Rechtsruck in Amerika!“ So haben viele europäische Beobachter die beachtlichen Stimmenzuwächse für die US-Republikaner bei den jüngsten Präsidentschafts- und Kongreßwahlen gedeutet. Einige linksliberale Hysteriker meinten gar, es stehe nun eine gesellschaftliche Rolle rückwärts, die „Konservative Revolution“ bevor, die sich einen Dreck um political correctness scheren und mit der Bibel in der Hand die „moralische Befreiung“ der Jahre nach 1968 rückgängig machen werde. Tatsächlich präsentieren sich die USA aus Sicht des zunehmend säkularisierten Europas als gläubiges Land. Die Kirchen und die christliche Rechte haben Zulauf, und die Mehrheit der Wähler sieht viele gesellschaftspolitische Fragen in traditionellen Kategorien. In elf Bundesstaaten erteilten die Bürger bei Referenden der drohenden Legalisierung von Homo-Ehen eine Absage. Laut Umfragen waren Fragen der Moral für fast jeden vierten Wähler ausschlaggebend, noch vor Fragen der Wirtschaft oder dem weiteren amerikanischen Engagement im Irak. Das amerikanische Herzland wählte konservativ, während an den Küsten auf schmalen Streifen „aufgeklärte Eliten“ wohnen. Allerdings gewährleistet die Wiederwahl von George W. Bush keine wirkliche Öffnung des erlaubten politischen Diskurses nach rechts. Bush deutete in seiner Siegeransprache eine Fortsetzung seines bisherigen Kurses an, der im wesentlichen von neokonservativen Themen bestimmt war. Vorrangig geht es ihm um eine neue weltdemokratische Ordnung, deren erste Säule man im Irak bestaunen kann. Weiter sprach Bush von mehr bundesstaatlicher Einmischung in das Bildungswesen und einer Ausweitung des staatlichen Gesundheitssystems – beides Punkte, die traditionellen amerikanischen Konservativen, die vom Glauben an den Dezentralismus und einer Abneigung gegenüber dem Wohlfahrtsstaat geprägt sind, wenig zusagen. Das „vitale Zentrum“ Amerikas, das nach Arthur Schlesinger jun. vor einigen Jahrzehnten noch im (links-)liberalen Milieu beheimatet war, hat sich sicherlich verschoben. „Bush now sees the center on the right“, verkündeten die Schlagzeilen amerikanischer Zeitungen. Diese Aussage läßt aber mehrere Deutungen zu. Was fehlte in Bushs Rede, waren gerade jene weltanschaulichen Bekenntnisse, die polarisieren könnten. Der Texaner und sein Consigliere Karl Rove waren hier im Wahlkampf – entgegen den Behauptungen der europäischen Presse – äußerst zurückhaltend und vorsichtig. Denn den Strategen der Republikaner ist klar, daß die meisten unentschiedenen Wähler in der eher immer noch links disponierten Mitte zu suchen sind. So lohnte es nicht, der eigenen rechtsgeneigten Basis mit allzu klaren Versprechen einer moralischen Wende entgegenzukommen. Die in den Augen des republikanischen Establishments ungebildeten und hinterwäldlerischen Rechten hatten sowieso keine Alternative zu Bush und scheinen mit leisen Zugeständnissen zur Abtreibung oder „Schwulenehe“ zufriedenzustellen. Um letzterem Unsinn einen rechtlichen Riegel vorzuschieben, hat Bush zwar eine Verfassungsänderung in Aussicht gestellt. Doch dabei gehe es natürlich nicht um eine „Diskriminierung“, fügte er stets in rührender Weise hinzu, denn dies sei mit der „menschlichen Würde“ unvereinbar. Der heiß diskutierte Verfassungszusatz, wonach die Ehe nur zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen werde kann, hat nur geringe Erfolgsaussichten, da er politisch nur äußerst schwer durchzusetzen wäre. Vermutlich wird dieser Amendment nie kommen. Wäre es dem Präsidenten ernst damit, solche Richter auf Landesebene, die „Schwulenehen“ ermöglichen wollen, in die Schranken zu weisen, könnte der mehrheitlich republikanisch besetzte Kongreß den Obersten Gerichten der Länder einfach die Kompetenz dafür absprechen. Aber zu einem solchen drastischen Vorgehen fehlt Bush der Mut und wohl auch der Wille. Er brauchte bloß ein zündendes Wahlthema, um einfältige Frömmler an die Urnen zu locken, jetzt kann das Thema wieder entsorgt werden. In ähnlicher Weise hat Bush sich um klare Aussagen zur Problematik des unverminderten illegalen Einwanderungsdrucks aus Mexiko gedrückt. Die Frage „Who are we?“, die Samuel Huntington in seinem jüngsten Buch aufwirft, bleibt bei Bush unbeantwortet. Eine Eindämmung des Zuwanderungsstroms zu fordern, wäre wohl als „rassistisch“ ausgelegt worden und hätte Stimmen bei den Latinos gekostet. Nichtsdestotrotz hat Bush vor geeignetem weißen Publikum in kritischen Zwischentönen Zweifel über die sozialen Folgen einer mangelhaften Integration geäußert. Auf der Welle des Erfolges von Bush sind einige republikanische Abgeordnete in den Kongreß gekommen, die „christliche Familienwerte“ nicht nur als Floskel verstehen und solche Wähler binden, die nach einer moralische Renaissance verlangen. Es trifft nicht zu, daß Bushs reale Politik in den vergangenen vier Jahren hier große Fortschritte gebracht hätte. In den Fernsehdebatten trat er mit seinen üblichen nebligen Formulierungen auf, wirkte aber doch moralisch gefestigter als sein Herausforderer John Kerry, der in der öffentlichen Wahrnehmung zu eng mit Schwulen und Feministen verbunden wurde. So konnte Bush mit relativ lauen Bekenntnissen zum Verfechter der „family values“ avancieren, was ihm nur im Ausland den Ruf eines klebrigen Moralapostels eintrug, hierzulande aber gut ankommt. Gewisse moralische Kodewörter und Gebärden, etwa der ständige Verweis auf seine religiöse Wiedergeburt, reichen Bush aus, um die Christen oder „Country-Club-Republikaner“ für ihn einzunehmen, ohne daß er ihnen dafür eine tatsächliche „Konservative Revolution“ bieten müßte. Bei genauerer Betrachtung sind seine Leitthemen nicht innenpolitische, sondern außenpolitische. Sie sind von „neokonservativen“ Einflüsterern bestimmt, die zwar in einem gewissen Sinne revolutionär aber eben nicht konservativ sind. Vom moralischen Kreuzzug, den so viele Europäer befürchten, kann nicht die Rede sein. Vielmehr geht es ihnen um die „Demokatisierung“ des Globus ohne Rücksicht auf kulturelle Traditionen fremder Völker. Spannend bleibt die Frage, wie lange die nach innen orientierten traditionellen Republikaner und die religiöse Rechte diesen Spielplan akzeptieren werden. Prof. Dr. Paul Gottfried , Sohn österreichisch-jüdischer Emigranten, lehrt Politologie am Elizabethtown College in Pennsylvania, USA.