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Inkompetenzkompensationskompetenz

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Der Wahlkampf bestätigt eindrucksvoll einige allgemeine Erkenntnisse der Massenpsychologie, insbesondere das Verhalten der Masse angesichts schwerer politischer Notlagen. Man erinnere sich an Bert Brechts Gleichnis vom brennenden Haus: Ein Mann bemerkt am Dach eines Hauses ein Feuer. Er geht in das Haus hinein und warnt die Bewohner. Man sollte meinen, daß sie sich für diese Warnung bedanken und sofort mit den Löscharbeiten beginnen. Das ist aber nicht der Fall. Sie erkundigen sich bei dem Mann, ob es draußen regne oder windig sei, ob das Nachbarhaus noch zu erreichen sei oder wo sie sonst hingehen sollten und ähnliche Fragen mehr. Ohne zu antworten, verließ der Mann wieder das Haus – mit der Erkenntnis, daß diese Menschen wohl erst verbrennen müßten, ehe sie mit dem Fragen und Diskutieren aufhören. Unsere Politiker und mehr noch unsere Meinungsmacher verhalten sich anders. Sie pflegen derartige Diskussionsrunden und erteilen alle möglichen Antworten auf derartige Fragen, um von den entscheidenden, wirklich notwendigen Fragen und Entscheidungen abzulenken. Mit einer Detailkenntnis sondergleichen werden alle möglichen Probleme der Rentenentwicklung, der Steuerpolitik usw. in und von hochkarätigen Kompetenzteams erörtert. Nur die wenigsten Menschen können diesen Ausführungen folgen und sie überprüfen. Gerade deshalb aber erwecken sie bei vielen Menschen den Eindruck fachlicher Kompetenz, wobei es übrigens nicht nur auf die inhaltlichen Aussagen, sondern in gleichem Maße auf die Körpersprache, auf die persönliche Erscheinung, auf die Anzahl der Versprecher und „Ähs“ in einer Rede und ähnliche Beobachtungen ankommt. Aber kommt es darauf an? Käme der Bahnchef wohl auf die Idee, technische Einzelheiten eines Stellwerkes zu erklären? Nichts gegen Detailkenntnisse! Sie beweisen jedoch nicht unbedingt immer fachliche Kompetenz. Sie bezeugen vielmehr die Fähigkeit und Absicht, eigenes Versagen bei der Lösung der eigentlichen Probleme zu verdrängen, für die der Philosoph Odo Marquard den Begriff Inkompetenzkompensationskompetenz geprägt hat. Sie ist inzwischen bei vielen Politikern sehr viel deutlicher ausgeprägt als die für ihren Verantwortungsbereich vorgegebene Richtlinienkompetenz. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein sehr wichtiger ist die schleichende Systemveränderung von einer parlamentarischen Demokratie zu einer Mediokratie, die zu einer offenkundigen Verschiebung der verfassungsmäßig ausgewogenen Machtbalance in der politischen Wirklichkeit geführt hat. Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.

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