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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

„Durch die Despotie Rußlands gezeichnet“

„Durch die Despotie Rußlands gezeichnet“

„Durch die Despotie Rußlands gezeichnet“

 

„Durch die Despotie Rußlands gezeichnet“

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In Kiew wurde seit den offensichtlich gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 21. November wochenlang demonstriert (JF 50/04). Medienvertreter aus aller Welt berichteten vor Ort von dieser "orangenen Revolution", wie die Proteste in Anlehnung an die Wahlfarbe des westlich orientierten Oppositionskandidaten Viktor Juschtschenko genannt wurden. Im Donezk-Gebiet gab es hingegen Solidaritätskundgebungen mit dem nach Moskau orientierten Regierungskandidaten, Premier Viktor Janukowitsch, die speziell bei russischsprachigen Sendern groß herausgestellt wurden. Was aber geschieht in den anderen Provinzen des zweitgrößten Landes Europas? Nur selten erreichen Reportagen das westliche Europa. Die JF sprach mit Petro Parypa, Vizechefredakteur der Tageszeitung Halytschyna (Galizien) in der westukrainischen Großstadt Iwano-Frankiwsk, die als Stanislau einst Teil der k.u.k-Monarchie war.

Herr Parypa, im westukrainischen Galizien stimmen über 90 Prozent für Ex-Premier Juschtschenko. Woher kam das eindeutige Votum?

Parypa: So wie ein jedes andere Land Westeuropas hat auch die Ukraine ihre regionalen Besonderheiten. Unsere sind jedoch ziemlich kompliziert, da sie durch für uns ungünstige historische Umstände entstanden sind. Die Ostukraine schmachtet in den letzten 300 Jahren unter großrussischer Kolonialherrschaft. Die Westukraine kam Ende des 14. Jahrhundert unter polnische Besatzung. Nach der Teilung Polens im 18. Jahrhundert wurde die heutige Westukraine dem Habsburger Reich zugeschlagen – was uns eine beachtliche Zahl von positiven Momenten brachte. Dieses positive Erbe des Westens ist bei uns bis heute sichtbar.

Im östlichen Donezk und Lugansk stimmten – selbst wenn man die Wahlfälschungen mit einrechnet – über drei Viertel für Janukowitsch. Im südlichen Odessa und auf der Krim stimmten über zwei Drittel für den Premier. Woher kommt diese klare Spaltung in der Ukraine?

Parypa: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Westen unseres Landes zwar auf Polen (Lemberg/Lwiw), die Tschechoslowakei (Ungvár/Uschgorod) und Rumänien (Tschernowitz) verteilt. Der Großteil in der Mitte und im Südens sowie der ganze Osten wurden aber von der Sowjetunion annektiert. Und die schlimmste Spur hinterließ eindeutig die bolschewistische Diktatur. Durch beispiellose Repressalien und künstlich herbeigeführte Hungerkatastrophen in den dreißiger Jahren wurden mehrere Millionen Ukrainer vernichtet. Dies traf das Rückgrat unseres Volkes schwer. Und all jene, die das unfaßbare Leid überlebt hatten, wurden im nachhinein geistig umgebracht – durch die gewaltsame Russifizierungspolitik Moskaus. Diese historischen Umstände prägen unser Land bis heute: Hier die Westukrainer, die Erben des liberal-toleranten Gedankengutes aus der Zeit der Donaumonarchie. Dort unsere östlichen und südlichen Brüder, deren Dasein durch die Despotie Rußlands gezeichnet wurde. So unterscheiden sich viele Westukrainer mentalitätsmäßig nur wenig von ihren Nachbarn in Polen oder der Slowakei. Ihr Denken ist westlich orientiert, politische Freiheiten werden hier geschätzt – und nationale Identität steht hoch im Kurs.

In Moskau, aber auch bei manchen im Westen werden die Ereignisse in Kiew als "Studentenrevolte" angesehen.

Parypa: Vor zwei Wochen kehrte ich auch aus Kiew zurück, wo ich mich an den Protesten gegen die Fälschung der Wahlergebnisse beteiligt hatte. So sah ich mit eigenen Augen auf dem Majdan (Unabhängigkeitsplatz) fast alle Jahrgänge. Freilich, die Zahl der jungen Menschen war dominant. Dies versetzte uns in aufrichtiges Staunen. So viel nationales Bewußtsein, Mut, Opferbereitschaft und Organisation haben uns zutiefst beeindruckt.

