Geredet wurde am Montag in Berlin reichlich über das vielbeschworene „sichtbare Zeichen“, mit dem in der Hauptstadt an die Opfer der Vertreibungen erinnert werden soll. Etwas Greifbares herausgekommen ist dabei nicht. Gleich zwei hochkarätig besetzte Veranstaltungen beschäftigten sich an diesem Tag mit dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen und mit der Frage, wie der Opfer von Flucht und Vertreibung angemessen gedacht werden kann. „Ich empfehle jedem, die Ausstellung ‚Erzwungene Wege‘ von Erika Steinbach (CDU) zu besuchen“, sagte Jochen-Konrad Fromme (CDU) in seiner Begrüßungsrede zu der Gedenkveranstaltung „Sechzig Jahre Vertreibung – Sechzig Jahre Wege zur Versöhnung“ im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Zu der Veranstaltung der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, die „ohne erkennbaren Anlaß“, stattfand, wie die Berliner Zeitung verschnupft anmerkte, hatte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angesagt. In ihrer Rede sagte sie, die Union wolle mit der Organisation einer solchen Veranstaltung ein deutliches Zeichen setzen. Das Schicksal der Vertriebenen sei der Regierung nicht egal, sondern repräsentiere ein wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte. Sie deutete an, daß die Errichtung einer Gedenkstätte für die Vertriebenen an einem „angemessenen Ort in Berlin“ erforderlich sei. Über konkrete Pläne sprach sie allerdings auch an dieser Stelle nicht. „Auf dieses Niveau müssen wir uns nicht herablassen“ Die Kanzlerin betonte statt dessen, daß es ohne die Verbrechen der Nationalsozialisten keine Vertreibung der Deutschen gegeben hätte. Deshalb wachse gerade durch die Geschichte Deutschlands die Verantwortung für die Zukunft. Ihr Parteikollege und Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hatte kurz vorher ähnlich argumentiert. Gerade das Bewußtsein über die Singularität des deutschen Verbrechens im „Dritten Reich“ sei wichtig für die Zukunft, sagte er. Jedoch bleibe die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen Unrecht, auch wenn sie als Reaktion auf anderes Unrecht erfolgt sei, sagte Kauder, dessen eigene Familie aus Ungarn vertrieben wurde. Anschließend nahm auch er Steinbach in Schutz und verurteilte die „unangemessene“ Kritik aus Polen an ihrer Ausstellung. Auch der Historiker Arnulf Baring versteht die Aufregung über die Ausstellung nicht. „In Wirklichkeit kommen die deutschen Opfer dort nicht genug vor“, sagte er. Insgesamt sei die Diskussion darüber „primitiv“ gewesen. Es sei unter anderem darüber diskutiert worden, ob Steinbach als Repräsentantin für die Ausstellung geeignet sei. „Auf dieses Niveau müssen wir uns nicht herablassen“, so Baring. Zu den Vorwürfen aus Polen sagte er: „Wir Deutschen haben uns seit Jahrzehnten bemüht unsere Vergangenheit aufzuarbeiten. Heute haben wir einen Zustand der Selbstprüfung erreicht, die in Europa desgleichen sucht“. Am Abend hatte dann die Journalistin Lea Rosh zu einer Diskussion über den „Zankapfel“ Zentrum gegen Vertreibungen geladen. Gekommen waren die beiden Hauptkontrahenten der Auseinandersetzung, Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach und der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel. Am Beispiel Meckels zeigte sich exemplarisch die Dürftigkeit der Argumentation vieler Zentrums-Gegner. Etwa als Meckel Steinbach vorhielt, sie sei keine „richtige“ Vertriebene, da ihr Vater im Zweiten Weltkrieg als Besatzungssoldat im ehemals deutschen Westpreußen stationiert gewesen sei. Der unausgesprochene Vorwurf hinter diesem persönlichen Angriff: Steinbach soll sich aus Sachen heraushalten, die sie nicht persönlich „betreffen“. Auch wenn Steinbach diesen unfreundlichen Akt mit der kühlen Bemerkung parierte, man könne sich auch für den Schutz des Waldes einsetzen, ohne selbst ein Baum zu sein, war ihre Verletztheit spürbar, als sie schließlich noch darauf hinwies, daß sie im Besitz eines offiziellen Ausweises ist, der sie als Vertriebene anerkenne. Ebenso dürftig war der Verweis Meckels auf die NS-Vergangenheit zahlreicher Funktionäre des Bundes der Vertriebenen, die der Spiegel paßgenau zur Eröffnung der Ausstellung „Erzwungene Wege“ veröffentlicht hatte. Im Mittelpunkt der Diskussion stand aber auch in Lea Roshs „Salon“ die Ausstellung „Erzwungene Wege“. Steinbach mußte sich dabei vor allem des Vorwurf erwehren, die Bilderschau ziehe keine deutliche Grenze zwischen Vertreibungen und Völkermord. Ganz am Ende brachte eine Zuhörerin ihr Unbehagen zum Ausdruck. Warum denn unbedingt jetzt noch, nach so vielen Jahren, ein Ort der Erinnerung notwendig sei, der zudem noch die Nachbarn verärgere. Die Frau merkte nicht, daß sie die Frage nach dem Sinn und der Notwendigkeit eines solchen Gedenk- und Erinnerungsortes selber beantwortet hatte: Obwohl ihre Familie selbst vertrieben worden sei, erzählte sie, interessierten sich ihre Kinder nicht mehr für die Geschichte der Vertreibung.
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