Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) legte ein staatstragendes Gesicht an den Tag. Natürlich sei der Staat immer noch von Rechtsextremisten bedroht, betonte er bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2003 vor rund zwei Wochen in Berlin. „Aber“, so fügte Schily hinzu: „Der islamistische Terror ist nach wie vor die größte Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands.“ Die jüngsten Anschläge hätten sich weltweit gegen sogenannte weiche Ziele gerichtet. „Wir können nicht davon ausgehen, daß Deutschland außerhalb solcher Ziele liegt“, sagte Schily. Wie viele islamistische Terroristen in Deutschland agieren, wollte der Innenminister nicht beziffern. 57.300 der 7,3 Millionen in Deutschland lebenden Ausländer rechnet der Verfassungsschutz extremistischen Organisationen zu. Die 24 islamistischen Organisationen hätten insgesamt 30.950 Anhänger. Weitere Angaben konnte oder wollte der Innenminister nicht machen. Denn die Angelegenheit hat einen delikaten Hintergrund, wie das Nachrichtenmagazin Spiegel eine Woche später anmerkte. „Diplomatische Zensur“ werfen die Spiegel-Autoren der Bundesregierung und den ihr unterstellten Schlapphüten vor, wenn es um das Verhältnis zu Saudi-Arabien geht. Riad galt bislang als zuverlässiger Partner Seit dem vergangenen Sommer beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz saudische Institutionen wegen der offensichtlichen Unterstützung militanter Islamisten mit saudi-arabischem Geld. Regierungsintern galt das Thema als Chefsache. Erbittert wurde diskutiert, ob das Königreich nun als Dulder oder gar Förderer von Anschlägen öffentlich an den Pranger gestellt werden solle. Die Untersuchungskommission des Verfassungsschutzes hatte dem Innenministerium einen Textentwurf präsentiert, in dem von „zahlreichen Hinweisen“ die Rede ist, „daß halbstaatliche saudische Institutionen, Funktionsträger und saudische Privatpersonen an Unterstützungs- und Finanzierungsaktivitäten für internationale Netzwerke gewaltbereiter Islamisten beteiligt waren oder sind“. Für Schily und seinen Chef, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), eine heikle Angelegenheit. Auf außenpolitischem Terrain galten die Machthaber in Riad bisher als zuverlässig. Deutsche Unternehmen unterhalten ausgeprägte wirtschaftliche Beziehungen, und die Ölquellen im Königreich werden auch in weiter Zukunft noch nicht versiegen – Gründe genug, um den Verfassungsschutzbericht 2003 etwas aufzuweichen. Pech für Schröder und Schily, daß sich ausgerechnet ein Parteifreund nicht an die offizielle Sprachregelung hielt. „Es ist bemerkenswert, daß Imame einiger Moscheen nicht aus der muslimischen Bevölkerung Deutschlands, sondern aus der arabischen Welt geholt werden. Außerdem werden sie aus Saudi-Arabien und anderen Staaten finanziert. Es besteht der Verdacht, daß sie nicht nur helfen sollen, das Wort Allahs in Deutschland zu verkünden, sondern es in einer bestimmten, nämlich fundamentalistischen Auslegung zu tun. Sowohl die Finanzierung als auch die strenge Auslegung des Islam sind höchst fragwürdig“, meinte der Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD). Und der Spiegel legte genüßlich den Finger in die Wunde: „Von Berlin bis Bosnien, von Münster bis Mazedonien fördern reiche Saudis mit Petro-Dollars den Bau von Gotteshäusern und mitunter die Arbeit dubioser Gruppen aus der Schattenwelt der Haßprediger. Jahrelang verbuchte die Bundesregierung das unter ‚Religionsfreiheit‘ – bis ein saudischer Diplomat vergangenes Jahr als Unterstützer einer mutmaßlichen Terrorgruppe aufflog“, schreibt das Nachrichtenmagazin. Auch mit den Terroranschlägen von Madrid werden Regierungsstellen in Riad zumindest indirekt in Verbindung gebracht. So soll die Moschee, in der islamistische Fanatiker die Tat planten, mit saudischen Geldern gebaut worden sein. So genau die Erkenntnisse sein sollen, so schwammig ist der Verfassungsschutzbericht 2003, den Schily präsentierte. Ein entscheidendes Manko bei der Verfolgung von gewaltbereiten Islamisten will Schily ausgemacht haben: „Das soll geändert werden“, sagte der Minister. Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern kochen nämlich nach wie vor bei der Fahndung nach den Terroristen weitgehend ihr eigenes Süppchen. „Das wissen natürlich die Islamisten und suchen gezielt die Löcher, wo sie erfolgreich durchschlüpfen können.“ Wenn diese Schlupflöcher aber aus außenpolitischen Interesse nicht öffentlich gemacht werden, ist dem Terror Tür und Tor geöffnet. Bestes Beispiel ist die König-Fahd-Akademie in Bonn. Im vergangenen Oktober drohte der islamischen Schule nach großem öffentlichen Druck die Schließung (JF 45/03 berichtete). Mittlerweile hat sich die Aufregung gelegt. Die Brisanz allerdings bleibt. „An der König-Fahd-Akademie wird weiterhin inakzeptables Lehrmaterial verwendet“, teilte das nordrhein-westfälische Schulministerium in der vergangenen Woche mit. Vor einem dreiviertel Jahr hatte ein Lehrer öffentlich zum Heiligen Krieg aufgerufen. Nicht viel harmloser sind die verwendeten Lehrmaterialien. Nach Angaben eines Ministeriumssprechers spiegelt sich in den Büchern der Geist der einer radikalen fundamentalistischen Lehre. Diese äußere sich in einem „bedingungslosen Gehorsam gegenüber den geistigen und religiösen Führern“ und in diesem Zusammenhang in einer „Drohpädagogik“ mit „Höllenvorstellungen“. „Existenz deutscher Schulen im Königreich gefährdet“ An eine Schulschließung sei nach wie vor nicht zu denken. Die Ergebnisse sollen aber dazu dienen, keine dauerhaft in Deutschland lebenden Schüler mehr an der Akademie zuzulassen und heutigen Schülern die Ausnahmegenehmigung einfacher zu entziehen. Die entscheidende Einschränkung lieferte das NRW-Ministerium allerdings gleich mit: „Eine Schulschließung könnte die guten Beziehungen zu Saudi-Arabien gefährden und dazu führen, daß die Existenz der deutschen Schulen im Königreich gefährdet ist.“