Nicht erst seit dem deutsch-russisches Rahmenabkommen über den Bau einer Erdgasleitung durch die Ostsee (JF 38/05) und der Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes in dem Konsortium durch Ex-Kanzler Gerhard Schröder steht der Erdgasmonopolist Gasprom im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Vor allem die steigenden Preise für Erdöl und Erdgas haben die Frage der langfristigen Energieversorgung auch in Deutschland zu einem Dauerthema gemacht. „Ein sicherer und verläßlicher Partner“ Und angesichts der Krisen um die beiden wichtigen Öl- und Gaslieferanten Irak und Iran scheinen bei manchen die Nerven blank zu liegen. So haben EU-Vertreter letzte Woche auf eine angebliche Drohung des Gasprom-Vorstandsvorsitzenden Alexej Miller vor den Botschaftern der EU in Moskau „scharf reagiert“. Doch mit solchen Tönen begibt sich das politisch ohnehin nicht eben sehr professionelle Brüssel auf gefährliches Glatteis. Denn erstens zeigt eine Analyse der Rede Millers im russischen Originaltext, daß von einer „Drohung Rußlands mit Gasentzug gegenüber Europa“ keine Rede sein kann. Der russische Vizepremier und Gasprom-Aufsichtsratschef Dmitri Medwedew bekräftigte dies am Montag auf dem deutsch-russischen Wirtschaftstag im Rahmen der Hannover-Messe: Sein Land sei „ein sicherer und verläßlicher Partner“. Auch Miller hatte lediglich darauf hingewiesen, daß sein Konzern als „verläßlicher Partner und Lieferant“ für Europa alle Verträge über Erdgaslieferungen auch künftig erfüllen werde. Erst nach dieser Zusicherung verwies Miller jedoch darauf, daß seinerseits Gasprom freien Zugang zum EU-Markt verlange, um sich auch als Strom- und Gasversorger zu profilieren und mit anderen Unternehmen in Europa zu fusionieren oder solche zu übernehmen. Hieran schloß Miller die Bemerkung, wenn die EU diese Aktivität einschränke, so habe Gasprom die Wahl, sich anderen Interessenten wie etwa den USA oder China zuzuwenden. Nach Informationen der Welt verhandelt Gasprom derzeit beispielsweise über eine Mehrheitsbeteiligung an dem von der Concord Power GmbH geplanten Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) Lubmin bei Greifswald. Der Bau des mit 1.200 Megawatt größten deutschen Gaskraftwerks solle es Gasprom ermöglichen, weiteren Nutzen aus der „Ostseepipeline“ zu ziehen, die 2010 Greifswald erreichen soll. Damit bekäme der russische Konzern zugleich Zugang zum Endkundengeschäft in Deutschland. Entsprechende Baugenehmigungen der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns lägen bereits vor. Das vorgesehene Gelände am Standort des ehemaligen DDR-Kernkraftwerks Lubmin sei bereits im Besitz der Holding des Hamburger Kaufmanns Michael Saalfeld, zu der neben Concord Power unter anderem auch der deutsche Ökostrom-Anbieter Lichtblick gehört. Sprich: Gasprom plant keine Einschränkung der Gaslieferungen an Europa, sondern eine Erhöhung der Aktivitäten von Gasprom in Europa, auf die man aber gegebenenfalls auch zugunsten „freundlicherer“ Märkte verzichten könne. Gewiß hat Gasprom als Quasimonopolist eine starke Wettbewerbsposition, die aber bei jedem westlichen Konzern als „normal“ gelten würde. Es gab jedoch keine „Drohung“ Rußlands, den Gashahn für die EU abzudrehen. Schon deshalb muß man fragen, ob „Gegendrohungen“ oder auch nur EU-Behinderungen für Gasprom eine wirklich kluge Reaktion darstellen. Zweitens ist Europa tatsächlich von russischen Gaslieferungen in einem Maße abhängig, daß es die Alternative, sich anderen Lieferanten zuzuwenden, einfach nicht hat. Die Expertin Elena Anankina vom der Finanzanalyseagentur Standard & Poors warnte im März, die EU sollte sich keine Illusionen machen, sie könne die Abhängigkeit vom russischen Gas beenden: „Man kann Gasprom nicht über Nacht ersetzen.“ Deutsche Firmen profitieren vom Rußland-Geschäft In der Tat: Norwegen kann den europäischen Bedarf nicht decken – Großbritannien und die Niederlande sind künftig selbst auf Exporte angewiesen. Die Gaslieferungen aus der Ex-Sowjetrepublik Turkmenistan hat sich Rußland fast vollständig gesichert. Der Erdgastransport per Schiff aus weiter entfernten Lagerstätten ist teuer. Der nächste große Gasproduzent ist der Iran. Aber will oder kann die EU – angesichts des Atomstreits mit dem Iran – wirklich dahin ausweichen? Da bleibt realistisch nur Rußland als Partner und Lieferant, zumal es sich bereit erklärt hat, Europa an der Erschließung der russischen Gasfelder zu beteiligen. Der deutsche Konzern Eon-Ruhrgas verhandelt über ein Abkommen über die Beteiligung an der Erschließung des sibirischen Gasfelds Juschno Russkoje. Der größte deutsche Öl- und Gaskonzern Wintershall wird allein in diesem Jahr über Wingas (ein Gemeinschaftsunternehmen mit Gasprom) etwa 200 Millionen Euro in den Ausbau der Gasinfrastruktur investieren. Geschäfte auf der Basis der Gegenseitigkeit sind auf diesem Gebiet also bereits im Gang. Schließlich kommt hinzu, daß die EU selbst sich noch immer in einer tiefen Krise befindet. Als ich hierauf in einem Beitrag in der Moskauer Literaturnaja Gaseta hinwies, erreichten mich interessierte Reaktionen nicht nur aus Moskau, sondern auch aus Kiew. Der Hinweis Millers, man könne mit den geplanten Erweiterungsaktivitäten statt auf Europa auch auf China (und die USA) ausweichen, hat übrigens realen Hintergrund (JF 14/06): Rußland wünscht zwar gute Beziehungen zu Europa – es hat aber auch andere Alternativen. Manche Rußlandbeobachter meinen schon länger, im Kreml gebe es zwei Gruppierungen: die einen, die Rußland auf Europa ausrichten möchten, und die anderen, die sich auf Asien orientieren. Der kürzliche Besuch von Präsident Wladimir Putins in China hat sicher die zweite Richtung gestärkt. Wenn die EU durch ihr Verhalten ebenfalls die zweite Richtung „unterstützt“, wird dies ihr sicher nicht zum Vorteil gereichen. Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrte am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er verfaßte das Buch „Wladimir W. Putin – Wiedergeburt einer Weltmacht?“