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Wie eine Schafherde

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Nachdem der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann aus der CDU/CSU-Fraktion ausgeschlossen worden ist, geht die Union zur Tagesordnung über. Doch nichts will so sein, wie es einmal war. CDU-Chefin Angela Merkel hat die Grenzen ihrer Macht und ihres Durchsetzungsvermögens gesehen. Noch so ein „Sieg“, und die Rostockerin kann möglicherweise einpacken. In den Gesichtern der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten war das pure Entsetzen zu lesen, als sie vergangenen Freitag nach der Abstimmung über Hohmann den Fraktionssaal im Reichstag verließen. Die meisten Abgeordneten, die sich vorher intern zu Hohmann und seiner umstrittenen Rede geäußert hatten, waren von einem fast einstimmigen Ergebnis gegen den hessischen Abgeordneten ausgegangen. Der öffentliche Druck, etwas tun zu müssen, war einfach als zu groß empfunden worden. Nur der CSU-Abgeordnete Norbert Geis, ein Mann von ähnlich konservativem Schlag wie Hohmann, hatte sich vor der Abstimmung öffentlich geäußert. Der aus Aschaffenburg stammende Rechtspolitiker hatte den Rauswurf von Hohmann als „menschlichen Fehler“ kritisiert. Geis bekam inzwischen von der CSU-Führung einen Maulkorb verpaßt. Die anderen Abgeordneten, selbst Hohmanns hessische Kollegen, hatten entweder verschämt geschwiegen oder wie der hessische Landesgruppenvorsitzende Klaus Lippold die Linie der Vorsitzenden befürwortet. Es ging zum Schluß nur noch um Schadensbegrenzung Auch intern hatten die Unionsabgeordneten einen schweren Stand. So hätten CSU-Chef Edmund Stoiber und CDU-Vizechef Jürgen Rüttgers die Parlamentarier „unter starken Druck“ gesetzt, kritisierte der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner. Zum Schluß ging es aus ihrer Sicht gar nicht mehr um Hohmann, sondern nur noch um Schadensbegrenzung. Die Fraktionsvorsitzende hatte sich auf den Ausschluß des Abgeordneten festgelegt. Diese Wendung gegenüber der früheren Haltung von Merkel und ihrem CDU-Präsidium, Hohmann nur zu rügen, war in der Tat merkwürdig. Seit dem Beschluß der Rüge hatte es von Hohmann keine neuen Äußerungen gegeben. Die Änderung der Haltung der Unionsführung hatte natürlich – wie CSU-Landesgruppenchef Michael Glos indirekt zu erkennen gab – mit dem verstärkten öffentlichen Druck zu tun. Andererseits kannten die Abgeordneten, die mit Hohmann zu tun haben, ihn als „netten Kerl“. Diese Bezeichnung fiel und fällt in Gesprächen nicht nur einmal. Alle Politiker, die sich intern zu dem Fall äußern, stellen rundweg in Abrede, daß es sich bei dem hessischen Kollegen um einen Antisemiten handeln könnte. Seine Rede zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober wurde zwar durchweg negativ bewertet, aber nicht als Anlaß gesehen, Hohmann aus der Fraktion auszuschließen. Daß dennoch 195 Parlamentarier der Union für den Ausschluß votierten (28 waren dagegen, 16 enthielten sich, vier Stimmen waren ungültig), hatte einen einfachen Grund: Man wollte Frau Merkel nicht im Regen stehen lassen. Eine Niederlage hätte den sofortigen Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden zur Folge gehabt. Abgeordnete sind in der Regel erfahrene Politiker, die die Folgen ihres Handelns sehr wohl abzuschätzen wissen. Daher dürften sie zu einem großen Teil gegen ihre innere Überzeugung