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Marc Jongen, ESN Fraktion

Europa braucht einen politischen Motor

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Daß Frankreich den EU-Verfassungsentwurf per Volksentscheid ablehnte, nachdem der Deutsche Bundestag ihn kurz zuvor ratifiziert hatte, hat sehr schnell Fragen nach der Zukunft der deutsch-französischen Freundschaft aufgeworfen. In seiner Regierungserklärung am 8. Juni bemühte sich der neue französische Ministerpräsident Dominique de Villepin, ebendiese Fragen zu beantworten. Er bekräftigte nicht nur, daß die enge Beziehung zwischen den beiden Staaten um jeden Preis erhalten bleiben müsse, sondern sieht in ihr den Kern eines Lösungsansatzes für die Krise, in der Europa sich derzeit befindet. Villepin, der als Außenminister während der Irak-Krise heikle Missionen zu erfüllen hatte, betonte die Notwendigkeit, den Gedanken einer „französisch-deutschen Union“ wiederzubeleben, und zwar durch eine verstärkte Zusammenarbeit „in bestimmten, ausgewählten Bereichen“. In Deutschland ist diese Stellungnahme mit einer gewissen Skepsis aufgenommen worden. „Das ist keine Frage der aktuellen Politik“, erklärte der Berliner Regierungssprecher Béla Anda. Dennoch ist Villepins Vorschlag keineswegs unrealistisch. Neu ist er ebenfalls nicht, sondern er findet seit Jahren Fürsprecher auf beiden Seiten des Rheins. Der Gedanke eines „Kerneuropas“ wurde 1994 von den CDU-Politikern Karl Lamers und Wolfgang Schäuble ins Spiel gebracht. Im Juli 2002 griff ihn CSU-Chef Edmund Stoiber auf, der in außenpolitischen Fragen von Schäuble beraten wurde. Am 31. März 2003 erklärte der damalige französische EU-Kommissar Pascal Lamy (inzwischen Chef der Welthandelsorganisation WTO): „Wenn eines Tages in Europa eine echte Gefahr der Auflösung besteht, wäre die richtige Antwort darauf – denn dies ist die einzig mögliche Spielart eines Kerneuropas – ein französisch-deutscher Bund.“ Unterstützt vom deutschen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) schlug Lamy damals eine „Union“ der beiden Staaten vor, die vor allem die Harmonisierung der Finanz- und Haushaltspolitik beinhalten sollte, die Schaffung einer gemeinsamen Armee sowie einer gemeinsamen diplomatischen Vertretung im Ausland, die Teilung des Sitzes, den Frankreich im Weltsicherheitsrat der Uno innehat, sowie die Gründung eines aus Mitgliedern beider Nationalparlamente bestehenden Kongresses in Straßburg. Letzterer sollte sich vorrangig mit verteidigungs- und außenpolitischen Problemen befassen. Dieser Vorschlag fand bei Linken wie bei bürgerlichen Rechten Anklang. Der französische Europaparlamentarier Jean-Louis Bourlanges, seit Juli 2004 Vorsitzender des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, unterstützt ihn ebenso wie die ehemaligen französischen Minister Dominique Strauss-Kahn und Jack Lang – beides Sozialisten. Laut einer Ipsos-Umfrage vom November 2003 hielten 56 Prozent der Deutschen Frankreich für den „vertrauenswürdigsten Partner im Krisenfall“, nur 28 Prozent gaben den USA den Vorzug. Villepin, damals Außenminister in der Regierung von Jean-Pierre Raffarin, bezeichnete den Gedanken einer „französisch-deutschen Union“ als „einzige historische Wette, die wir nicht verlieren können“. Kein „Kerneuropa“ ohne Partnerschaft mit Rußland Die Position, die der frisch gekürte Ministerpräsident jetzt vertritt, ist also nicht bloß den derzeitigen Umständen geschuldet. Sie knüpft an jene des geopolitischen Theoretikers und Leiters der Denkfabrik „Alsace“ Henri de Grossouvre an, der seit Jahren nachdrücklich für eine „Achse Paris-Berlin-Moskau“ auf der Basis des „Kerneuropa“-Gedankens plädiert, da die neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht mehr dem europäischen Projekt entsprächen, wie es unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von den sechs Gründerstaaten der Montanunion nach dem Vorbild des „karolingischen Europa“ konzipiert wurde. Schon vor der Volksabstimmung über die EU-Verfassung am 29. Mai hatte Grossouvre folgende Alternative aufgestellt: „Entweder hat Europa eine politische Existenz und schafft es, seine strategische Unabhängigkeit zu erlangen, oder sein gerade in der Entstehung begriffenes politische Gewicht wird in einem Europa der 25 oder 30 verwässert, das sich somit auf eine riesige Freihandelszone beschränkt. … Europa braucht einen politischen Motor. Spanien, Frankreich, Deutschland und Rußland verfügen über die notwendige kritische Masse, um diese Rolle zu spielen und den Grundstein zu einer europäischen Macht zu legen, die imstande ist, auf weltpolitischer Ebene zum friedlichen Gleichgewicht beizutragen.“ Das Projekt eines französisch-deutschen „Kerneuropas“ verspricht tatsächlich nur dann Erfolg, wenn es eine strategische Partnerschaft mit Rußland einschließt, dessen Interessen die deutschen und französischen optimal ergänzen. Zudem muß es sich schnell anderen europäischen Staaten öffnen, die sich ihm anschließen wollen: zunächst den Benelux-Länder, Österreich und Spanien, dann sobald wie möglich Italien. Allerdings scheitert ein solches Vorhaben an den derzeitigen politischen Realitäten. Villepins Nachfolger im französischen Außenministerium wurde der ehemalige Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy, ein Mann ohne jedes Format, der zudem keine Ahnung von weltpolitischen Fragen hat. Die politische Zukunft von Präsident Jacques Chirac, der derzeit schwächer dasteht als je zuvor, ist mit einem großen Fragezeichen versehen. Auf deutscher Seite könnten die sinkende Popularität Gerhard Schröders und die jüngsten Wahlschlappen der SPD ebenfalls Probleme bereiten. Viele Franzosen befürchten, daß eine Unionsregierung mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin eine Rückkehr zur Politik der „Atlantiker“ bedeuten würde, die den Beziehungen zu London und Washington Vorrang vor jenen zu Frankreich, Rußland und dem restlichen Europa gäbe. Grossouvre erinnert gerne daran, daß „seit dem Mittelalter die Qualität des französisch-deutschen Verhältnisses über Frieden oder Krieg auf dem Kontinent entscheidet“ und daß „die Erben des Karolinger-Reiches dem restlichen Europa wirtschaftlich und kulturell stets voraus gewesen sind“. Zu einem Zeitpunkt, da die europäischen Institutionen unter Beschuß stehen, sollte das nicht in Vergessenheit geraten.

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