Wer heutzutage in einer beliebigen Buchhandlung in einer deutschen Großstadt stöbert, wird neben dem obligaten Vergangenheitsbewältigungsregal eine Fülle antiamerikanischer Literatur finden. Die Deutschen scheinen die amerikanische Geschichte, wie ihre eigene, nur noch als Verbrecheralbum wahrzunehmen. In Wirklichkeit liegt auf beiden Licht und Schatten. Um das Bild zurechtzurücken, sollte man vielleicht wieder einmal George F. Kennans „Memoiren eines Diplomaten“ (erschienen 1968 im Henry Goverts Verlag in Stuttgart) zur Hand nehmen. Das Buch wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Berühmt wurde Kennan durch einen nur mit dem Buchstaben X unterzeichneten Beitrag in der Juli-Ausgabe 1947 von Foreign Affairs, in dem er als Vordenker der amerikanischen Außenpolitik das Ende der Allianz mit Moskau intellektuell begründete. In seinen Memoiren finden sich zahlreiche Stellen, die im heutigen Deutschland als historisch unkorrekt gelten müssen. Über die Bombardierung von Berlin und Hamburg: „Wenn wir der Welt zeigen wollten, daß unsere angeblich höhere Moral mehr war als Wortgeklingel … dann mußten wir lernen, unsere moralischen Grundsätze entweder auch in Kriegszeiten beizubehalten oder das Kriegführen aufzugeben; denn diese moralischen Grundsätze bildeten einen Teil unserer Kraft.“ (S. 437) Über Ostpreußen 1945: „Die Katastrophe, die über dies Gebiet mit dem Einzug der sowjetischen Truppen hereinbrach, hat in der modernen europäischen Geschichte keine Parallele … Ich selbst flog kurz nach Potsdam mit einer amerikanischen Maschine in ganz geringer Höhe über die gesamte Provinz, und es bot sich mir der Anblick eines vollständig in Trümmern liegenden und verlassenen Gebietes: vom einen Ende bis zum anderen kaum ein Zeichen von Leben.“ (S. 269) Über die deutsche Tragödie: „Daß viele Deutsche Bestrafung verdienten, war gewiß; aber ihre Schuld war kein Beweis für unsere Tugend. Auch war nicht alles, was die Trümmer des Deutschen Reiches unter sich begraben hatten, wertlos oder schlecht gewesen. Viel, erschreckend viel Kostbares und Schuldloses war zusammen mit dem übrigen untergegangen. Es blieb, wie immer man es betrachtete, eine Tragödie fürchterlichen Ausmaßes.“ (S. 428) Am 16. Februar 2004 feierte George F. Kennan, der gerechte Zeitzeuge und Chronist, in Princeton seinen hundertsten Geburtstag. Da war er in Deutschland längst vergessen. Dr. Bruno Bandulet ist Herausgeber des DeutschlandBriefes und des Finanzdienstes G&M.
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