Die Entschädigungspraxis, wie sie für NS- und SED-Opfer in der Bundesrepublik zur Anwendung kommt, weist eklatante Unterschiede auf. Es beginnt damit, daß bereits die rechtlichen Grundlagen für eine Wiedergutmachung beider Opfergruppen nicht nach einheitlichen Kriterien gestaltet sind. Für Verfolgte des Nationalsozialismus bietet das Bundesentschädigungsgesetz die entsprechende Handhabe zur Wiedergutmachung, während für Menschen, denen im SED-Staat schweres Unrecht zugefügt wurde, in der Bundesrepublik davon ausgegangen wird, daß hier fremdstaatliches Verschulden vorliegt, was eine Haftungspflicht des Staates ausschließt. Bereits dies ist ein recht seltsamer Sachverhalt. Jahrzehntelang konnten sich westdeutsche Politiker nicht genug darüber ergehen, daß Deutschland zwar ein geteiltes Land sei, doch die Einheit des Volkes hiervon nicht betroffen werde. Selbst als die deutsche Zweistaatlichkeit durch gegenseitige Anerkennung scheinbar zementiert wurde, war im Westen weiterhin von den „Brüdern und Schwestern im Osten“ die Rede. Nach der Wiedervereinigung jedoch beeilten sich westliche Juristen, ein paar Schranken zu errichten, welche bis heute ausschließen, daß die Opfer der SED-Diktatur jenen des NS-Regimes hinsichtlich von Wiedergutmachungsansprüchen gleichgestellt sind. So tut sich eine große Kluft zwischen beiden Opfergruppen auf. Natürlich spielen hier auch politische Denkweisen mit hinein. In der rot-grünen Bundesregierung herrscht die Meinung vor, daß beide Opfergruppen nicht miteinander zu vergleichen sind. Allerdings: Leid läßt sich nicht in gesonderte Kategorien einordnen. Genau aber nach diesem Schema, bei dem die Gerechtigkeit auf der Strecke bleibt, wird in Deutschland heute verfahren. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus wie auch der Bund Stalinistisch Verfolgter sind wiederholt Sturm dagegen gelaufen, daß hier mit vielen betroffenen Menschen, die jahrelang in den Zuchthäusern der DDR schweren physischen wie psychischen Torturen ausgesetzt waren, Schindluder getrieben wird. So werden oftmals Verfolgte des SED-Regimes wie Opfer zweiten Ranges behandelt. Genau dies aber führt dazu, daß man ihnen ein weiteres Mal ihre Würde raubt. Als Beispiel hierfür dürfen die ärztlichen Untersuchungen gelten, wie sie hierzulande bei der Feststellung von Haftfolgeschäden praktiziert werden. Eine Frau, die im Potsdamer Stasi-Gefängnis – dem sogenannten Lindenhotel – von einem ihrer Bewacher derart gegen eine Betonwand geschleudert wurde, daß sie von diesem Zeitpunkt an unter ständigen Rückenschmerzen litt, mußte sich von einem Amtsarzt sagen lassen, es könnte sich hier auch um eine altersbedingte Abnutzungserscheinung ihrer Wirbelsäule handeln. Keineswegs ein Einzelfall. So wird den ehemaligen politischen Häftlingen der DDR auferlegt, den Nachweis dafür zu erbringen, daß ihre Leiden aus der Haftzeit herrühren. Viele Amtsärzte geben dann dem Betreffenden zu verstehen, daß eine zweifellos vorliegende gesundheitliche Beeinträchtigung auch ohne Haft eingetreten wäre. Wieso ist die CDU nicht tätig geworden? Resultat dieses Prozederes: Lediglich ein Prozent der kommunistischen Opfer bekam bisher die ärztliche Anerkennung über erlittene Haftschäden zugesprochen, während diese Rate bei NS-Opfern 80 Prozent ausmacht. Die Forderung der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft läuft nun darauf hinaus, daß analog zu der Regelung, welche für NS-Opfer gilt, auch für jene der DDR per gesetzlicher Vermutung körperliche und seelische Schäden als haftverursacht anzusehen sind. Bislang freilich tat sich da wenig. Viele Regelungen, wie sie die zwei SED-Unrechtsbereinigungsgesetze vorsehen, stellen im Grunde genommen nur Flickwerk dar. So etwa die Anrechnung der Haftjahre auf die Höhe der Rente, die zwar gut klingt, aber völlig die Umstände außer acht läßt, denen sich DDR-Häftlinge nach ihrer Entlassung aus den Gefängnissen gegenübersahen. Der überwiegende Teil der Opfer vermochte niemals mehr an ihre früheren beruflichen Laufbahnen anzuknüpfen; die Folge waren hohe Einkommensverluste. Hieraus aber resultieren die so geringen Renten der Opfer, während die Täter des Mielke-Drangsalierungsapparates offenbar nachträglich für ihre Treue zum DDR-Staat mit Renten honoriert werden, die doppelt, manchmal sogar dreifach höher als die ihrer Opfer liegen. Seit einer Reihe von Jahren nun bemühen sich die Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft den Staat zu veranlassen, allen ehemaligen politischen Häftlingen eine Opferrente zuzugestehen. Vergeblich. Das Hickhack in dieser Frage im Parlament sowie im Vermittlungsausschuß hat bis heute kein verbindliches Ergebnis gebracht. Noch liegt ein Versprechen der CDU vor, bei einem etwaigen Wahlsieg im Jahre 2006 eine derartige Opferrente zum Gesetz erheben zu wollen. Doch die ehemaligen politischen Häftlinge der DDR stellen sich die berechtigte Frage, warum die Union nicht tatkräftiger hierfür eingetreten ist, als sie selbst noch die politische Macht innehatte. Was die Opfer des NS-Regimes betrifft, die in der ehemaligen DDR ihr Zuhause hatten, so erhielten sie eine sogenannte VVN-Rente zusätzlich zu ihrer staatlichen Rente. Daran hat sich auch nach der Wende nichts geändert. Die Ungleichbehandlung von Opfern beider Diktaturen stellt zweifellos einen Verstoß gegen die Prinzipien des Grundgesetzes der Bundesrepublik dar. Doch dies scheint kaum jemandem eine schlaflose Nacht zu bereiten.
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