gestimmt haben. Der Satz des Grundgesetzes, sie seien Vertreter des ganzen deutschen Volkes und nur ihrem Gewissen verpflichtet, ist schon lange von der parlamentarischen Praxis überholt worden. An erster Stelle kommt die Verpflichtung auf die Partei, der man schließlich den Wahlkreis oder Listenplatz verdankt. Man darf auch nicht vergessen, daß die CDU kurz vor ihrem Bundesparteitag in Leipzig steht und die Verantwortlichen kein Interesse daran hatten, dort die Causa Hohmann groß zu diskutieren. Der Fall sollte vorher abgeschlossen sein. Diese Rechnung dürfte aufgehen, zumal seit dem unruhig verlaufenen SPD-Parteitag letztes Wochenende die Union und ihr Verhältnis zum Antisemitismus kein Thema mehr ist. Die Unionsfraktion wirkt wie gelähmt Doch die Folgen für CDU und CSU sind schwerwiegender, als es auf den ersten Blick aussehen mag. Allerdings droht der Unionsfraktion keine Spaltung, wie es zunächst in etwas vorschnellen Agenturmeldungen hieß. Auch das Hemd eines Politikers ist ihm näher als sein Rock, und so wird kein Abgeordneter aus menschlicher Sympathie für Hohmann sein sicheres CDU-Mandat mit einem unsicheren Sessel in einer neuen Partei vertauschen, deren Zukunft angesichts der Fünf-Prozent-Hürde höchst ungewiß wäre. Merkel und Stoiber können sicher sein, daß ihre Schäflein bei ihnen bleiben. Andererseits können die Vorsitzenden der beiden Unionsparteien nicht mehr darauf vertrauen, daß die Abgeordneten sich in Zukunft wie eine Schafherde werden führen lassen. Die große Mehrheit der Abgeordneten hat das Gefühl, daß ihnen der Ausschlußbeschluß regelrecht aufgezwungen wurde – nach der Methode „Friß, Vogel, oder stirb“. Diese Politiker werden bei der nächsten strittigen Aktion der Führung mehrheitlich die Gefolgschaft verweigern. Was Merkel gewonnen hat, ist eine kurzfristige Entlastung. Langfristig gesehen hat sie jetzt mit einer Mannschaft zu tun, die der Ansicht ist, daß die Führung im Zweifel nicht zu eigenen Leuten steht. Kein Feldherr kann mit einer solchen Truppe eine Schlacht gewinnen, und Merkel kann mit diesen Leuten kaum noch eine effektive Oppositionsarbeit betreiben. Die Unionsfraktion wirkt wie gelähmt. Und es ist ja nicht so, daß Hohmann aus der Welt wäre. Der „nette Kollege“ sitzt – etwas abgesondert – in unmittelbarer Nähe zu seinen früheren Fraktionskollegen. Würde der FDP-Dissident Jürgen Möllemann noch leben, säßen die beiden Fraktionslosen im Bundestag nebeneinander. Daß Hohmann weiter im Hohen Haus bleiben will, hält die Erinnerung an die Merkel-Aktion wach. Daß bald Gras über die Sache wächst, glaubt höchstens die Partei- und Fraktionsvorsitzende. Weitere Folgen auf Bundesebene erscheinen im Moment ausgeschlossen. Die Inhaber von Parteiposten sowohl im Bundesvorstand als auch in den Landesvorständen halten sich bedeckt. Sie wissen alle nur zu genau, daß sie nicht in Schlachten ziehen können, die sie nicht gewinnen können. Solidarität mit Hohmann wäre gleichbedeutend mit dem Ende der eigenen Karriere. Viele haben die Faust in Tasche geballt, trauen sich aber nicht, diese Faust herauszuholen und mit ihr auf den Tisch zu schlagen. Für die Partei gilt das gleich wie für die Fraktion: Die Nerven sind zum Zerreißen angespannt, das Vertrauen in die Führung verlorengegangen. Die CDU-Chefin hat einen Pyrrhussieg errungen, der der Anfang von ihrem Ende sein könnte.

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