlen 2001 haushoch dem aus Spanien zurückgekehrten Simeon II, der mit seiner schnell zusammengewürfelten Nationalen Bewegung Simeon II (NDSW) den Bulgaren versprach, er werde innerhalb von 800 Tagen den Wohlstand für alle merklich anheben. Stojanow verlor 2002 das Präsidentenamt an den damaligen BSP-Chef Parwanow. Der Ex-König, des Deutschen anfangs mehr mächtig als des Bulgarischen, war 1943 als Sechsjähriger für seinen wahrscheinlich ermordeten Vater Boris III. als Thronfolger eingesetzt worden. Die Amtsgeschäfte führte sein Onkel Prinz Kyrill. Ein 1946 vom Kommunisten-Regime abgehaltenes Schein-Referendum führte zur Abschaffung der Monarchie und zwang die Zarenfamilie zur Flucht – zunächst nach Ägypten, dann nach Spanien. Die Kostow-Regierung hatte Simeon die Rückkehr nach Bulgarien und die Rückgabe seines Besitzes ermöglicht. Simeons Sohn Kyrill wurde Wirtschaftsberater von Präsident Stojanow. Niemand hatte 2001 erwartet, daß der Ex-König die vierjährige Regierungszeit schaffen könnte – aber durch seine bescheidene Art hatte er Sympathien gewonnen. Außenpolitisch vollzog er 2004 den Nato-Beitritt und setzte den EU-Kurs der Vorgängerregierung fort. Selbst daß zu seinen Beratern mutmaßliche Mafiabosse gehörten, führte nicht zu seinem Sturz. Die SDS-Opposition zerstritt sich in drei Kleinparteien. Simeons NDSW wurde Mitglied der EU-Liberalen, nachdem die Europäische Volkspartei (EVP) ihr Aufnahmegesuch abgelehnt hatte. Dafür sorgte der Fernsehmoderator Wolen Siderow, ab 1990 Chef der inzwischen eingestellten SDS-Zeitung Demokrazija, mit seiner nationalpopulistischen Partei Ataka (Angriff) für Schlagzeilen – mit 8,2 Prozent wurde sie 2005 viertstärkste Kraft. Als einzige Parlamentspartei ist sie gegen die geplanten US-Stützpunkte. Simeon, der sich durch sein politisches Engagement wohl eine Rückkehr auf den Thron erhofft hatte, erlitt 2005 bei den Parlamentswahlen zwar die vorausgesagte Niederlage – Hauptgrund dafür war neben den ungelösten sozialen Problemen die ungezügelte Ausbreitung der Mafia. Aber mit 19,9 Prozent wurde man nach der BSP mit 31 Prozent immerhin klar zweitstärkste Kraft. Und der jung-dynamisch wirkende BSP-Chef Sergej Stanischew (geboren 1966 als Sohn einer Nomenklatura-Familie in der Ukraine) hatte keine Scheu, mit den Resten der Königsbewegung und der Türkenpartei DPS ein Regierungsbündnis einzugehen. Ahmed Dogans DPS, mit 12,6 Prozent nun dritte Kraft, gehörte bisher allen Regierungen nach der Wende an. In Interviews bekannte Dogan, er sei lieber mit einer schönen Frau zusammen als in Parlamentssitzungen. Die etwa 800.000 Türken in Bulgarien verzeihen ihrem besten Lobbyisten solche Ausrutscher. Daß Bulgarien wohl trotz aller Probleme in die EU aufgenommen wird, verdankt es seiner geostrategischen Lage und der westlichen Furcht, sonst würde der russische Einfluß südlich der Donau wieder stärker. Die Schwarzmeer-Region wird zudem wegen der benachbarten Energiereserven immer wichtiger. Bulgarien ist traditionell deutschfreundlich, es gibt über 40 deutsche Schulen im Land. 27 von 31 Kapiteln für die EU-Aufnahme sind erfüllt. Probleme gibt es hinsichtlich einer funktionierenden Justiz und beim „Aufbau demokratischer Volksparteien“. Weder die BSP, die sich nie zu ihrer historischen Schuld bekannt hat, noch die NDSW halten EU-Maßstäben innerparteilicher Demokratie stand. Sie sind im Kern Führerbewegungen mit Mafianähe – trotz vieler untadeliger Mitglieder. Der nächste Volkstribun hat sich bereits auf die Reise begeben: Boiko Borrisow, zuvor General im Innenministerium, Besitzer eines Sicherheitsdienstes und Ex-NDSW-Kandidat, gewann Ende 2005 als Unabhängiger die Bürgermeisterwahl in der früheren SDS-Hochburg Sofia. Der frühere Leibwächter des Ex-Diktators Todor Schiwkow und des Königs spricht die Sprache der Massen und entwickelte sich als eigentlicher Chef des Innenministeriums zum Medienstar. Obwohl die Erfolge im Kampf gegen die Mafia ausblieben – über hundert Morde und Anschläge sind noch ungeklärt. Foto: Newski-Kathedrale und Parlament in Sofia: Morde und Anschläge