Seit der Debatte um die Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin und der deutlichen Zurückweisung von Bundeskanzler Schröders Äußerungen während dessen letzten Warschau-Besuchs erfährt der Bund der Vertriebenen (BdV) unter Führung der CDU-Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach in vielen Medien eine ungewohnte Aufmerksamkeit. Gleichzeitig gibt es jedoch innerhalb des Verbandes einige Unruhe: Die jüngsten Initiativen der Preußischen Treuhand, einer 2001 gegründeten Kommanditgesellschaft, mit deren Hilfe individuelle Restitutionsansprüche von Vertriebenen durch eine gemeinsame Organisation gebündelt und damit befriedigende Lösungen für die Betroffenen durchgesetzt werden sollen, wurden von BdV-Präsidentin Erika Steinbach kritisiert. Beim diesjährigen „Tag der Heimat“, zu dem sich traditionsgemäß am vergangenen Samstag etwa 1.000 Vertriebene und ihre Nachkommen – sowie einige Europaparlamentarier aus Tschechien und Polen – im Berliner Kongreßzentrum versammelten, um des erfahrenen Leids zu gedenken, war von den Konflikten der letzten Zeit wenig zu spüren. Die erste Großveranstaltung des BdV nach dem im Mai erfolgten EU-Beitritt mehrerer Vertreiberstaaten verlief ohne Zwischenfälle und unterstrich, daß Steinbachs Positionen von den zum größten Teil über siebzigjährigen Anwesenden mehrheitlich geteilt werden. Die zentrale Rede der BdV-Vorsitzenden war auf drei Schwerpunkte ausgerichtet: Einerseits wandte sie sich mehrfach mit deutlichen Worten gegen die „Zumutungen“ und das „doppelte Spiel“ des Bundeskanzlers und der Bundesregierung gegenüber den deutschen Vertriebenen: Grundsätzlich sei der „Anspruch des einzelnen“ Vertriebenen auf sein Eigentum „legitim“ und sowohl durch das Lastenausgleichsgesetz von 1952 als auch durch das Vertriebenenzuwendungsgesetz von 1994 ausdrücklich aufrechterhalten worden. In Kenntnis dieser Sachlage würden Betroffene, die sich in Sachen Vermögensrechte an das Bundesfinanzministerium wendeten, darauf verwiesen, daß die Bundesregierung „nicht auf die individuellen Ansprüche von Deutschen verzichtet“ habe. Danach stünden den Betroffenen die in den jeweiligen Ländern – sprich den Vertreiberstaaten – bestehenden rechtlichen Möglichkeiten offen. Doch dann äußerte der Bundeskanzler vor wenigen Wochen in Warschau, daß es heute „keinen Raum für Restitutionsansprüche aus Deutschland“ mehr geben dürfe und weder die Bundesregierung, „noch ernst zu nehmende politische Kräfte in Deutschland“ solche Forderungen und Anträge unterstützen würden. Für diese höchst unklare und widersprüchliche Haltung, so Steinbach, gebe es nur ein Wort: „unanständig“. Hinsichtlich des Standortes des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen gab sich die BdV-Chefin kämpferisch. Sie sei zuversichtlich, „demnächst eine gute Nachricht“ in dieser Angelegenheit „aus Berlin bringen zu können“. Absolut unangebracht sei die Kritik an der gleichnamigen Stiftung, mit der die historischen Kompetenzen der Vertriebenen für die unmittelbar von ihnen erlebte Vergangenheit bestritten würden: „Selten habe ich eine törichtere Behauptung gegen diese Stiftung gehört als das Argument, man wolle damit die Geschichte umschreiben oder auf den Kopf stellen. Wenn jemand Interesse an der Wahrhaftigkeit der Geschichtsdarstellung hat, dann sind es die Heimatvertriebenen. Zu oft sind wir mit Geschichtsklitterung konfrontiert worden“, so die BdV-Vorsitzende. Zum dritten unterstrich Steinbach, daß „die Vermögensfrage für die meisten Vertriebenen“ heute „keine zentrale Rolle“ mehr spiele; worauf sie auch vereinzelten Widerspruch aus dem Publikum erntete. Sie, so Steinbach, sei bereit, sogar „eine materielle Null-Lösung“ mitzutragen, soweit sie wirklich dazu dienen könnte, 60 Jahre nach Kriegsende endlich „Rechtsfrieden“ in Europa in dieser Angelegenheit zu schaffen. Dazu bedürfe es freilich weit deutlicherer Signale der ehemaligen Vertreiberstaaten, die ihre moralische Verantwortung für das Geschehene in vollen Umfang anerkennen müßten. Auch seitens der deutschen Regierung sei dabei eine klare Haltung notwendig. Nahm Steinbach damit zum Thema Preußische Treuhand nur indirekt Stellung, so wurde der als Vertreter von Innenminister Otto Schily auftretende Staatssekretär Fritz Rudolf Körper im Anschluß weitaus deutlicher, als er der BdV-Vorsitzenden dafür dankte, „sich kürzlich nochmals öffentlich von der Initiative distanziert zu haben“. Die diesjährige Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen wurde an Bohumil Dolezal verliehen, einen 1940 in Prag geborenen Politikwissenschaftler und Literaturkritiker, der sich seit vielen Jahren für die deutsch-tschechische Versöhnung und einen vorurteilsfreien Dialog mit den Sudetendeutschen einsetzt. Im Jahr 2001 ging von Dolezal der Anstoß zu einer von 130 tschechischen Intellektuellen unterzeichneten Petition aus, in der die Vertreibung der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien wiederum eindeutig als Unrecht gebrandmarkt wurde. Der Preisträger kritisierte in seiner Rede, daß die Vertreibung der Sudetendeutschen von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges wie auch in den ehemaligen Vertreiberstaaten selbst leider auch heute noch häufig als „historische Notwendigkeit erklärt“ werde. Den interessantesten Teil für die Anwesenden – und zum besonderen Nachdenken für die deutsche Regierung – berührte Dolezal in seiner Ansprache, in der er gleichfalls mit seinen eigenen Landsleuten hart ins Gericht ging: Er habe den Eindruck, als hätten die „deutschen Entschädigungszahlungen und deutschen Entschuldigungen“ in jüngster Vergangenheit „die Spannungen“ zwischen Deutschland und Tschechien „eher verschärft als abgebaut“. So habe in der tschechischen Gesellschaft „der Haß in den letzten Jahren zugenommen“ .
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