Wie sieht es in der Provinz aus?

Parypa: Seit drei Wochen gibt es in vielen Gebietshauptstädten buchstäblich rund um die Uhr ähnliche Protestaktionen. Die Menschen sind empört über die Betrügereien und den Machtmißbrauch der Herrschenden. Damit haben die Ukrainer deutlich sich selbst, ihren korrupten Machthabern, aber auch Europa gegenüber gesagt, daß sie ein europäisches Volk sind – und dies nicht bloß im geographischen Sinne. Egal, ob das jemandem paßt oder nicht. Heute bin ich stolz auf meine leidgeprüfte Nation.

Wie verhalten sich Miliz und Militär?

Parypa: Im Iwano-Frankiwsker Gebiet erhielt Juschtschenko 93 Prozent der Stimmen. Entsprechend verhält sich auch die Miliz bei den nicht enden wollenden friedlichen Demos von Hunderttausenden von Menschen, die tagaus, tagein vor den Verwaltungsgebäuden der örtlichen Staatsbehörden verharren. Das Volk bedankt sich bei diesen gutmütigen Ordnungshütern mit Blumen, freundlichen Gesten oder Lächeln. Etwas, was wir seit langem nicht mehr hatten. Einzelne Einheiten von Miliz und Armee sind offen auf die Seite des Volkes übergegangen.

Wie berichten Presse, Radio und Fernsehen davon?

Parypa: Zahlreiche Medienunternehmen nutzen selbstverständlich die Gunst der Stunde und bauen die neue Freiheit sukzessive aus. Unzählige Journalisten lehnten sich entschieden gegen die regimehörige Redaktionspolitik ihrer Arbeitgeber auf. Das Ergebnis kann sich sehen lassen – im ganzen Lande kann nun über die laufenden Ereignisse relativ unbehindert berichtet werden. Auf dieser Welle etwa erlangte der Fernsehsender "Kanal 5" eine große Popularität in der Ukraine. Auch meine auflagenstarke Zeitung Halytschyna, die bereits seit Jahren mit dem Demokraten Juschtschenko sympathisiert, betreibt eine ähnliche Informationspolitik.

Wie denken die Unternehmer bei Ihnen?

Parypa: Die Unternehmer bilden keine Ausnahme. Sie unterstützen die Protestaktionen sogar materiell und beteiligen sich nicht selten persönlich am Aufmarsch des Volkes in Kiew. Warum? Weil sie ebenfalls der Meinung sind, daß erst mit einem Präsidenten Juschtschenko im Lande zivilisierte Regeln wiederhergestellt werden. Von der Korruption haben wir alle die Nase voll.

Was denkt man über die drohende Spaltung der Ukraine?

Parypa: Die absolute Mehrheit der Bevölkerung Galiziens lehnt jede Form von Separatismus ab. Allerdings hört man auch Stimmen, die ihre Geduld mit dem Osten verloren haben. Sie sagen: Wenn wir auf keine andere Weise die Banditen an der Macht vertreiben können, so soll man das Donezk-Becken mit all seinen vermoderten Gruben und der Mafia ruhig loswerden. Dann stünde der Blüte der Ukraine nichts mehr im Wege.

Warum sind in Kiew kaum Rumänen oder Ungarn dabei?

Parypa: In den Beziehungen mit diesen Nachbarn gibt es gewisse Probleme, speziell mit den Rumänen. Nach ihrem Nato-Beitritt stiegen deren (inoffizielle) territoriale Ansprüche an die Ukraine fast ins Maßlose. Ich meine, es täte allen gut, wenn Europa den rumänischen Großmachtträumen einen Dämpfer verpassen würde. Ganz davon abgesehen würde die Ukraine ihre ethnischen Gebiete sowieso an niemanden abtreten.

Wie geht es weiter in der Ukraine?

Parypa: Heute ist mein Volk nicht mehr dasselbe wie vor einigen Monaten. Es ist reif geworden, hat sich Respekt bei der unverfrorenen postsowjetischen Obrigkeit verschafft. Ich bin fest überzeugt, daß wir Ukrainer diesen Freiheitskampf gewinnen werden.

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